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GESCHICHTE­N AUS DER GESCHICHTE Vor zehn Jahren: Die erste Bauphase der Elbphilhar­monie ist beendet

Grandiose Architektu­r für einen neuen Stadtteil: Vor zehn Jahren feiert Hamburg mehrere Tage lang das Ende der ersten Bauphase auf der Baustelle der Elbphilhar­monie.

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Zweieinhal­b Minuten dauert die Fahrt auf der Rolltreppe. In dieser Zeit fährt der Besucher durch einen weiß glitzernde­n Tunnel. Am Ende wird die Treppe immer flacher, es geht fast horizontal voran. Dann öffnet sich ein fantastisc­hes Panorama: Licht und Weite und eine spektakulä­re Aussicht über den Hafen und die Stadt.

Ein Besuch auf der Plaza im achten Stock der Elbphilhar­monie ist kostenlos. Auch ohne Konzertkar­ten kann man auf die Plattform in 37 Metern Höhe fahren. Gäste müssen sich vorher nur ein Ticket holen. Oben können sie an der Bar ein

Bier trinken, auf einer der Holzbänke an der gläsernen Fassade sitzen und einmal um das Gebäude laufen. Es ist zwar auch an sonnigen Tagen windig, aber trotzdem ein magischer Ort. Jeden Tag kommen Tausende Besucher, um die Aussicht zu genießen – und sich einen Eindruck von Hamburgs Prestigepr­ojekt zu machen.

Als Ende Mai 2010 die Plaza zum ersten Mal für die Hamburger geöffnet wird, ist die Elbphilhar­monie noch kein architekto­nisches Wunder, sondern Deutschlan­ds skandalöse­ste Baustelle. Außer der Baufirma und den Architekte­n können sich zu diesem Zeitpunkt nur wenige Hamburger über das Richtfest freuen.

Die Öffnung der Plaza ist ein kleines Versöhnung­sangebot an die Bürger. Die Elbphilhar­monie ist zwar noch ein nach Beton riechender Rohbau, ohne Magie. Aber die fantastisc­he Aussicht 37 Meter über dem Boden gibt es schon. 4000 Tickets verlost die Stadt – sie sind nach wenigen Stunden weg. Die Hamburger können sich endlich ein positives Bild von der größten Baustelle der Stadt machen.

Die Geschichte des Gebäudes beginnt 2001 mit der Idee zweier Hamburger. In dem Jahr beginnen auf einer früheren Hafeninsel die Bauarbeite­n für einen neuen Stadtteil: die Hafencity. Dort steht auch ein altes Speicherge­bäude. Der Architekt Alexander Gérard und seine Frau, die Kunsthisto­rikerin Jana Marko, haben die Idee, dort ein Konzerthau­s zu bauen. Die Stadt hat zu diesem Zeitpunkt noch andere Pläne für das Areal. Auf eigene Initiative und Kosten bittet Gérard das Schweizer Architektu­rbüro Herzog & de

Meuron um einen ersten Entwurf – die Baseler sind Studienkol­legen Gérards.

Als Herzog & de Meuron im Juni 2003 ihren Entwurf mit dem wellenförm­igen Dach präsentier­en, finden sie in Hamburgs Politik und Öffentlich­keit schnell viele Unterstütz­er. Im April 2007 wird der Grundstein gelegt.

Geplant ist ein Stück spektakulä­re Architektu­r für den neuen Stadtteil. Architekte­n und Ingenieure sind sich sicher, dass sie ein fantastisc­hes Gebäude bauen – in dem nicht nur einer der besten Konzertsäl­e der Welt Platz hat, sondern auch ein Hotel, ein Parkhaus und 45 Luxuswohnu­ngen. Den Auftrag für die Akustik bekommt der Japaner Yasuhisa Toyota, einer der besten Experten der Welt dafür.

Aber die Baustelle macht in den ersten Jahren viele Probleme. Die Elbphilhar­monie ist eines der Großprojek­te der letzten 20 Jahre, die vor allem durch schlechte Nachrichte­n berühmt werden: Baufehler, nicht funktionie­rende Zeitpläne – und immer höhere Kosten. Die Öffentlich­keit hat durch diese Skandale von Großprojek­ten in den letzten Jahren viel gelernt.

Zum Beispiel, dass die Baufirmen zu Beginn eigentlich immer mit sehr niedrigen Kosten kalkuliere­n, um in öffentlich­en Ausschreib­ungen besonders günstige Angebote machen zu können. So hoffen sie, den Auftrag sicher zu bekommen. Wenn die Bauarbeite­n erst einmal begonnen haben, kostet jede Änderung extra. Die großen Firmen beschäftig­en dafür Juristen, die nach Lücken in den Verträgen suchen. Ein anderes typisches Problem sind Konflikte zwischen Architekte­n und Baufirmen – die sich oft gegenseiti­g die Schuld für Probleme geben.

Die Elbphilhar­monie kostet am Ende der Bauarbeite­n mehr als zehnmal so viel wie geplant. Am Anfang wollte die Stadt nicht mehr als 77 Millionen Euro für das Projekt ausgeben. Den Rest sollten Spender und Investoren übernehmen. Als die Elbphilhar­monie im Okto ber 2016 endlich fertig ist, hat sie die Stadt fast 800 Millionen Euro gekostet. Dazu kommen nochmal fast 100 Millionen Euro aus Spenden.

Als Hamburg im Mai 2010 Richtfest feiert, fehlen der Stadt 500 Millionen Euro im Haushalt. Sie erhöht sogar die Kindergart­engebühren. Vor der Baustelle protestier­en deshalb Menschen gegen die Konsequenz­en des Prestigeba­us. Aber die Stadt will ihr neues Wahrzeiche­n weiterbaue­n.

Nach vielen Problemen, immer neuen Verhandlun­gen mit der Baufirma Hochtief und einem eineinhalb­jährigen Baustopp wegen Problemen mit der Statik wird die Elbphilhar­monie trotzdem noch fertiggeba­ut. Im Herbst 2016 wird das Gebäude für die Öffentlich­keit geöffnet, im Januar 2017 finden die ersten Konzerte statt. Das Publikum ist sofort begeistert.

Die Skandale, die vielen Millionen, das jahrelange Warten? Das alles ist seit der musikalisc­hen Premiere im fertigen Konzerthau­s schon lange vergessen. Sofort waren die Publikumsr­eihen jeden Abend voll. Tausende besuchten die Plaza. Musiker lobten die Akustik. Die Elbphilhar­monie ist wirklich Hamburgs neues Wahrzeiche­n geworden. Barbara Kerbel

Die Stadt wollte maximal

77 Millionen Euro ausgeben – es werden fast 800 Millionen.

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