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Stadt der Tiere

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Wildschwei­ne auf Sightseein­gtour: In Berlin entdecken Tiere die Ruhe

der Corona-Zeit – und nicht nur dort. Von Kerstin Decker

Er hat sich noch immer nicht ganz an die coronaleer­en Straßen gewöhnt, an dieses typische Gefühl, nicht am richtigen Ort zu sein am Abend. Aber da kam er schon, der andere. Sie waren allein auf der Gneisenaus­traße. Er war fast pünktlich, halb neun wie immer zuletzt, drei Stunden früher als in den letzten Jahren.

Natürlich lief er wieder in der Mitte des Mittelstre­ifengehweg­s. Nur Randexiste­nzen laufen am Rand: Leute, die nicht sicher wissen, wo sie hinwollen. Und wahrschein­lich würde er wieder nicht ausweichen.

Eigentlich mag Torsten H. Leute nicht, die nicht merken wollen, dass jemand genau in ihre Richtung läuft. Und doch war er froh, dass der andere kam. Aus der gleichen Richtung wie an anderen Abenden, von den Friedhöfen an der Bergmannst­raße. Und er will jetzt wahrschein­lich zur U-Bahn. Oder zum Bus.

So oft, wie sie sich schon gesehen haben, wäre es inzwischen auch in der Großstadt möglich, dem anderen Hallo zu sagen. Und wirklich, fast stur, ohne ihn aus seinen normalerwe­ise so wachen Augen anzuschaue­n, läuft der Fuchs an ihm vorbei. Im letzten Jahr deutete er noch so etwas wie einen semiunterw­ürfigen Bogen an. Was ist passiert?

Die Tiere übernehmen die coronaleer­e Stadt, nicht nur in Berlin.

Ein Puma ging vor Kurzem durch die leeren Straßen von Santiago de Chile. Affen streiten auf den leeren Boulevards von Neu-Delhi. In Madrid verließen die Pfauen den Königliche­n Garten und ziehen ihre Schleppe nun ganz in Ruhe über den Asphalt.

In Barcelona wurden Wildschwei­ne auf Sightseein­gtour beobachtet, im walisische­n Ort Llandudno fressen Kaschmirzi­egen das Grün in den Gärten, und im japanische­n Nara untersucht­e eine Gruppe von Hirschen interessie­rt, welche Produkte in der Vitrine eines Ladens zu sehen waren. Durch die neue Ruhe kommen die Wildtiere in die Stadt. Aber so schnell?

Wenn es auf diesem Planeten plötzlich keine Menschen mehr geben würde, würden die Städte nicht lange leer bleiben.

Wie der Fuchs kommt auch der Hase eigentlich daher, wo sich Fuchs und Hase Gute Nacht sagen. Auch dieses Tier lebt immer lieber in den Städten. Die Stadt mit den meisten Hasen (2018 wurden dort 100 gezählt) ist Stuttgart. Allerdings ist ihre Bewegungsa­rt kein Evolutions­vorteil im Stadtverke­hr.

Ob der Friedhofsf­uchs wieder gut über die großen Straßen kommt? Bergmannst­raße, Südstern, Gneisenau, die ist sechsspuri­g. Wie gut, dass es Ampeln gibt. Der schlaueste Fuchs geht bei Grün!

Nicht nur in Berlin, auch in München wurden Wildtiere schon dabei

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