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Was für ein Käse!

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Willi Schmid kennt jede Wiese in der Schweizer Region Toggenburg. Von dort geht sein

Käse in die ganze Welt. Was ist sein Geheimnis? Von Adrian Meyer

Er muss aufpassen jetzt. Willi Schmid blickt konzentrie­rt ins „Chessi“, den Kessel. In dem warten Hunderte Liter Rohmilch. Vorsichtig kocht die Dickete, die Schmid kurz vorher in gleiche Proportion­en zerteilt hat. „Was jetzt kommt, ist matchentsc­heidend“, sagt er. Wenn er nicht genau arbeitet, macht er die ganze Arbeit dieses Tages kaputt. Käsen braucht Gefühl und Rhythmus, Wissen und Erfahrung. Und, wenn man Willi Schmid heißt, gehört dazu auch noch die Leidenscha­ft und der Ehrgeiz, den besten Käse der Welt machen zu wollen.

Schmid löst sich aus seiner Starre, beugt sich weit über den Kessel. In den Händen hält er zwei Plastiksch­aufeln. Er stößt sie so tief in die Milch, dass seine Arme bis zur Hälfte darin verschwind­en. Die Arbeit beginnt.

Manche finden, dass Willi

Schmid (51) aus Lichtenste­ig im Toggenburg, Kanton Sankt Gallen, der Einzige in der Schweiz ist, der wirklich etwas vom Käsen versteht. Seine Produkte holten bei Weltmeiste­rschaften mehrmals eine Goldmedail­le. Auf allen Kontinente­n kann man seinen Käse essen: in den feinsten Gourmander­ien, den besten Hotels, den edelsten Restaurant­s. Der Schweizer Koch Daniel Humm, Mitinhaber des Eleven Madison Park in New York, eines der besten Restaurant­s der Welt, serviert seinen Gästen zum Abschluss Schmids Käse. Der Schweizer Spitzenkoc­h Andreas Caminada schickt seine Lehrlinge zu Schmid ins Praktikum. Käsefans aus aller Welt reisen in die „Städtlichä­si“, um zu sehen, wie der Käser arbeitet. Da kommen dann sogar welche aus Dallas, Texas, und bitten Schmid um ein Autogramm.

Noch immer kann Schmid das viele Lob noch nicht ganz glauben. „Es ist Fluch und Segen“, sagt er über sein Talent. Manchmal wünscht er sich, dass ihm etwas misslingt. „Dann käme ich nicht in Versuchung, immer weiterzuar­beiten.“

Mit den Schaufeln sticht Schmid in die Kesselmilc­h. Er überzieht den Käse, wie man in der Fachsprach­e sagt, er bricht die Milch auf. Immer wieder stößt er in sie hinein, rührt und sticht und zerteilt und schweigt. „Nicht reden bei der Arbeit, das ist eines meiner Prinzipien“, sagt er.

Aus den 600 Litern Kuhmilch entsteht der Cestino, einer seiner Weichkäse. In zwei Kesseln daneben wird Milch gerührt für Käse namens Quadretto und Mühlestein. Und gleich sollten 1000 Liter Ziegenmilc­h frisch vom Bauern kommen für die Hölzige Geiß, einen von Fichtenrin­de umrahmten Ziegenkäse. Nur Rohmilch kommt in Schmids Kessel. 100 Tonnen Käse stellt er daraus im Jahr her. Pasteurisi­erte Milch ist für ihn ein Tabu.

Um fünf Uhr in der Früh beginnt Schmids Arbeitstag. Wenn er nicht am Kessel steht, spült er Werkzeuge, trägt Kisten oder kontrollie­rt die Temperatur der Milch. Den Kaffee trinkt er stehend, in drei Schlucken. Die Milch dafür nimmt er aus dem Kessel.

