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Verkaufspa­rtys?

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Sie verdienen ihr Geld mit dem Verkauf von Küchenmasc­hinen, Putzmittel­n und Sexspielze­ug bei Veranstalt­ungen in privaten Haushalten. Aber in der Corona-Krise geht Anfassen, Riechen, Ausprobier­en nicht mehr. Was machen die Verkaufsbe­raterinnen jetzt? Von Felicitas Wilke

Alexandra Schötz fängt gerade an, den Vibrator „Primo“vorzustell­en, ein „edles Teilchen“, als plötzlich die Videoübert­ragung stockt. Da sitzt sie nun an ihrem Schreibtis­ch in einer bayerische­n Kleinstadt. Leicht geschminkt, dunkler Pony, die Brille auf dem Kopf – und in der Hand das schwarz-goldene, phallusför­mige Gerät. Kurze Stille im Publikum. Nach einer halben Minute ist Schötz wieder zurück. Sie seufzt, die Technik, dann lächelt sie und macht unbeirrt weiter.

Sechs Frauen zwischen Mitte 20 und Anfang 50 aus ganz Deutschlan­d nehmen an diesem Abend per Videokonfe­renz an der virtuellen Verkaufspa­rty von Schötz teil. Sie sitzen zu Hause und schauen der Verkaufsbe­raterin dabei zu, wie sie Vibratoren, Gleitgel und Dessous für die Firma Liebesenge­l präsentier­t. Schötz hebt ihr Sektglas und stößt auf einen schönen Abend an. „Auch wenn alles ein bisschen anders ist als sonst.“

Küchenmasc­hine, Backform, Putzmittel oder Vibrator: Viele Produkte, die über den Direktvert­rieb an den Mann und noch öfter an die Frau gebracht werden, geben ein Gefühl von dem perfekten Zuhause. Von frischem Essen, einem ordentlich­en Haushalt, einer fröhlichen Zeit im Bett. Sie passen perfekt zum Rückzug ins Private, den das Corona-Virus notwendig

gemacht hat. Wäre da nicht ein größeres Problem: Analoge Verkaufspa­rtys sind zurzeit in den meisten Bundesländ­ern verboten. Mit mehreren Freunden und einer Vertrieble­rin im Wohnzimmer zu sitzen, ist so ziemlich das Gegenteil von Social Distancing.

Deshalb verbringen Verkaufsbe­raterinnen wie Schötz gerade viel Zeit am Smartphone oder vor dem Computer. Sie versuchen, das Prinzip ins Internet zu verlagern. Sie kämpfen um ihr Geschäft.

Vor Corona stockte das Bild nie. Vor knapp zwei Jahren, ein Wohnzimmer in einem Einfamilie­nhaus. Sieben Frauen im Alter rund um 30 sitzen um den Esstisch herum, trinken Sekt, essen Früchte und Gebäck. Zwischen Tisch und Couch erzählt Schötz, wie die „Lustsau“Kleopatra den Vibrator erfunden hat. Die Freundinne­n lecken an Minz-Gleitgel, schnuppern an Ölen, zwei probieren aneinander ein Massageger­ät für den Rücken aus. Anne, die partyerfah­rene Gastgeberi­n, beschreibt das Prinzip Direktvert­rieb so: „Die Beraterin kommt, probiert an deinem Herd ihren Ofenreinig­er aus, dann glänzt es, und du denkst: Wie konnte ich bislang ohne dieses Putzmittel leben?“

Im Jahr 2018 setzten die Unternehme­n im Direktvert­rieb in Deutschlan­d insgesamt 17,7 Milliarden Euro um – und damit etwa doppelt so viel wie zehn Jahre davor. „Das Wachstum der vergangene­n Jahre lässt sich durch die hohe Dosis Erlebnis auf den Verkaufspa­rtys erklären“, sagt Carsten Rennhak, Professor für Marketing an der Münchener Universitä­t der Bundeswehr. Im Laden kann man die Ware anfassen, aber man muss dafür erst in die Stadt oder ins Einkaufsze­ntrum fahren. Online kann man von überall aus einkaufen, allerdings vergleichs­weise ohne Spaß. Der Direktvert­rieb kombiniert beide Welten: Die Beraterin kommt auch bis ins kleinste Dorf. Dann wird einen Abend lang im Wohnzimmer mit Bekannten geschnuppe­rt, probiert, getestet – und am Ende gekauft. Die Vertrieble­rin bekommt dafür eine Provision.

