KLEINBRITANNIEN Die Hamburger und ihre Liebe zu England
Kaum jemand außerhalb Englands tut so viel für das eigene Englischsein wie die Hamburger. Klappt aber nicht immer. Was ist das für eine Tradition? Von Susanne Mayer
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Einmal war ich wirklich unsicher. Hatte ich einen Blackout? Wir kamen vom Elbstrand hoch, ich mit den Gedanken noch ganz woanders. Wir traten auf die Wiese. Da lag es vor mir: das ganze Szenario. Der englische Landschaftsgarten. Geplant 1785 durch Caspar Voght, der damals eines der großen hanseatischen Handelshäuser leitete. Inspiriert durch einen englischen Dichter namens William Shenstone, Realisierung durch einen schottischen Gärtner namens James Booth. Ich sah Herren in weißen Anzügen auf wunderbarem Grün. Vielleicht standen sie nur da. Dann aber verstand ich: Oh Gott, Kricket! Hinten das weiße Herrenhaus mit Terrasse und davor im Gras – Entschuldigung, auf dem pleasure ground – die Familien beim Picknick. Und über allem eine Regenwand – England! Viva Britannia! Mitten in Hamburg, eine Downton Abbey-Vision, dazu etwas Sentimentalität, das permanente Risiko des nächsten Regens und, wahrscheinlich auch das, einer hanseatisch korrekten Performance. Fehlte nur noch Pimm’s! Pimm’s? Kennen Sie nicht?
Pimm’s ist ein britischer Aperitif, der in England nachmittags mit Gurkensandwiches genommen wird oder mit Erdbeeren mit fester Sahne. Pimm’s ist in Hamburger Supermärkten im Angebot, wenigstens im satten Hamburger Westen. Leider ist er aber oft nicht mehr zu haben, wahrscheinlich weil in Hamburg so viel Pimm’s getrunken wird. Pimm’s ist typisch englisch. Es ist eine geschmackliche
Herausforderung. Für viele auf dem Kontinent eine zu große – also für viele außerhalb von Hamburg.
Kaum jemand außerhalb von England gibt sich so viel Mühe mit dem Englischsein wie die Hamburger. Hier ist Englischsein eine Manie. Es gibt nur ein paar grandiose Missverständnisse. Nicht nur, weil Englischsein ja so ernst genommen wird, was gar nicht sehr englisch ist.
Kricket wird in Hamburg fanatisch gespielt wie Polo oder Crocket, was so etwas Ähnliches ist wie Polo ohne Polo-Ponys, also für Damen. Polo hat eine große Historie. Es kommt aus Zentralasien, kam dann über den Iran auf den indischen Subkontinent. Dort sah ein britischer Offizier das Spiel 1859 und rief: „Müssen wir lernen!“Zehn Jahre später war das Spiel in London.
Und bald auch in Hamburg. Eigener Polo-Club! Schon 1898! Hier kann man sie schon erkennen, diese geheime Rivalität zwischen dem Hanseaten und dem Engländer. Wie es ein hanseatischer Banker einmal in seltener Selbstironie akzentuierte: „Der Hamburger ist der Übergang vom Engländer zum Menschen.“
Selbstironie. Ist natürlich die Essenz vom Englischsein. Hat auf Twitter einen eigenen Account, „Very British Problems“. Geht mehr oder weniger so: „Arbeit gut?“– „Keine Ahnung.“– „Sicher?“– „Nie.“Selbstironie ist ein flüchtiges Wesen, sagen wir, über Hamburg weht es hinweg. Dafür sprechen die Institutionen. Der Anglo-German Club an der Alster, kleiner Palast mit fetten roten Teppichen. Damen waren dort als Gäste lange nicht
Kricket wird in Hamburg fanatisch gespielt wie Polo oder Crocket.
willkommen – und für Mitglieder war bis 2018 die Regel: „Men only!“Der Polo-Club natürlich. Er liegt in den sogenannten Elbvororten, direkt neben dem Derby. Man sagt hier „Döörbi“, was eigentlich Amerikanisch ist – eines der nicht wenigen Missverständnisse in dieser hanseatischen Liebe zum Englischen. In der Nähe vom Döörbi liegt der Golfplatz zwischen den alten Villen. Die Villen liegen in großen Gärten mit perfekt geschnittenem Gras und noch viel mehr: Rhododendron, Rhododendron, Rhododendron. Vermutlich weil Rhododendron in Hamburg als so superenglisch gilt. Rhododendron!
