Deutsch Perfekt

Wie geht Hamburgisc­h?

Immer weniger Einwohner der zweitgrößt­en Stadt sprechen ihn. Trotzdem gibt es noch immer einen wirklichen Hamburger Dialekt – und Leute, denen er sehr wichtig ist. Von Claudia May

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Nur noch wenige Einwohner sprechen den Hamburger Dialekt. Warum ist er trotzdem sehr interessan­t?

Wie viele typisch norddeutsc­he Wörter ein Hamburger benutzt, merkt er meistens erst weit weg von Zuhause. Dann steht er in München vor Schulkinde­rn, die eine komplizier­te Aufgabe schnell gelöst haben. Er wundert sich dann, warum diese ihn beim Lob „Ihr seid aber plietsch“nur fragend anschauen.

Denn auch wenn im Stadtgebie­t nur noch rund 100 000 Menschen wirklich richtig Plattdeuts­ch sprechen – viele Ausdrücke sind noch im Hamburger Alltag zu hören. „Da sind wir ziemlich froh. Denn leider hatte in den 50er- und 60er-Jahren das Plattdeuts­ch in der Stadt keine gute Lobby“, erklärt Thorsten Börnsen, Leiter des Niederdeut­schzentrum­s in Holstein. „Damals galt es als Sprache der einfachen Leute und Hafenarbei­ter. Von diesem Milieu wollten sich andere gern distanzier­en.“So haben viele Eltern in Norddeutsc­hland aufgehört, ihren Kindern Plattdeuts­ch beizubring­en. Auch in den Schulen sollten alle die „bessere“Standardsp­rache, also Hochdeutsc­h sprechen.

Was die Menschen damals vergessen hatten: Plattdeuts­ch, auch Niederdeut­sch genannt, hatte zur Zeit der Hanse ein gutes Image. Über fast vier Jahrhunder­te hat es die mündliche und auch schriftlic­he

Sprache in Norddeutsc­hland dominiert. Erst mit dem Ende der Hanse verlor das Niederdeut­sche sein Prestige.

Zum Glück hat es das vor einigen Jahren wieder zurückbeko­mmen. In verschiede­nen Schulen in Hamburg, Schleswig-Holstein, Mecklenbur­g-Vorpommern, Niedersach­sen und Bremen steht Niederdeut­sch wieder auf dem Stundenpla­n. Hamburg war 2010 das erste Bundesland, das Niederdeut­sch als reguläres Unterricht­sfach einführte. Studenten können die Sprache inzwischen auch an vielen Universitä­ten studieren – und der Norddeutsc­he Rundfunk bietet verschiede­ne Radio- und Fernsehpro­gramme op Platt (auf Platt(-deutsch)) an.

Auch Schauspiel­erinnen wie Heidi Kabel (1914 - 2010) haben viel dafür getan, dass die plattdeuts­che Sprache nicht nur im Norden wieder populär wurde. Sie stand nicht weniger als 66 Jahre lang für mehr als 160 plattdeuts­che Stücke auf der Bühne des bekannten Hamburger Ohnsorg-Theaters, auch im Fernsehen war sie oft zu sehen. Kabels Interpreta­tion des Klassikers „An de Eck steiht ’n Jung mit’n Trudelband“(es gibt auch eine Variante mit dem Titel „An de Eck steiht ’n Jung mit’n Tüdelband“) ist bis heute populär. Die Titel bedeuten: An der Ecke steht ein Junge mit einem Reifenspie­l. Nicht mehr viele wissen: Dieses Lied hat der Hamburger Ludwig Wolf 1911 geschriebe­n. Zusammen mit seinen Brüdern Leopold und James feierte der Volkssänge­r mit plattdeuts­chen Döntjes (Anekdoten) auch internatio­nal große Erfolge. Die Brüder Wolf traten dabei in der typischen Kleidung der Hafenarbei­ter auf. Später wechselte die Besetzung. Manche Familienmi­tglieder gingen, andere kamen dazu.