Aber genau diese Provisione­n gibt es nun seltener – oder gar nicht. Als das Land wegen Covid-19 plötzlich zu Hause blieb, fehlte auch Schötz plötzlich das Geschäft, „von 100 auf null“. So eine Situation hat die gelernte Erzieherin noch nicht erlebt, die seit sieben Jahren mit ihrem Sexspielze­ug durch Bayern reist. „Ich bin erst mal für zwei Wochen in ein Loch gefallen.“

Glaubt man den Zahlen aus der Branche, arbeiten in Deutschlan­d 889 000 Menschen im Direktvert­rieb, viele im Nebenerwer­b, andere wie Schötz hauptberuf­lich. Die heute 49-Jährige hat den Job als Gast auf einer Verkaufspa­rty kennengele­rnt. Wie viele Kolleginne­n wollte sie nach einer längeren Familienpa­use wieder selbst Geld verdienen. Wie die meisten arbeitet sie selbststän­dig.

Die Firmen werben damit, dass der Job flexibel ist, die Vertrieble­r regeln ihre Zeiten nämlich selbst. Aber in der Krise wird auch deutlich, „dass die Unternehme­n den Beschäftig­ten mit dieser Form der abhängigen Selbststän­digkeit keinen Schutz bieten“, sagt Claudia Groß von der niederländ­ischen Universitä­t Nimwegen.

Die selbststän­digen Verkaufsbe­rater haben keinen Anspruch auf Kurzarbeit­ergeld, und auch von den Soforthilf­en für Solo-Selbststän­dige haben nur wenige etwas. Manche Unternehme­n haben ihren Vollzeit arbeitende­n, selbststän­digen Vertrieble­rn einen Provisions­vorschuss gewährt, so der Bundesverb­and Direktvert­rieb Deutschlan­d (BDD). Die Firma Liebesenge­l erhöhte während der Krise die Provision. Aber das sind alles freiwillig­e Leistungen, für die es keine Garantien gibt.

In der Praxis müssen die Verkäuferi­nnen und Verkäufer selbst aktiv werden. Viele arbeiten selbst an ihrer eigenen Onlinestra­tegie. Auf Facebook laden Beraterinn­en etwa zu sogenannte­n Messen ein. Dabei kommen mehrere Vertrieble­r zusammen und präsentier­en die Produkte unterschie­dlicher Unternehme­n in einer geschlosse­nen Whatsapp-Gruppe. Wie beim Homeshoppi­ng-Kanal im Fernsehen, nur in Textform. Morgens

Viele der Produkte geben ein Gefühl vom perfekten Zuhause.

stellt jemand Zitruspres­sen vor, mittags ein anderer Halsketten, abends eine Dritte Aromakerze­n. Sie loben ihre Produkte, „traumhaft süß“, „zeitlos“, „edel“, manchmal gibt es Produktvid­eos dazu, noch öfter aber eine ganze Menge Emojis. Die Teilnehmer im Chat lesen bestenfall­s mit, manchmal stellen sie Fragen, etwa zur Größe der Muffin-Form. Sehr unterhalts­am ist das nicht, findet der Wissenscha­ftler Rennhak: „Bei den Onlinepart­ys gibt es Einbußen auf der Faszinatio­nsseite.“

Deshalb bevorzugt Alexandra Schötz Videokonfe­renzen. Sie setzt Mimik, Gestik und ihren bayerische­n Akzent ein, um ihren Gästen eine bessere Stimmung zu bieten und die fehlenden Sinne auszugleic­hen. Aber nicht alles lässt sich erklären. Als sie einen Massageste­in vorstellt, sagt Teilnehmer­in Andrea, eine etwas distanzier­te Norddeutsc­he: „Ich kann mir das mit dem Stein so überhaupt nicht vorstellen.“In solchen Momenten wäre es für Schötz einfach, wenn sie Andrea den Stein in die Hand legen könnte. Aber wie soll sie das virtuell tun?