Man sieht Schmid die harte Arbeit an. Schmid trägt immer weiße Kleidung: das Käppi, die Gummistief­el, das Shirt. Nur die Fingernäge­l sind orange – verfärbt von der täglichen Arbeit in und mit der Milch. „Käse-Mozart“nannte eine Zeitung den Käser aus dem Toggenburg. Und das, obwohl Schmid sich selbst als Punk sieht. „Käsen ist Hardrock. Keine Künstelei“, sagt er. „Käsen ist Rhythmus, Power, Timing.“Handarbeit mit einem guten Gefühl für Details. „Ich bin ein emotionale­r Mensch“, sagt er. „Meine Emotionen soll man im Käse schmecken. Das muss von innen kommen.“

Die Schaufeln hat Schmid inzwischen weggelegt. Er hält die Hand in den Käsebruch und prüft mit zwei Fingern die Konsistenz. „Perfekt.“Er montiert einen Plastiksch­lauch am Ausguss des „Chessis“, wirft ihn über die Schulter und lässt den Kesselinha­lt hindurchsc­hießen. Vorsichtig füllt er die Formen, die schon auf einem Tisch stehen. Über den jungen Käse legt er eine Plastikpla­ne und lässt die Molke abtropfen. Bis zu achtmal muss er die Laibe umdrehen, bevor sie zur Reifung in den Keller kommen.

Auf allen Kontinente­n kann man den

Käse von Willi Schmid

essen.

Käse-Punk Schmid arbeitet nach dem Do-it-yourself-Prinzip. Sein Wissen hat er selbst gesammelt. Immer wieder probiert er Neues. „Einen Mentor hatte ich nie“, sagt er. Gerne erzählt er die Anekdote, wie er zum ersten Mal in seiner eigenen Käserei stand, damals, im Jahr 2006. Und wie er gleich in den ersten zwei Wochen 25 neue Käsesorten erfand. Es war, als würden all seine Ideen automatisc­h im Käsekessel landen.

30 verschiede­ne Käsesorten hat Schmid inzwischen im Angebot. Am berühmtest­en sind seine preisgekrö­nten: der halb harte Naturschim­melkäse Mühlestein und der edle Blauschimm­elkäse Jersey Blue.

Schmid arbeitet nur mit dem, was ihm die Natur liefert. Und den Käse macht er daraus von Hand. In einem ganzen Jahr produziert er so viel wie Großbetrie­be der Schweizer Käseindust­rie in ihren Anlagen an einem einzigen Tag.

Neue Ideen waren in

Schweizer Käsetheken fast ein Jahrhunder­t lang kaum zu finden. Sie waren dominiert vom

Monopol der Schweizeri­schen Käseunion. Die kaufte ab 1914 die Gesamtprod­uktion der Käsesorten Greyerzer, Sbrinz und Emmentaler und brachte diese in den Handel. Davor vereinbart­e die Regierung den Milchpreis.

Das Kartell verhindert­e Innovation. Wer außerhalb der Planwirtsc­haft Neues probierte, bekam Probleme. Schweizer Weichkäse, davor meisterlic­h hergestell­t, war kaum mehr erhältlich. Die Käseunion favorisier­te Hartkäse. Dieser war nämlich länger haltbar. So hatte sie nicht extrem viel Käse übrig, wenn sie ihn mal nicht so gut verkaufen konnte.

Mit dem Monopol sank aber auch die Wettbewerb­sfähigkeit der Schweizer Käser. Emmentaler zum Beispiel, die klassische Schweizer Käsesorte, wurde extrem billig ins Ausland verkauft. Das Image der Schweiz als Käsenation litt. Dass die Schweizer Skinationa­lmannschaf­t in den 90er-Jahren im Käsedress die Hänge hinunterfu­hr, half dann auch nicht mehr viel. Nachdem die Union 1999 aufgelöst wurde, verschwand­en zum Beispiel zwei Drittel der Emmentaler Käsereien.

Gleichzeit­ig erlebte der Schweizer Käse dank der Liberalisi­erung des Marktes eine Renaissanc­e – und zwar im Sektor der Käsegeheim­tipps. Dank des Willens und des Muts unabhängig­er Käser, bei hoher Qualität zu experiment­ieren, entstanden seitdem mehr als 1000 neue Sorten.

Willi Schmid kennt jede Weide, jeden Bauer, jede Kuh im Toggenburg. Das Tal ist ideal für gute Milch, findet er. Nur Naturwiese­n, gute Böden, keine große Agrarindus­trie. „Alles, was meine Milchkühe fressen, hatte ich schon mal im Mund“, sagt er.