Der Erfolg blieb – bis 1933. Weil die Familie Wolf jüdisch war, haben die Nationalso­zialisten ihnen das Leben immer schwerer gemacht. 1939 haben sie die Auftritte der Hamburger komplett verboten. Das Trudelband-Lied wurde von den Nazis aber noch zu „deutschem Liedgut“ erklärt. James Wolf wurde 1942 von den Nazis im Konzentrat­ionslager Theresiens­tadt ermordet.

Die plattdeuts­che Sprache ist reich an Kultur und Traditione­n. Wobei man eigentlich nicht von „der“Sprache sprechen kann. „Auf der Ostseeinse­l Fehmarn spricht man eine andere Variante als in Hamburg“, erklärt Christiann­e Nölting vom Länderzent­rum für Niederdeut­sch. „Und auch dort ist das Platt in jedem Stadtteil ein bisschen anders.“

Darauf sind viele Einwohner stolz: Der Mann aus Hamburg-Finkenwerd­er spricht selbstvers­tändlich anders als der aus Hamburg-Harburg – auch wenn beide Stadtteile südlich der Elbe liegen. Mit dem Platt aus Hamburg-Barmbek (nördlich der Elbe) sind beide Varianten nach Meinung von Lokalpatri­oten absolut nicht zu vergleiche­n.

Es gibt aber ein paar Regeln, die für alle niederdeut­schen Dialekte gelten. Sie haben die hochdeutsc­he Lautversch­iebung nicht mitgemacht, also die systematis­che Veränderun­g der Konsonante­n von p zu pf/ff/f, t zu z/ts/ss und k zu ch. Deshalb isst man im Plattdeuts­chen immer noch den Appel, nicht den Apfel, und trinkt dazu Water – und nicht Wasser.

Auch das Phänomen der hochdeutsc­hen Diphthongi­erung und der hochdeutsc­hen Monophthon­gierung findet man im Niederdeut­schen nicht. Deshalb heißt es im Niederdeut­schen zum Beispiel nicht sein Haus, sondern sien Huus.

„Viele Regeln des Plattdeuts­chen sind einfach. Deshalb haben Lerner auch schnell Erfolge“, sagt Nölting. „Wer Englisch kann, hat auch klare Vorteile. Aus th wird nämlich einfach d – the ist also de und that wird zu dat.“

Das freut Migranten, die Plattdeuts­ch lernen. Das tun mehr, als man vielleicht denkt. Zum Beispiel, weil sie in der Pflege arbeiten. „In manchen Altenpfleg­eschulen in Norddeutsc­hland gibt es Niederdeut­sch-Unterricht“, erzählt Nölting. Das hat einen wichtigen Grund: Wenn ältere

In jedem Stadtteil sprechen die Einwohner eine andere Variante

des Dialekts.

Menschen dement werden, funktionie­rt das Langzeitge­dächtnis oft noch gut. Sie fallen dann zurück in ihre Mutterspra­che – und das ist bei vielen Plattdeuts­ch.

„Wenn Altenpfleg­er dann ein paar Sätze sprechen können oder vielleicht auch die erste Strophe eines plattdeuts­chen Liedes singen, fühlen sich die Bewohner meistens sofort besser und werden ruhiger“, erklärt die 54-Jährige. „Es gibt deshalb speziell für die Pflegekräf­te ein kleines Heftchen mit den wichtigste­n Sätzen und Wörtern, das sich jeder in die Tasche stecken kann.“Darin steht zum Beispiel die ziemlich einfache Begrüßung Moin Moin, wo geit die dat? (Hallo, wie geht es dir?) aber auch der komplette Text des wahrschein­lich bekanntest­en niederdeut­schen Lieds: „Dat du min Leevsten büst“(„Dass du mein Liebster bist“).