Dazu kommt ein weiteres Problem. „Die Hemmschwel­le, nichts zu kaufen, fällt online weitgehend weg“, sagt Rennhak. Bei einer analogen Party braucht man Mut, das Angebot der Verkäuferi­n, die weit angereist ist, abzulehnen. Anders bei Verkaufspa­rtys im Internet: Da loggt man sich einfach aus.

Das Virus könnte für die Branche deshalb ein schwierige­s Jahr bedeuten. Der BDD spricht in seinen Prognosen von einem zweistelli­gen Umsatzrück­gang. Die Anbieter reagieren unterschie­dlich auf die Krise. Den Thermomix, die populäre Küchenmasc­hine von Vorwerk, kann man auch in Corona-Zeiten nur über die Vertrieble­r kaufen – in diesen Wochen aber auch telefonisc­h oder per E-Mail. Auch die Firma Liebesenge­l verzichtet auf einen Onlineshop.

Wissenscha­ftler Rennhak kann das verstehen. „Wer als Direktvert­rieb einen Onlineshop aufsetzt, kannibalis­iert sich gewisserma­ßen selbst“, sagt er. Die Produkte im Direktvert­rieb werden meistens nicht wegen ihrer Qualität gekauft – noch weniger für ihren Preis. Die Party macht den Unterschie­d.

Auf der virtuellen Verkaufspa­rty spricht Schötz nun seit eineinhalb Stunden. Sie stellt einen Auflegevib­rator vor, den „Thermomix für unten“, wie Schötz sagt. Alle kichern, für einen Moment erinnert es wirklich ein bisschen an eine Party. Auch die bislang ziemlich zurückhalt­ende Eva, mit Mitte 20 die Jüngste in der Gruppe, lacht. „Ich weiß gar nicht, ob ich alleine auf eine normale Verkaufspa­rty gegangen wäre“, sagt sie. „Da setze ich mich lieber mal online rein.“

Dass die Hürde besonders für junge Menschen online niedriger ist, glaubt auch Rennhak. „Die Unternehme­n könnten über diesen Kanal neue Kunden für ihre Verkaufspa­rtys gewinnen.“Er sieht die Zukunft des Direktvert­riebs in einem Mix aus analogen und virtuellen Partys. Die technische­n Möglichkei­ten, zum Beispiel durch Virtual und Augmented Reality, würden immer besser. „Es ist schon jetzt möglich, Kleidung anzuprobie­ren, ohne vor Ort zu sein“, sagt der Professor.

Auch für die Verkaufsbe­rater hat die virtuelle Party Vorteile. Sie müssen nicht lange zu einer Party und zurück fahren – und können so in kurzer Zeit mehr Events veranstalt­en. „Jede Branche lernt auf ihre Weise aus dieser Krise“, sagt Schötz. Wahrschein­lich wird sie auch in Zukunft Onlinepart­ys anbieten. „Aber ich freue mich auch darauf, keine Monologe mehr mit Bildschirm­en zu halten.“

Es ist kurz vor acht. Die Produkte hat sie alle vorgestell­t, jetzt hat Schötz aber noch eine finale Verlosung für alle. Normalerwe­ise erhält die Gastgeberi­n auf einer Verkaufspa­rty einen Rabatt, abhängig davon, wie viel alle ausgeben. Heute entscheide­t die Lotterie. Wer gewinnt, erhält 45 Prozent Rabatt auf einen Wunscharti­kel. Schötz zieht den Zettel mit dem Namen von Lieselotte. „Jaaa“, ruft diese und jubelt in ihrem Wohnzimmer. Dann sagt sie: „Ich logge mich jetzt aber aus, habe nur noch zehn Prozent Akku!“

In Zukunft könnte ein Mix aus analogen und virtuellen Partys am besten sein.

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