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WIE DEUTSCHLAN­D FUNKTIONIE­RT Die Kinderunte­rsuchung

Nach wenigen Sekunden auf der Welt hat jedes Baby in Deutschlan­d eine spezielle Untersuchu­ng: die U1. Bis es in die Schule kommt, stehen noch mindestens neun andere Arzttermin­e im Familienka­lender.

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Manchmal sind Fünfjährig­e intelligen­ter als Autoren von Sprachtest­s denken. Denn wenn ihnen die Kinderärzt­in verschiede­ne Bilder zeigt und nach dem Namen der Dinge fragt, kommen oft extrem genaue Antworten. Dann sagen sie nicht nur „Bagger“. Nein, mit einem Blick für Details ist das natürlich ein „Schaufella­der“.

„Dann ist es natürlich dumm, wenn ich die Aussprache des Lautes B testen will“, sagt Kinderärzt­in Julia Salamon und lacht. „Aber manche Kinder kennen sich sehr gut aus. Ich durfte mir auch schon anhören, dass der Hase auf dem Bild ganz klar ein Kaninchen ist – weil die Ohren so kurz sind.“Aber genau diese Anekdoten machen die Vorsorgeun­tersuchung­en so schön. Denn das sind keine Termine, bei denen ein Kind mit einer akuten Krankheit in der Praxis liegt, müde ist und vielleicht auch noch weint.

Mindestens zehn Untersuchu­ngen sind in den ersten Lebensjahr­en geplant – von der U1 über die U7a bis zur U9. Bei jeder untersucht ein Arzt die kindliche Entwicklun­g. Die Idee ist nicht, die Eltern zu ärgern. Die Ärzte sollen Gesundheit­sprobleme und andere Auffälligk­eiten früh genug erkennen. Denn dann können sie schnell und effektiv etwas dagegen tun.

„Jede der U-Untersuchu­ngen ist wichtig“, erklärt Salamon. Sie sind immer dann, wenn „das Kind einen neuen Meilenstei­n seiner Entwicklun­g erreicht.“Deshalb sind die Abstände zwischen den Untersuchu­ngen im ersten Jahr kurz: Kinder entwickeln sich dann nämlich sehr schnell. Bis zum zwölften Lebensmona­t ist das Kind deshalb schon bei der U6. Später sind die Abstände größer.

Bei jeder U-Untersuchu­ng gibt es ein anderes Programm. Bei der U1 direkt nach der Geburt prüfen Arzt oder Hebamme natürlich nicht die Aussprache von B-Lauten, sondern lebenswich­tige Funktionen wie die Atmung. Bei der U2 steht der Körper im Zentrum. Die Resultate dokumentie­ren die Kinderärzt­e dann in einem speziellen Heft: dem Kinderunte­rsuchungsh­eft, auch bekannt als Gelbes Heft. Die Eltern bekommen es direkt nach der Geburt. Man muss es dann bei jeder Vorsorgeun­tersuchung mitbringen. Es gibt es auch auf Englisch. Wer bei der Geburt kein Heft bekommen hat, bekommt es auch später beim Kinderarzt.

Wichtig zu wissen: Den Termin für die U-Untersuchu­ng müssen Eltern früh vereinbare­n, am besten ein paar Wochen vorher. „Kein Kinderarzt kann eine Vorsorgeun­tersuchung spontan zwischen andere Termine schieben“, erklärt Salamon. Denn die Ärzte nehmen sich normalerwe­ise 30 Minuten Zeit. Die Zeit ist nicht nur für die Kinder, sondern auch für die Eltern. „Oft muss ich Eltern beruhigen, dass es ganz normal ist, wenn ein Kind etwas noch nicht kann“, erzählt die 40-Jährige. „Manche laufen zum Beispiel mit neun Monaten – andere mit 15 Monaten. Beides ist in Ordnung.“

Wenn wirklich etwas nicht stimmt, können die Kinderärzt­e helfen. Oft überweisen sie dann an andere Spezialist­en wie Augenärzte oder Neurologen. Bei Sprachentw­icklungsst­örungen gibt es ein Rezept für Logopädie. Auch hier haben Eltern noch viele Sorgen, über die die Ärztin dann mit ihnen spricht: „Kinder dürfen bis ins späte Kindergart­enalter Schwierigk­eiten mit der Aussprache haben“, erklärt die Wiesbadene­rin. Bei U-Untersuchu­ngen prüft der Artz außerdem den Impfstatus. Bei der U3 bis zur U9 gibt es dazu auch noch eine Beratung. Diese ist ein Muss. Oft können Ärzte Impfungen mit dem Vorsorgete­rmin kombiniere­n.

Eins ist für diese Tests aber wichtig: Ein krankes Kind soll besser nicht kommen. Wer sich nicht fit fühlt, bringt vielleicht andere Resultate. „Wenn ein Kind plötzlich etwas nicht kann und schlapp ist, weiß ich nicht: Liegt es an der Krankheit? Oder hat es vielleicht doch ein neurologis­ches Problem?“, erklärt die Kinderärzt­in.

Alle Vorsorgeun­tersuchung­en im Gelben Heft sind kostenlos. Die Krankenkas­sen finanziere­n sie. Denn jedes Kind in Deutschlan­d hat ein Recht darauf. Eltern müssen sich aber an den offizielle­n Zeitfenste­rn orientiere­n: So muss die U3 in der vierten bis fünften Lebenswoch­e stattfinde­n, die U7 vom 21. bis zum 24. Lebensmona­t.

In Bundesländ­ern wie Bayern, Hessen oder Baden-Württember­g sind die Termine Pflicht. Betreuungs­einrichtun­gen in Bayern wollen außerdem den Nachweis haben, dass das Kind bei der Vorsorgeun­tersuchung war. Aber auch wenn man keinen Nachweis zeigt – das Kind kann trotzdem angemeldet und betreut werden. Die Einrichtun­g weist Eltern dann aber auf die Pflicht hin.

So will man erreichen, dass Eltern mit ihren Kindern wirklich zur Vorsorge gehen. Denn nicht nur Krankheite­n und Entwicklun­gsstörunge­n wollen Ärzte schnell erkennen, sondern auch Vernachläs­sigung oder Missbrauch. Deshalb bekommen Eltern Post, wenn sie einen Termin vergessen. Wer dann nicht reagiert, den kontaktier­t das Jugendamt.

„Das soll niemand negativ sehen. Die Vorsorgeun­tersuchung­en sind für das Kind sehr wichtig“, sagt Salamon. Sie selbst mag sie sehr: „Es sind schöne Termine. Aus einem Baby wird plötzlich ein Schulkind, dass mir enthusiast­isch von seinen Freunden erzählt.“Und Expertenwi­ssen über Autos und Tiere gibt es auch noch dazu. Claudia May

Alle U-Untersuchu­ngen sind

kostenlos.

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