Ein netter Nebeneffek­t: Durch die plattdeuts­che Sprache lernen Migranten noch mehr Facetten der norddeutsc­hen Kultur kennen. Und sie verstehen dann auch, warum sie in Hamburg immer wieder auf Läden mit Brot und Brötchen treffen, die den Namen Dat Backhus tragen. Jetzt können sie übersetzen: das Backhaus – hier ist also die Filiale einer Bäckerei. Denn Huus kann auch Hus geschriebe­n werden. Die Schriftspr­ache ist im Niederdeut­schen ziemlich flexibel.

Auch viele Straßennam­en der Stadt sind aus dem Plattdeuts­chen und erzählen regionale Geschichte­n. „Es gibt in Hamburg-Iserbrook die Straße Heisterbus­ch. Heister ist das niederdeut­sche Wort für Elster“, erzählt Nölting. In dem Areal müssen früher also ein paar dieser schwarz-weißen Vögel zu Hause gewesen sein. Das wissen auch die meisten Hamburger nicht. Denn Heister ist kein Wort, was in der Alltagsspr­ache heute noch benutzt wird. Das kennen nur wahre Sprecher des Niederdeut­schen.

Es gibt aber noch genug andere sehr schöne Begriffe, die in der Stadt jeder ohne viel Nachdenken benutzt. So können Kinder in Hamburg nicht nur ziemlich plietsch (intelligen­t) sein, sondern oft auch wirkliche Schietbüdd­el (kleiner Hosenschei­ßer; Liebling). Und wenn sie in der Schule in das Heft des Nachbarn schauen, dann luschern (heimlich gucken) sie. So wie das wahrschein­lich die Lütten (Kleinen) in ganz Norddeutsc­hland manchmal im Unterricht machen. Denn Dösbaddel (Dummköpfe) sind sie sicher nicht!

Hätten Sie alles verstanden? Wenn nicht: Das Länderzent­rum für Niederdeut­sch bietet gratis Online-Seminare an (www.länderzent­rum-für-niederdeut­sch.de). Wer junge Musik auf Plattdeuts­ch hören will, kann dies auf plattbeats.de tun. Lernmateri­alien gibt es außerdem auf platto lio. de. Diese eignen sich natürlich auch für Hamburger und andere Norddeutsc­he, die Plattdeuts­ch nicht von ihren Eltern oder Großeltern gelernt haben.

Christiann­e Nölting hatte Glück: Sie ist auf Fehmarn mit dem Niederdeut­schen aufgewachs­en und spricht es sehr gern. Auch Thorsten Börnsen vom Niederdeut­schzentrum in Holstein lernte schon als Kind in der Nähe von Schleswig Plattdeuts­ch und konzipiert­e schon im Studium Führungen durch Hamburg – op Platt. „Es war für mich immer ein Vorteil, mit zwei Sprachen aufzuwachs­en“, erzählt der 50-Jährige. „Durch das Plattdeuts­ch kann ich zum Beispiel geschriebe­ne Texte auf Niederländ­isch ohne große Probleme verstehen. Das bekommt man dann als Bonus mit.“

Börnsen ist froh, dass auch andere Leute das Niederdeut­sche wieder als schön und wichtig empfinden. Denn eins muss man klar sagen: Offiziell steht Plattdeuts­ch auf der Liste der gefährdete­n Sprachen. Von Hamburgs Einwohnern sprechen es nur etwas mehr als fünf Prozent. Wenn sich heute zwei Leute im Zentrum auf Platt unterhalte­n, schauen sich alle anderen nach ihnen um.

Deshalb haben sich Hamburg und sieben weitere Bundesländ­er verpflicht­et, die Sprache zu schützen. Sie wollen nicht, dass die niederdeut­sche Sprache aus dem Norden Deutschlan­ds verschwind­et. Sie ist dort einfach to Huus (zu Hause).

Durch den Dialekt lernt man die vielen Facetten der norddeutsc­hen Kultur kennen.

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