Oma macht den Besten
Im Café Vollpension in Wien backen Seniorinnen mit alten Familienrezepten.
Wegen Corona müssen sie das Café jetzt anders organisieren.
Vor ein paar Monaten ist für Doris Horvath die Welt noch in Ordnung. Im Januar steht die 66-Jährige am Eingang des Cafés Vollpension in Wien. Mit weißer Schürze begrüßt sie die vielen Gäste in dem populären Lokal. Als „Oma vom Dienst“räumt sie im Lokal auf, kümmert sich um Messer und Gabeln und reagiert, wenn die Eingangstür zu lange offen steht. „Please shut the door“, sagt sie dann zu den Touristen. Ordnung muss sein.
Wenige Monate später ist durch Corona alles anders. Langsam starten die Kaffeehäuser, Kneipen und Restaurants wieder. Aber Horvath bleibt zu Hause. „Ich bin sehr gerne unter Menschen und kann mit allen“, erzählt die Seniorin am Telefon. Aber sie weiß: In ihrem Alter ist das Risiko besonders hoch. „Also bleibe ich zu Hause und mache das Beste daraus“, sagt die 66-Jährige. Die „Oma vom Dienst“ist außer Dienst.
Die Vollpension sieht auf den ersten Blick wie ein typisches Hipsterlokal aus: traditionelle Holztische, Secondhand-Sessel; an den unverputzten Wänden hängen Bilder. Das Konzept des Lokals ist trotzdem speziell. Denn die Hälfte des Teams hat das Rentenalter erreicht. Als Teilzeitkräfte arbeiten sie im Service und in der Küche, in der sie mit ihren eigenen Familienrezepten kochen und backen. Die Vollpension hat einen sozialen Zweck. Sie bringt verschiedene Generationen zusammen und tut etwas gegen Altersarmut. Deshalb der Name Vollpension – in Österreich heißt die oft niedrige Rente Pension.
„Am Anfang haben wir im Supermarkt einen Aushang gemacht, weil wir Omas suchten“, erinnert sich Hanna Lux (33), eine der drei Gesellschafterinnen. Heute bewerben sich auch mal mehrere Hundert Seniorinnen und Senioren auf eine Stelle. „Es freut uns natürlich, dass wir so gefragt sind“, sagt Lux. „Aber es macht uns auch traurig. Politisch gesehen ist es ein Armutszeugnis, dass sich 65-Jährige noch einen Job suchen müssen.“
Im März musste die Vollpension wie andere Cafés in die Corona-Pause. So gab es für die Institution gleich zwei neue Prob leme auf einmal: Was wird aus den Omas und Opas in dieser Zeit? Und schickt die Pause das Café in den Bankrott? Durch eine Crowdfunding-Aktion konnte es bis jetzt 80 000 Euro sammeln. So konnte auch in Zeiten von Corona die Hälfte der Senioren ihr Geld bekommen.
Schon seit ein paar Wochen arbeitet die Vollpension jetzt an einem Comeback. Seit dem 1. Juni ist das Café wieder geöffnet – als „Halbpension“mit der Hälfte der Tische. Die Back-Omas und Back-Opas sind aber nicht im Lokal. Ihre Gerichte stellen sie in einem zweiten, noch geschlossenen Laden her. Die Gäste müssen online einen Tisch reservieren und aus einer der möglichen Optionen wählen. Für 9,90 Euro können sie zum Beispiel eine Stunde bleiben, ein Stück Kuchen essen und so viel trinken, wie sie wollen.
Am kompliziertesten ist die Situation für die „Omas vom Dienst“, die vorher noch persönlich die Gäste begrüßt haben. Denn das ist in Corona-Zeiten tabu. „Ich verstehe, dass wir zu Hause bleiben müssen“, sagt Horvath, „aber natürlich fehlen mir die Späßchen mit den Kollegen.“
Um den Zusammenhalt zwischen Jung und Alt wenigstens ein wenig aufrechtzuerhalten, trifft sich das Team immer wieder mal zu einer Videokonferenz. Auch beim Einkaufen gibt es Hilfe. „Wir überlegen gerade, wie wir die besondere Atmosphäre der Vollpension auch für die Gäste beibehalten können“, sagt Horvath und erzählt von den neuen Oma-Videos. Die kann das Café auf Tablets zeigen.
„Das sind erst einmal nur Ideen“, sagt Horvath. Aber Ideen machen optimistisch. Sie selbst hofft, ab Juli wieder persönlich am Eingang stehen zu können. Wenn nicht, will sie sich trotzdem nicht beschweren. „Ich weiß mir meine Zeit schon selbst zu gestalten“, sagt Horvath. Auch in Corona-Zeiten hat sie die Hoffnung nicht verloren. „Und ich bin gesund. Das ist doch das Wichtigste.“Steve Przybilla