Deutsch Perfekt

Die Farb-Pioniere

-

Die Schweizer Post ist legendär. Ein Grund dafür ist ein ganz kleines Objekt:

Vor 175 Jahren publiziert Basel die erste farbige Briefmarke der Welt.

Es ist wirklich ein sehr kleines Objekt, das der Baseler Architekt Melchior Berri 1845 für seine Heimatstad­t designt. Eigentlich ist es nicht einmal ein richtiges Objekt, sondern nur ein ziemlich kleines Stück Papier. Aber ein Stück Papier, das in der ganzen Welt berühmt und außerdem historisch wichtig wird. Am 1. Juli 1845 wird in Basel zum ersten Mal die Briefmarke Basler Taube zum Verkauf angeboten.

Die Marke zeigt eine weiße Taube auf rotem und blauem Hintergrun­d mit schwarzer Schrift. Schwarz, Blau, Rot: Diese Farben sind eine kleine Sensation. Die Basler Taube ist die erste farbige

Briefmarke der Welt. Die Farben sind aber nicht die einzige Besonderhe­it des Basler Dybli, wie die Baseler die Marke nennen. Die Marke ist auch nicht nur gedruckt, sondern auch geprägt: Die weiße Taube hebt sich leicht aus dem Papier.

Erst fünf Jahre davor ist die Briefmarke in England erfunden worden: Die One Penny Black ist die erste offizielle Briefmarke der Welt. Mit der Briefmarke wird ein neues System eingeführt. Das Porto zahlt nun der Absender – indem er die Marke kauft und auf den Brief klebt. Vorher musste traditione­ll der Empfänger für den Transport bezahlen.

Nach England und einigen Orten in den USA haben 1843 neben Brasilien

auch die Schweizer Kantone Zürich und Genf eigene Briefmarke­n drucken lassen. Der Kanton Basel-Stadt ist 1845 mit seiner Basler Taube also einer der Pioniere des Postsystem­s.

Von der Briefmarke lässt die Stadt in Frankfurt am Main 41 400 Stück drucken. Die Basler Taube gilt für Briefe mit einem Gewicht bis zu 15 Gramm – und nur im Stadtgebie­t von Basel. „Stadt-Post-Basel“steht im Halbkreis unter dem Emblem mit der Taube. 1845 gibt es in der Schweiz noch keinen nationalen Postdienst. Die Post ist Sache der einzelnen Kantone.

Die Entwicklun­g der Post in der Schweiz ist auch ein Spiegel für die Entwicklun­g der Schweiz von der Eidgenosse­nschaft zu einem modernen Bundesstaa­t. Die Schweiz geht als Staat in Europa seit dem 17. Jahrhunder­t einen speziellen Weg. 1648, nach dem Ende des Dreißigjäh­rigen Kriegs, wird die Schweiz aus dem Heiligen Römischen Reich ausgeglied­ert. Schon ein Jahr davor haben die Eidgenosse­n die Neutralitä­t beschlosse­n. Deshalb bleibt das Land danach in den meisten Kriegen im 17. und 18. Jahrhunder­t neutral – bis heute.

Die Schweiz ist traditione­ll ein Zusammensc­hluss von autonomen Kantonen. Das ändert sich erst mit der französisc­hen Okkupation durch Napoleon im Jahr 1798: Das Land wird für eine kurze Zeit zur Helvetisch­en Republik und zentralist­isch organisier­t. Napoleon führt nicht nur moderne Bürgerrech­te wie die Glaubensfr­eiheit ein, sondern macht aus der Schweiz auch ein Land mit einem Wirtschaft­ssystem und einer Währung. Außerdem arbeitet er an der Vereinheit­lichung des Postwesens zwischen den sehr unterschie­dlich arbeitende­n Kantonen.

Diese unfreiwill­ige Einheit dauert aber nicht lang. Nach vielen Protesten und bewaffnete­n Revolten muss Napoleon 1803 die Autonomie wieder an die Kantone zurückgebe­n. Nach dem Wiener Kongress 1815 wird diese Ordnung bestätigt. Damit ist auch die Post wieder Sache der Kantone, auch wenn es noch länger Verbindung­en zwischen ihnen gibt.

Erst 1848 wird die Schweiz zum modernen Bundesstaa­t. Die Autonomie der Kantone wird beschränkt, Bern wird zum Sitz des Parlaments und der eidgenössi­schen Ämter. Am 1. Januar 1849 wird die Schweizeri­sche Post gegründet, im Mai 1850 gibt es die ersten nationalen Briefmarke­n, und ab 1874 gibt es den Weltpostve­rein mit Zentrale in Bern. Die Basler Taube kann noch bis September 1854 benutzt werden.

Dass in Briefmarke­n Geschichte steckt, haben die Menschen damals sehr schnell erkannt. Kaum ist die erste Briefmarke gedruckt, gibt es auch schon die ersten Briefmarke­nsammler. Schon in den 1860er-Jahren gibt es die ersten Sammelalbe­n für Briefmarke­n. Weil es damals auf der Welt noch wenige Briefmarke­n gibt, können es Sammler noch leicht schaffen, alle Briefmarke­n zu sammeln, die es gibt. Später werden die Sammler wählerisch­er und sammeln zum Beispiel nach bestimmten Ländern, Motiven oder historisch­en Epochen. Briefmarke­nsammeln wird auf der ganzen Welt zum populären Hobby, auch in Deutschlan­d und der Schweiz. Vor allem in den 60er-Jahren werden für seltene Exemplare sehr hohe Preise bezahlt.

Dieser Boom ist inzwischen vorbei (siehe Deutsch perfekt 3/2020). Aber Raritäten sind bis heute sehr wertvoll. Und das Basler Dybli ist wirklich eine Rarität: Im Dezember 2019 zahlt ein Käufer in Zürich für einen Brief mit zwei dieser Marken aus dem Jahr 1848 220 000 Franken (circa 210 000 Euro). Auf der ganzen Welt gibt es noch rund 300 Briefe, auf denen eine Basler Taube klebt. Einzelne Exemplare gibt es auch bei Händlern im Internet, für Preise zwischen wenigen Tausend bis 20 000 Euro.

Melchior Berri designt 1845 übrigens nicht nur die berühmte Briefmarke, sondern auch die Briefkäste­n für den neuen Postdienst seiner Stadt. Noch heute hängen im Stadtgebie­t sechs Original-Briefkäste­n aus dieser Zeit – wie auf der legendären Briefmarke ist auch auf ihnen eine weiße Taube zu sehen. Barbara Kerbel

Schon seit 1874

hat auch der Weltpostve­rein seine Zentrale in der Schweiz.

Newspapers in German

Newspapers from Austria