„Im Homeoffice wird gearbeitet“
Deutsche Chefs haben über ihre Angestellten gern die Kontrolle, weiß unsere Lieblingsrussin. Deshalb haben viele von ihnen Probleme mit Homeoffice. Aber ist die Arbeitsmoral deutscher Angestellter wirklich so schwach?
Viele Menschen, die ich kenne, arbeiten wegen Corona zu Hause. In Deutschland heißt das Homeoffice. Die kanadische Tante meines Mannes, die vor einer Weile zu Besuch war, hat darüber gelacht. Denn im Englischen sagt man einfach working from home. Sie wusste noch nicht, dass Deutsche Sachen, die sie nicht kennen, mit englischen Wörtern benennen, die es gar nicht gibt.
Zwar verwenden auch Russen viele englische Ausdrücke, aber mit der gleichen Bedeutung wie das Original. Die Deutschen dagegen geben den englischen Vokabeln einen neuen Sinn: Handy statt mobile phone, Oldtimer statt vintage car. Auch die Ausdrücke Hometrainer, Beamer und Smoking klingen zwar Englisch, bedeuten aber im Englischen überhaupt nicht das, was die Deutschen damit meinen. Unter Streetworker verstehen englischsprachige Menschen eine Prostituierte und nicht einen Sozialarbeiter, der sich um Obdachlose kümmert.
Im Homeoffice bin ich übrigens wegen der lustigen Tante gelandet, noch bevor die meisten Deutschen das Gleiche tun mussten: Sie hat Urlaub in Thailand gemacht. Dass sie auf der Rückreise nach Ottawa bei uns in Frankfurt einen Stopp macht, war schon vor Monaten verabredet. Damals wusste niemand etwas vom Corona-Virus und dass Kontakt mit Menschen, die in einem asiatischen Land waren, zu 14 Tagen Quarantäne führt. In meinem Fall eben zum Homeoffice.
In der Regel tun sich die Deutschen schwer damit. Das Arbeiten von Zuhause aus ist einigen wenigen vorbehalten, meistens in Ausnahmesituationen. Der deutsche Arbeitgeber hat gern Kontrolle über seine Angestellten. Er denkt, dass seine Leute im Homeoffice Rasen mähen oder sogar schlafen. Deshalb verlangen einige Firmen, dass die Mitarbeiter sich zum Arbeitsbeginn offiziell anmelden und am Ende des Arbeitstages abmelden.
Ich finde das den deutschen Angestellten gegenüber total unfair. Ich kann mir zwar gut vorstellen, dass ein Russe in der gleichen Situation Freunde einlädt und eine Party veranstaltet oder auf die Datscha fährt, um Kartoffeln zu pflanzen. Aber doch nicht ein Deutscher! Bis er den Rasen mäht oder seinen Kindern die Suppe kocht, hat er schon mehrere Excel-Tabellen gefüllt und 30 E-Mails geschrieben. Er fängt auch schon viel früher an zu arbeiten als sonst: Die Video-Calls zeigen, dass die meisten schon um 8.30 Uhr geduscht und angezogen vor dem Rechner sitzen. Ich dagegen schalte die Kamera nicht ein: Im Homeoffice arbeite ich bis nachmittags im Schlafanzug.
Die Corona-Krise beweist, dass ein deutscher Arbeitnehmer im Homeoffice zur Höchstleistung aufläuft. Eine Kollegin hat zu Hause jetzt sogar ein Kanban-Board. Das ist eine agile Arbeitsmethode, die in deutschen Firmen sehr populär ist. Sie hilft zu sehen, wo man in einem Projekt steht. Mit jedem Arbeitsschritt klebt man neue bunte Zettel auf eine Tafel. Meine Kollegin hat die Methode eingeführt, um sich selbst und ihre Kinder, die wegen Corona nicht in die Schule dürfen, durch den Tag zu führen. Selbst die Kinder waren begeistert!