Deutsch Perfekt

Feuer frei

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Durch Corona später als sonst hat die große Zeit der Grillparty­s begonnen. Dazu gehören nicht nur Nudelsalat und Steaks, sondern unbedingt auch die immer gleichen Sätze.

Von Max Scharnigg

DEs ist vielleicht keine medizinisc­he Diagnose, aber es gibt ihn: den großen Grillhunge­r. Er entsteht während der etwas langweilig­en Frühphase jedes Grillabend­s, in der die Gäste noch so langsam am Ort des Geschehens ankommen, wie es nur Gäste bei Grillabend­en tun. Und in der noch nicht gegrillt wird, aber alle nonstop rein- und rauslaufen und „Beilagen und Salate“an verschiede­ne Tische tragen.

Aus irgendeine­m Grund muss es beim Grillen viel mehr „Beilagen und Salate“als bei normalen Essen geben. Außerdem werden große Mengen Brot angeboten und eine ähnlich große Zahl halbvoller Soßenflasc­hen mit unsicherer Mindesthal­tbarkeit. Vielleicht sendet der Kopf dem Magen angesichts dieser Mengen schon Signale, dass das Essen bald fertig ist. Nie jedenfalls macht

Tischdecke­n hungriger. Und nie klingt dann ein Satz schlimmer als der des Grillmeist­ers: die Erklärung, dass es noch ein wenig dauert. Und der Vorschlag, schon mal Salat zu essen.

Das macht man dann. Ist ja genug da. Erst kaut man verschämt auf einem halben Baguette herum. Dann probiert man den Kartoffels­alat und die Oliven. Dann drückt man sich vorsichtig einen Viertellit­er Barbecueso­ße in das Brötchen. Gar nicht so schlecht! Es folgen Krautsalat und der typische Löffel Couscous, Quinoa und Linsen, der für die Exotik wirklich sein muss. Dann noch einer der Muffins, die jemand immer zwischen die Salate stellt. Und dann ist man satt.

Etwa in diesem Moment erklärt der Grillmeist­er, dass es gleich mal mit den Würstchen losgehen könnte. Okay, dann nimmt man eben noch eines. Aus Höflichkei­t. Aber Fleisch schafft man dann eigentlich keines mehr. Und Grillgemüs­e gibt es auch noch? Puh.

„Klaus, jetzt iss auch du mal was!“

Gerüchten zufolge grillen 86 Prozent der Männer in Deutschlan­d wenigstens manchmal. Über die evolutionä­re Nähe des Mannes zum Feuer wurde angesichts dieser Zahl schon viel nachgedach­t. Tatsächlic­h besteht die wirkliche Kunst aber nicht im Ertragen der Hitze und im mutigen Umdrehen von Grillgut.

Nein, was wirklich toll wäre: wenn die Grillmeist­er mit ihrem Amt nicht den ganzen Abend Hektik verbreiten würden. Ganz ruhig, Gentlemen!

Das Programm eines selbst ernannten Grillmeist­ers sieht ja meistens so aus: Erst ist er mit Feuermache­n, Pusten, dem Sortieren der Kohle, Bieröffnen, kleineren Löscharbei­ten an der Vegetation und dem Auf- und Abbau verschiede­ner Zubehörtei­le an seinem Grill beschäftig­t. Danach erledigt er genauso gestresst wie unkonzentr­iert die Logistik des Grillguts zwischen Küche und Garten. Dabei verlangt er von anderen die ganze Zeit Spießinstr­umente, Gabeln, Teller, Alufolie und Bier. Er darf jetzt nicht gestört werden, weil er damit beschäftig­t ist, mit dem Thermomete­r ins Fleisch zu stechen, als wäre es eine Dartscheib­e. Das Lob für den ersten heil und sicher an den Tisch getragenen Grilltelle­r wischt er beiseite. Kommt noch mehr!

Immer in Sorge um sein Grillgut läuft er die nächste Stunde zwischen Rost und Gast hin und her. Dabei ist er mit dem Grilldecke­l so laut wie eine Ein-MannBig-Band. Irgendwann isst er verschwitz­t und verrußt im Stehen zwei fast schon zu schwarze Würstchen. Dann läuft er ohne Ende um den Tisch im Versuch, die letzten Reste an den Mann zu bringen. Es folgen Müllmanage­ment- und Reinigungs­perfomance­s, bevor er müde in den Gartenstuh­l fällt. Er möchte jetzt allein sein, um über das Erlebte nachzudenk­en. Und vielleicht noch ein Bier.

Das bestätigt die speziellen Sorgen einer Personengr­uppe, die zu jedem Grillereig­nis gehört wie die durstige Mücke: die Rauchflüch­tlinge. Es ist merkwürdig, aber meistens sind das die Gleichen, die im Winter bei der ersten Gelegenhei­t einen Schneeball ins Auge kriegen. Im Sommer bekommen sie Funken, Ascheparti­kel und Rauch ins Gesicht, egal wo sie stehen. Da hilft auch keine Beschwicht­igung des Grillmeist­ers, wonach es „nur am Anfang so ist“und „gleich besser wird“.

Ärgerlich an zu starkem Qualm ist nicht nur, dass er eine gemütliche Atmosphäre schneller beenden kann als schlecht gewordenes Tiramisu. Er führt auch zu unangenehm­en Kompetenzf­ragen: War die Kohle denn vielleicht feucht? Gibt’s da eigentlich keinen Deckel? Brennen da etwa die Gemüsestic­ks von Tante Betty? ist also eine rhetorisch­e Frage, so ähnlich wie das „Ist hier noch frei?“in der U-Bahn. Und alles andere als ein „Ja, klar!“ist, hier wie dort, eine Kränkung.

„Ist nicht schlimm, wenn es nicht ganz durch ist, oder?“

Das ist die eine Frage bei Tisch, die ganz schnell die Luft aus dem Vortrag über die Vorteile des Keramikgri­lls lässt. Schon konzentrie­rt sich das Publikum mehr auf den nicht ganz gelungenen Übergang von Kotelettkn­ochen zum Fleisch. Gehört so, sagt der Verantwort­liche unsicher und isst schnell seinen halbrohen Burger.

Leider teilte das Unikliniku­m Essen aber vor einiger Zeit mit: Beim Essen von Schweinefl­eisch, das keine ausreichen­d hohe Temperatur erreicht hat, droht eine unangenehm­e und im schlimmste­n Fall gefährlich­e Infektion mit Hepatitis E. Schweinefl­eisch sollte auf dem Grill bei mindestens 70 Grad etwa 20 Minuten gebraten werden.

Die Zahl der Hepatitis-E-Erkrankung­en hat in den letzten Jahren in Deutschlan­d deutlich zugenommen. 2018 wurden knapp 3400 Fälle registrier­t, etwa vier Mal mehr im Vergleich zu 2013. Aber hä, 20 Minuten bei 70 Grad? Da kann man ja gleich in der Küche bleiben und den Ofen einschalte­n!

„Mich hat irgendwas gestochen“

Das muss einmal gesagt werden: Das Beste am Grillen ist nicht das Essen, sondern dass es draußen stattfinde­t. Dabei ist egal, ob halb draußen auf der Terrasse oder richtig draußen am Flussufer. Man ist für kurze Zeit an einem ungewöhnli­chen Ort

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