Wissen die Hanseaten denn nicht, dass die englische Gartenqueen Vita Sackville-West schon vor langer Zeit Rhododendren „fette, langweilige Banker“genannt hat? Sicher ist: Rhododendren gelten in Großbritannien als Unkraut, in Hamburg sind sie überall zu sehen. Anders als das Exzentrische, das sehr englisch ist, das man in Hamburg aber absolut nicht mag. Vielleicht wird der Rhododendron hier so geliebt, weil die Farbpalette so neutral ist wie die Herrenanzüge. Die sind in Hamburg, so sagt es ein Kenner, in jeder Farbe erlaubt, solange es Grau oder Blau ist. Aber ja, es gibt in Hamburg wirklich sehr viele Banker. Banker und Juristen. Die Begleitflotte des Welthandels.
Hanseaten, die Weltgeschäfte betreiben, tragen neutrale Anzüge. Entweder Cordhosen oder Anzüge aus Harris-Tweed, zu haben unter den Alsterarkaden, bei Ladage & Oelke (sprich: LadaSCH). Ladage & Oelke ist für den Hanseaten ein Tempel. Hier stehen auf polierten Dielen Schrankkoffer, die aussehen wie gerade zurück aus den Kolonien. Es gibt Whisky, schottische Wollprodukte Herrenschuhe von Crocket & Jones. Daneben stehen hübsche Regenschirme. Aus Italien, nobody is perfect.
Man hört, dass sogar Engländer nach Hamburg reisen, um bei Ladage & Oelke einen Dufflecoat zu kaufen, der in London gar nicht mehr zu haben ist.
Ladage & Oelke aber stellt ihn selbst her. Da ist der Engländer ein bisschen neidisch auf diese Hanseaten. Die tragen ihren Harris-Tweed sogar dreiteilig. Natürlich trägt in England kein intelligenter Mann dreiteiligen Tweed, vor allem nicht im Sommer. Und wenn, dann sicher nichts aus neuem Tweed. Ein richtiges Tweed-Jackett wird über Generationen getragen oder vom Hund kaputt gemacht. In England gilt neuer Tweed als spießig.
Nicht so in Hamburg, wo immer alles hübsch ist. Kleine Hanseaten lernen das früh, vermutlich weil Generationen von ihnen in Miniatur-Matrosenanzügen aufgewachsen sind. Direktimport aus England, vertrieben über „Die Kinderstube“(sprich: S-tube). Mit diesem Laden ist es seit Generationen schon vorbei, wie ja auch das britische Konsulat von der Alster weg ist. Weg auch der British Council. Nicht einmal die Prinz Hamlet- Dampferlinie gibt es noch, mit der große und kleine Hamburger früher nach England fahren konnten.
Will man verstehen, wie das alles so gekommen ist, muss man weit in die Vergangenheit zurückgehen. Bis 1266, da bekam Hamburg eine eigene Handelsvertretung in London. 200 Jahre später wurde die Stadt zum Tor für den kompletten englischen Warenhandel mit Europa. Englische Kaufleute hatten Geschäfte an der Alster. Auf der anderen Seite war London das Lieblingsziel der jungen Hamburger Kaufmänner. Manchmal lagen im Hafen mehr Schiffe unter englischer als unter Hamburger Flagge. Sogar das neue schicke Abwassersystem kam aus England. In Hamburg haben die Beatles ihre Weltkarriere gestartet (siehe Deutsch perfekt 1/2020), aber Punk wurde nicht populär, sondern Pomp and Circumstance.
Jaja. Ein paar hundert Jahre lang den Engländer spielen, aber was hat’s geholfen? Sicher ist: Das Englischsein in Hamburg bleibt eine sehr ernsthafte Sache. Es ist kein Spaß. Höchstens für zuschauende wirkliche Engländer.
Rhododendron
ist für viele Hambuger sehr englisch – nicht aber für die Engländer.