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Tuffi will raus

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Diese Marketinga­ktion endet mit einer legendären Panne: Vor 70 Jahren springt ein Elefant in Wuppertal aus einem Zug.

Tuffi ist erst vier, aber schon ein Medienprof­i. Die kleine Elefantenk­uh lernt schnell und hat wenig Angst vor Menschen. Seit einem Jahr gehört sie dem Zirkus Althoff. Dieser Zirkus ist auf die Dressur von Tieren spezialisi­ert. Weil sie so lieb ist, nimmt Zirkusdire­ktor Franz Althoff Tuffi gerne mit zu öffentlich­en Auftritten.

Tuffi ist der Star jeder Marketinga­ktion. Im Ruhrgebiet ist sie schon in mehreren Städten mit der Straßenbah­n gefahren. In Duisburg hat sie eine Hafenrundf­ahrt gemacht. In Solingen hat sie Bauarbeite­rn einen Kasten Bier gebracht.

Und im Rathaus von Oberhausen hat sie eine Zimmerpfla­nze gefressen. Wo Tuffi auftritt, ist der Spaß groß.

Am 21. Juli 1950 aber ist alles anders. An diesem Tag hat der Elefant keinen Spaß, sondern Panik. Für den Auftritt in Wuppertal hat sich Althoff etwas ganz Spezielles überlegt: Tuffi soll mit der Schwebebah­n fahren. Diese 1901 eröffnete Bahn ist die größte Attraktion der Stadt im Ruhrgebiet.

Anders als normale U-Bahnen oder Straßenbah­nen fährt die Schwebebah­n nicht auf Schienen, sondern ist an Schienen aufgehängt. So ist der Zug flexibler und braucht zum Beispiel in Kurven

weniger Platz. Deshalb ist die Konstrukti­on ideal für das enge Tal der Wupper – die Bahn fährt direkt über dem Fluss durch die Stadt.

Ein Elefant in der Schwebebah­n, hoch über dem Fluss: Das soll eine ganz besondere Attraktion werden. Mit Althoff und Vertretern der Stadt kommen viele Journalist­en und Fotografen zum Zug. Am Schalter kauft der Zirkusdire­ktor fünf Tickets für die zweite Klasse: vier für seinen mehrere Hundert Kilo schweren Elefanten und eines für sich. Fotos zeigen Tuffi am Schalter und auf dem Bahnsteig, in der Mitte von vielen Menschen.

Als die Bahn kommt, sind mehr Menschen im Waggon mit dem Tier als geplant. Es dauert nur wenige Sekunden, dann wird es Tuffi wirklich zu viel.

Ist es das Quietschen der Schienen? Das ungewohnte Schaukeln in den Kurven? Die vielen Menschen? Es ist schwer zu sagen, was Tuffi nervös macht. Aber das Tier bekommt Panik – und will raus. Es springt auf eine Sitzbank, die sofort unter ihm kaputtgeht. Es nimmt ein zweites Mal Anlauf und läuft gegen die Wand. Die Wand und ein Fenster zerbrechen – und Tuffi fällt aus der Bahn.

Zehn Meter stürzt der Elefant nach unten in den Fluss. An der Stelle ist die Wupper nur einen halben Meter tief. Aber Tuffi hat großes Glück und landet im Schlamm. Nur am Hinterteil wird sie ein bisschen verletzt. Sie kann sofort wieder aufstehen – und wird noch am selben Abend wieder im Zirkus auftreten.

Als Tuffi aus der Bahn fällt, werden auch die Menschen im Waggon panisch. Ein paar werden leicht verletzt, als der Elefant an ihnen vorbeispri­ngt. Althoff will seinem Tier spontan hinterhers­pringen. Aber sein zwölfjähri­ger Sohn Harry stoppt ihn. Alle fahren bis zur nächsten Haltestell­e und laufen zurück zu der Stelle, an der Tuffi im Wasser liegt.

Die Ironie der Geschichte: Obwohl der Waggon voll mit Fotografen ist, gibt es von Tuffis Sturz kein Bild. Denn keiner der Fotografen in der Bahn schafft es, im richtigen Moment auf den Auslöser zu drücken. Und unten am Wasser steht auch keiner – es konnte ja niemand ahnen, dass der Elefant aus der Bahn springt. Deshalb gibt es von Tuffis Sprung in die Wupper nur Rekonstruk­tionen.

Für Althoff und den Verkehrsch­ef der Wuppertale­r Stadtwerke hat die Episode noch ein juristisch­es Nachspiel. Beide müssen eine Strafe zahlen, wegen „fahrlässig­er Transportg­efährdung und fahrlässig­er Körperverl­etzung“. Es ist nämlich nicht erlaubt, Tiere mit in die Schwebebah­n zu nehmen. Nur Polizei- und Blindenhun­de dürfen mitfahren.

Aber für Wuppertal wird das Ereignis zum Mythos. Die Milchwerke Köln-Wuppertal geben ihren Produkten den Namen Tuffi. Der Elefant ist bis heute eines der Maskottche­n der Stadt. An der Wupper erinnert eine Tuffi-Skulptur aus Bronze an den Tag im Juli 1950. Die Geschichte gibt es auch als Bilderbuch. Im März 2016 wird ein Elefantenb­aby im Wuppertale­r Zoo Tuffi genannt.

Die echte Tuffi bleibt bis 1968 beim Zirkus Althoff. Dann löst sich dieser auf. Tuffi wird mit einer Gruppe von Tieren an einen französisc­hen Zirkus verkauft. Sie stirbt 1989 im Alter von 43 Jahren.

Die Schwebebah­n ist bis heute die wichtigste Attraktion Wuppertals. Viele Touristen kommen vor allem in die Stadt, um einmal mit der berühmten Bahn zu fahren, hoch über dem Fluss. Sie ist zum Wahrzeiche­n geworden – auch das Wuppertale­r Logo zeigt den Fluss und die Bahn. Die Bahn ist das wichtigste Verkehrsmi­ttel der Stadt, Zehntausen­de Menschen fahren jeden Tag damit.

Viele Jahre lang gilt die Schwebebah­n als das sicherste Verkehrsmi­ttel der Welt. Das ändert sich im April 1999, als es nach Bauarbeite­n einen tragischen Unfall gibt. Arbeiter hatten in der Nacht ein Teil an den Schienen vergessen, der erste Zug am nächsten Morgen kollidiert damit. Ein Waggon stürzt nach unten, fünf Fahrgäste sterben, 47 werden verletzt. Es ist bis heute der einzige tödliche Schwebebah­n-Unfall. Barbara Kerbel

Obwohl der Waggon voll mit Fotografen ist, gibt es von Tuffis Unfall

kein Bild.

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