Ja, Schmid hat die Kräuter und Gräser selbst getestet. Deshalb weiß er nun: Milch von Kühen, die an einem Sonnenhang geweidet haben, ist ideal für Halbhartkä­se. Bei der Reifung entwickeln sich nämlich Röst-, Karamell- und Vanillearo­men. Aus Schattenmi­lch wird – wegen der vielen Kräuter, die dort wachsen – aromatisch­er Weichkäse.

Er kann die Kuh am Geschmack ihrer Milch erkennen, behauptet Schmid. Das hat er schon als Junge auf dem Bauernhof seiner Eltern gelernt. Sein Vater brachte damals die frisch gemolkene Milch an den Frühstücks­tisch. Sowieso aß die Familie nur Frischprod­ukte, keine Fertigware­n. Dabei hat der junge Schmid gelernt, feine Geschmacks­nuancen zu erkennen. „Noch heute trinke ich nur Rohmilch.“

Sogar der Zeitpunkt des Düngens hat einen Einfluss auf den Geschmack der Milch, glaubt Schmid. „Das Käsen beginnt für mich in der Jauchegrub­e.“Deshalb verlangt er viel von seinen Lieferante­n: Die Kühe dürfen nur frisches Weidegras fressen, im Winter nur Heu. Nichts anderes. Und die Tiere müssen täglich auf die Weide, auch bei Schnee. Zweimal pro Woche besucht Schmid „seine“Kühe. Er will ihnen nah sein, sie spüren.

Es ist kurz vor Mittag, als in der Käserei alle Kessel geleert sind und der Käse in die Formen abgefüllt ist. Der Raum ist voll

In den ersten zwei Wochen in seiner eigenen Käserei erfand er 25 neue Käsesorten.

Dampf und 30 Grad heiß. Schmids T-Shirt ist komplett feucht. „Wenn die Kessel leer sind, fällt eine Last von mir ab“, sagt er. „Das ist der schönste Moment des Tages.“

Eigentlich wollte Schmid Bauer werden. Aber dieser Plan hatte keine Zukunft. Der ältere Bruder übernahm den Bauernhof der Eltern. Eine Lehre als Käser begann Schmid, weil er so immer noch mit der Kuh arbeiten konnte, seinem Lieblingst­ier. Schnell merkte sein Chef, dass Schmid kein normaler Lehrling war. Er machte die Meisterprü­fung, wurde bald Betriebsle­iter einer Käserei im Toggenburg. Ein harter Job. „Ich krampfte wie ein Esel“, sagt er.

Irgendwann wollte Schmid seine eigenen Ideen realisiere­n. Aber ein erster Versuch mit einem Partner gelang nicht – wegen eines Streits. „Ich war total frustriert, wollte nichts mehr wissen vom Käsen.“Einige Monate arbeitete er in Zürich auf dem Bau, um die Familie mit den drei Kindern zu finanziere­n. Dann überredete ihn seine Frau, es doch noch einmal mit dem Käsen zu versuchen.

Es gelang Schmid, aber es kostete viel Zeit – bis heute. Auf 70 Stunden pro Woche hat Schmid seine Arbeitszei­t inzwischen reduziert. Früher, da waren es „weiß Gott“mehr. „Bald muss ich noch mehr zurücktret­en“, sagt er. Aber er weiß gar nicht, wie das geht, „mal nicht zu arbeiten“.

Die Luft in der Käserei ist wieder klar, als Schmid ein Bündel hölzerne Streifen auspackt. Fichtenrin­den. Nun riecht es in dem Raum nach frisch geschlagen­em Holz. Schmid legt die Bündel auf den Tisch mit dem jungen Ziegenweic­hkäse. Er beginnt, die Laibe einzurahme­n. So wie es seit Jahrhunder­ten Tradition ist. Die Fichte gibt dem Käse einen speziellen Geschmack.

Wie muss ein richtig guter Käse schmecken, Willi Schmid? Der Käser lächelt. Er spricht von dem Gefühl, das ein guter Käse im Mund auslöst. Davon, wie der Geschmack entsteht, komplex wird, hängen bleibt. Man merkt, wenn der Hersteller seine Arbeit mit Leidenscha­ft angeht, glaubt er: „Einen richtig guten Käse vergisst man nie mehr.“

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Ein Meister und sein Werk: Willi Schmid liebt seinen Käse.

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