Deutsch Perfekt

„Ich sah nur noch Buchstaben“

-

Im Deutschen gibt es viele Wortmonste­r. Für unsere Lieblingsr­ussin waren deshalb manche Ausdrücke lange ein Geheimnis. Geht das nicht einfacher?

Im Jahr 1994 kam ich nach Mainz, um Wirtschaft zu studieren. Damals sprach ich schon ganz gut Deutsch, also konnte ich einfach meine deutschen Kommiliton­en fragen, wenn ich ein Wort nicht kannte. Oder ich reimte mir seine Bedeutung zusammen. Schließlic­h sind viele Ausdrücke im Deutschen eine Kombinatio­n aus mehreren Wörtern: Der Bahnhof ist ein Hof für die Bahn, und ein Liegestuhl ist ein Stuhl zum Liegen. Deutsche Sprache, logische Sprache.

An einem Wort scheiterte ich aber – Maaraue. Darin konnte ich nichts Bekanntes erkennen, ich sah nur Buchstaben. Das Einzige, was mir klar war: Das Ding musste sich auf der anderen Seite des Rheins befinden. Denn am Fluss war ein Schild, auf dem Maaraue stand – und an dem bin ich manchmal vorbeigefa­hren.

Jemanden um Hilfe zu bitten, war keine Option, denn ich konnte das Wort nicht ausspreche­n. Betont man etwa das U? Das klang barbarisch, im besten Fall skandinavi­sch. Das doppelte A machte die Sache nicht einfacher. War Maaraue vielleicht eine finnische Firma, die dort hinter den Bäumen ihre Zentrale hatte? Da es damals kein Google gab und ich sowieso nicht oft in der Gegend war, blieb Maaraue für mich lange ein Geheimnis.

Bis ich ein neues Wort lernte: die Aue. Das ist eine Landschaft an einem Fluss, die oft überflutet wird. Dort wachsen deshalb viele Pflanzen. In dem Moment ertönte in meinem Kopf die Musik aus der TV-Sendung „Wer wird Millionär?“. Die Maaraue ist eine Maar-Aue! Es war nicht ein Wort, sondern es waren zwei.

Warum haben die Mainzer die Wörter nicht mit einem Bindestric­h verbunden? Vermutlich sind sie einfach nicht auf die Idee gekommen. So wie die vielen deutschen Sportjourn­alisten, die in ihren Artikeln über eine Pokalaus schrieben. Ein seltsames Insekt, das nicht nur Haare, sondern ganze Fußballman­nschaften zu befallen schien. Beim näheren Betrachten stellt sich heraus, dass es sich nicht um die, sondern um das Pokal-Aus handelt, also eine Niederlage im zweitwicht­igsten Turnier des deutschen Fußballs.

Wann benutzt man einen Bindestric­h und wann nicht? Das wissen viele Deutsche auch nicht, sieht man doch seit Monaten überall die Corona-Krise, das Coronaviru­s und noch mehr Corona-Folgen. Bei Substantiv­en, die willkürlic­h zu einem Wortgebild­e zusammenko­mmen, ist es dem Schreibend­en überlassen, das Wort mit oder ohne Bindestric­h zu schreiben. Komplizier­t wird es, wenn ein Adjektiv Teil der Konstrukti­on ist. Corona-geplagt ist richtig. Aber ohne Bindestric­h muss man coronagepl­agt komplett kleinschre­iben.

Die deutsche Sprache könnte für eine bessere Lesbarkeit auf jeden Fall mehr Bindestric­he gebrauchen. Egal, ob bei langen Wörtern wie Vokalbeltr­ainerapper­folg oder bei kurzen wie Teeei. Handelt es sich bei einem Druckerzeu­gnis um ein Druck-Erzeugnis oder ein Drucker-Zeugnis? Ohne den Bindestric­h weiß man es nicht.

Manche haben aufgegeben. So findet man im Supermarkt zum Beispiel Dinkel Mehl oder Artischock­en Herzen. Das ist falsch und wird Deppenleer­zeichen genannt. Deutsche Sprache, lustige Sprache.

Newspapers in German

Newspapers from Austria