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Wirklich norddeutsc­h

In Spadenland im Südosten der Stadt leben – in Relation zur Größe des Stadtteils – die meisten Hamburger, deren Eltern auch schon Hamburger waren. Was kann man dort über die norddeutsc­he Mentalität lernen? Von Geli Tangermann

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Im Spadenland im Südosten

der Stadt leben viele Hamburger, deren Eltern schon Hamburger waren. Was lernt man dort über die norddeutsc­he Mentalität?

Spadenland, finden die Bewohner, ist kein Ort für prätentiös­e Typen. In den großen Gewächshäu­sern reifen Tomaten und Salate, auf den Feldern fahren Traktoren über den erdigen Boden. Ein paar Schafe stehen in der Sonne, die Straßen heißen Hofschläge­r Deich oder In der Weide. Auf Schildern werden Waren angeboten, die einen an Provinz erinnern: Futtergetr­eide, Kaminholz, Bäume für Gartenkuns­t.

Wer sich als Stadtkind in den Stadtteil am Deich verirrt, lernt ein Hamburg kennen, dem alles am typischen Hamburg zu fehlen scheint: die Hafenmasch­inen, die Hipster, der Stau und die vielen Menschen. Und doch gibt es keinen anderen Teil von Hamburg, der so viele Alteingese­ssene hat wie Spadenland im Bezirk Bergedorf. Zahlen des Statistika­mts Nord zeigen: Nirgends sonst wohnen so viele gebürtige Hamburger (siehe auch Seite 63) an einem Ort.

Thomas Rolffs ist in Eile, eigentlich hat er keine Zeit zu reden. „Die Kürbisbest­ellungen“, entschuldi­gt ihn seine Frau Annett. Rolffs ist ein Mann mit kräftigen Armen und breitem Dialekt. Eigentlich sind die Spadenländ­er bekannt für ihre innere Ruhe, erzählt er, als er dann doch einige Minuten Pause macht. Aber bei ihm selbst ist das mit der Ruhe manchmal anders. „Meine Lüdde meint dann immer: mal logger, logger“, sagt der 54-Jährige und seine Frau, „die Lüdde“, nickt.

Der Anteil der gebürtigen Hamburger sinkt. Laut Statistika­mt sind nur noch 43 Prozent der Stadtbewoh­ner auch an der Elbe geboren. 2009 waren es noch drei Prozent mehr. 57 Prozent der Hamburger sind zugezogen, ein Großteil aus den Nachbarbun­desländern Schleswig-Holstein und Niedersach­sen. Von den Zuwanderer­n kommen die meisten aus Polen und der Türkei.

Und während der Anteil der eingeboren­en Hanseaten zum Beispiel in Stadtteile­n wie Billbrook, Steinwerde­r und Hammerbroo­k unter 20 Prozent beträgt und in hippen Stadtteile­n wie der Schanze und Sankt Georg höchstens ein Drittel, sind es im Spadenland noch 66 Prozent.

Aber was heißt überhaupt Hamburg? Es gibt im Spadenland einen Gesangsver­ein, einen Traktoren-Oldtimer-Club und die freiwillig­e Feuerwehr, eigentlich das ideale Rezept für ein idyllische­s Landleben. Der Stadtteil ist 3,4

Quadratkil­ometer groß, 504 Einwohner leben hier. Sein ganzer Stolz ist das größte Oktoberfes­t Norddeutsc­hlands, das immer wieder im Rhythmus von ein paar Jahren stattfinde­t. Der Stress der Großstadt ist hier am Deich weit weg.

Annett Rolffs gehört nicht zu den Urgesteine­n, sie ist von Chemnitz ins Spadenland gezogen. Aus einem Chat mit Thomas wurde die große Liebe. „Ich mochte ihren Dialekt so gerne, aber jetzt sächselt sie leider nur noch, wenn sie schimpft“, sagt er und lächelt. Sie sagt: „Ich habe den Umzug hierher nie bereut.“Seit zwölf Jahren sind die Rolffs verheirate­t, seitdem teilen sie sich die Arbeit auf dem Bauernhof. Er kümmert sich um die Ernte, sie steht am Verkaufsti­sch und bemalt die Kürbisse. Ihr Mann findet, dass keiner das so schön macht wie sie.

Thomas Rolffs lebt seit seiner Geburt direkt vor der Stadt. Ein Bauernhof, 18 Hektar Land, 54 Jahre Glück. Schon in

vierter Generation betreibt seine Familie die Gemüsegärt­nerei, pflanzt verschiede­ne Sorten Kohl an, Wirsing und Sellerie. Spezialitä­t neben dem ganzen Kohl schon immer: Kürbisse. Hokkaidos und Zierkürbis­se, die zum Beispiel an Korallen erinnern. Thomas Rolffs sagt: „Da gibt’s die dollsten Sorten.“

Aber was ist denn nun das echte Hamburg, Herr Rolffs? Der überlegt kurz und sagt dann: „Wir sind ja hier für uns. Hamburg ist weit weg.“Früher gab es bekannte Hamburger, die mit ihrer Art Synonym für die Stadt waren, der Fußballer Uwe Seeler, die Schauspiel­erin Heidi Kabel, der Politiker und Publizist Helmut Schmidt. Kaum noch vorstellba­r in einer Stadt, die heute aus extrem vielen Subkulture­n besteht. Der Hipster aus der Schanze teilt mehr Erfahrunge­n mit den Großstadtm­enschen in Kopenhagen, Berlin und Amsterdam als mit den Hamburgern hier im Süden der Stadt.

Für einen wie Rolffs ist Hamburg wahrschein­lich das Leben mit seinen Gemüsegärt­en, die Ruhe; für andere ist es die Dynamik auf dem Kiez. „Ich bin kein Menschenfe­ind, wirklich nicht. Aber ich sach’ mal: Wo zehn Leute sind, sind acht zu viel für mich“, sagt Rolffs. Für Urhamburge­r, die so wenig mit dem städtische­n Hamburg zu tun haben, könnte die Einsamkeit in Spadenland bald nur noch eine Erinnerung sein.

Das hübsche Deichidyll mit seinen Reetdachhä­uschen wird immer mehr zum Hotspot für Ausflüge der

Stadtbevöl­kerung. An den Wochenende­n rasen Rennradfah­rer und Inlineskat­er über den Asphalt am Deich.

Nicht alle Spadenländ­er mögen das. „Was hier mit Fahrrädern los ist, das geht auf keine Kuhhaut“, brummt Olaf Neumann, ein Bekannter der Rolffs, von seinem Traktor. Gerade hat er Gras aus seinem Graben geholt, „der Verkehr stört mich schon“, sagt er.

Wenige Meter von seinem Feld entfernt hat vor einiger Zeit ein neues Restaurant eröffnet, am Wochenende kommen Spaziergän­ger und Fahrradfah­rer dorthin. Auch einen Außenberei­ch und Liegestühl­e gibt es, wie man sie aus Klubs an den Landungsbr­ücken kennt.

Den Betreiber des Restaurant­s finden die Spadenländ­er wirklich nett. Aber Currywurst für 11,50 Euro – das findet Neumann verrückt. Und Trüffelpom­mes braucht seiner Meinung nach wirklich kein Mensch. Vielleicht kommt die Stadt mit ihren Verlockung­en und Zumutungen bald näher, als hier vielen lieb ist.

Aber noch liegt hier ein Stück Hamburg, das völlig unbefleckt ist von Touristeng­ruppen, Discounter­parkplätze­n und Starbucks-Cafés. Als hätte die Globalisie­rung am Elbdeich einen kleinen Sprung gemacht und wäre erst hinter dem Ortsausgan­gsschild wieder gelandet.

Einige Meter vom Bauernhof der Rolffs entfernt transporti­eren Baumaschin­en Material. Der Lärm füllt die Straße, das Gebäude wird bald fertig sein. Schon lange haben auch Außenstehe­nde Spadenland als neuen Wohnort gewählt. Junge Familien ziehen aus der Innenstadt an den Deich, die Nähe zum Zentrum macht die grüne heile Welt populär.

„In der guten alten Zeit“, sagt Thomas Rolffs, „gab es hier nur Gemüseanba­u“. Und trotzdem: Das Ehepaar Rolffs will in Spadenland alt werden. Egal, was noch kommt. „Wir sind hier vielleicht ein bisschen dröge Norddeutsc­he. Aber das da“, sagt Thomas Rolffs und zeigt in Richtung Kürbisse und Annett, „ist alles, was ich brauche“.

„Wir sind ja hier für uns. Hamburg ist weit weg.“

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Horizont sind vielleicht das Modernste im Spadenland.
Die Windräder am Horizont sind vielleicht das Modernste im Spadenland.
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Im Spadenland sind sie noch zu sehen: Häuser mit traditione­llem Reetdach, wie sie früher für ganz Norddeutsc­hland typisch waren.
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Viel Wasser und viele Felder: Im Süden von Hamburg ist von der Metropole sehr wenig zu sehen.

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