WIE GEHT ES EIGENTLICH … Blohm + Voss?
Wer Hamburg besucht, blickt sehr wahrscheinlich auch auf diese Werft. Wie hat Corona ihre Situation verändert? Von Kristina Läsker
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Schiffe gucken ist in Hamburg eine Attraktion. Und wer zuletzt vom Fischmarkt aus über die Elbe zu Blohm + Voss schaute, bekam viel geboten. Links lag der Urlaubsdampfer Hamburg, in der Mitte der Frachter Frederik, daneben war das Luxus-Kreuzfahrtschiff Europa 2 zu sehen. Und dahinter konnte man zwei Fregatten in den Docks erkennen. Die Maschinen sind zurzeit auch am Wochenende zu hören. Das ist der Sound des Booms von Hamburgs letzter Großwerft.
Reparaturwerften wie Blohm+Voss sind beliebt wie selten. Trotz oder besser gesagt: wegen Corona. Auf der ganzen Welt sind etwa 920 Schiffe stillgelegt, rund 400 Kreuzfahrtdampfer und 520 Frachter. Viele Reedereien ziehen jetzt Schönheitsreparaturen vor. Wie auf der Hamburg in Dock 10, wo sie elektrisch absenkbare Panoramafenster einbauen. Für Schiffbauer wie Blohm + Voss ist das wenig spannend, aber es hilft. Denn die Traditionswerft hatte lange Zeit wirtschaftliche Probleme. Wegen der extra Reparaturen erwartet Emanuel Glass von der IG Metall dieses Jahr echte Gewinne: „Blohm+Voss profitiert von der Corona-Krise.“Aber wie stark wird der Effekt dieses Booms sein?
Mitte Mai gaben die Schiffbauer Lürssen und German Naval Yards eine neue Allianz bekannt. Gemeinsam wollen sie
in Zukunft Marineschiffe bauen und ihre Rüstungsschmieden in einer Tochterfirma bündeln. Blohm + Voss gehört zu Lürssen, das Ganze soll der Werft viele Aufträge bringen. „Für Hamburg ist das ein sehr gutes Signal“, sagt Siemtje Möller, die als SPD-Bundestagsabgeordnete aus Emden im Verteidigungsausschuss sitzt. Blohm + Voss machte lange Zeit in der Militärindustrie ihr Geld. Gegründet 1877, baute die Werft Kriegsschiffe für die Kaiserliche Marine, in den Weltkriegen stellte sie mehr als 300 U-Boote her.
In den letzten Jahren hat das Firmenimage in der Branche allerdings Schaden genommen. Zweimal wurde der Betrieb innerhalb einer Dekade verkauft. 2011 gab ihn Thyssenkrupp an den Finanzinvestor Star Capital. Der versprach Aufträge für Jachten, die nie kamen. Seitdem die Eclipse 2010 an den Oligarchen Roman Abramowitsch ging, haben sie hier keine Megajacht mehr entwickelt. Der Investor verkaufte einzelne Teile der Firma und behielt das Beste. Auch diesen Rest verkaufte er, als er das Dreifache seiner Investitionen zurückhatte.
2016 übernahm Lürssen und entließ 300 Mitarbeiter. Er investierte etwa 20 Millionen Euro in die Maschinen und Hallen. Dafür müssen Beschäftigte bis Ende 2020 geringere Löhne akzeptieren und mehr leisten.
Sinan Gel arbeitet seit Jahren auf der Werft. Er ist ein „echter Blohmer“, wie sie in Hamburg sagen. Gel, der eigentlich anders heißt, ist wütend. Er findet, dass all die Besitzer nur Löhne, Stellen und Rechte der Mitarbeiter gekürzt haben. „Ich fühle mich ausgebeutet.“
Hat er mit seiner Kritik recht? Bringt die Fusion neue Jobs, oder werden es noch einmal weniger? Kommen bald Aufträge oder mehr Ausbeutung? Darüber streiten sie an der Elbe.
Lürssen ist ein Familienbetrieb. Die Bremer gehören zu den reichsten Familien in Deutschland, über ihre Gewinne sprechen sie ungern. Nun gibt die Familie etwas Kontrolle ab. Die neue Allianz soll „Arbeitsplätze und Technologiefähigkeit für den nationalen Standort
langfristig sichern“, sagt Friedrich Lürßen. Der 70-Jährige führt die Werften der Gruppe an acht Standorten mit seinem Cousin. Peter Lürßen plant den Bau von Superjachten, Friedrich Lürßen verkauft Kriegsschiffe ins In- und Ausland. Er hat gute Kontakte ins Verteidigungsministerium, für Aufträge ist er manchmal auch mit der Kanzlerin auf Reisen.
Der Arbeiter Sinan Gel weiß wenig über Rüstungspolitik, seine Kollegen haben ihm vom Marine-Deal erzählt. Gel kommt aus der Türkei. Er ärgert sich darüber, wie er als Mitarbeiter behandelt wird. Er fühlt sich schlecht informiert über die Fusion. „Es gibt keine Transparenz.“Die Zukunft scheint zwar gut. Gel sorgt sich trotzdem um seinen Job.
Seine Ängste sind nicht unbegründet. Nur 40 Seewerften haben die Finanzkrise vor etwas mehr als zehn Jahren überlebt. Davor wurden an Nord- und Ostsee große Containerschiffe gebaut. Die Aufträge gingen nach China und Südkorea.
Die deutschen Ingenieure konzentrierten sich auf Spezialschiffe mit viel Know-how: auf Jachten, Kreuzfahrtschiffe, Fähren, Fregatten, Korvetten oder U-Boote. „Es hat sich ausgezahlt, auf diese Nischen zu setzen“, sagt der Werften-Experte Thorsten Ludwig. Der Bau von Kreuzfahrtschiffen wie auf der Meyer-Werft boomte. „Das war eine Lizenz zum Gelddrucken.“
Doch viele Werften leiden unter der Krise – weil nun zwar mehr repariert wird, über die lange Zeit aber möglicherweise weniger neue Schiffe gebaut werden. Ende 2019 hatten deutsche Werften noch Aufträge über 54 Schiffe. „Wir schätzen, dass Blohm + Voss mit Fregatten und Korvetten ausgelastet gewesen wäre bis Oktober 2022“, sagt Gewerkschafter Glass. Das war vor Corona. Seitdem fallen aber Urlaube und Kreuzfahrten aus, weniger Waren werden über die Meere transportiert. Hunderte Schiffe sind ohne Beschäftigung. Und Reedereien versuchen, Bestellungen auf Werften rückgängig zu machen. „Es gibt bereits mehrere Storni“, sagt ein Insider.
Von Januar bis Ende April wurden in Europa nur fünf Schiffe bestellt. 2019 waren es in diesen Monaten 31 Schiffe. „Vor uns liegt ein Auftragsloch“, sagt Reinhard Lüken vom Verband Schiffbau und Meerestechnik. Seine Sorge: Wenn jetzt nicht bestellt wird, gibt es in drei bis vier Jahren nichts mehr zu tun.
Der Flensburger Fährenbauer FSG hat bereits Insolvenz angemeldet, branchenweit sind mehr als 7000 Werftarbeiter in Kurzarbeit. Das verunsichert viele. Mehr als 18 000 Menschen arbeiten laut IG Metall direkt auf einer Werft, mehr als 65 000 bei Zulieferern. Und das sind nur die Angestellten mit unbefristetem Arbeitsvertrag. In den Docks hatten vor Corona mehr als 20 200 Leiharbeiter und Werkvertragsarbeiter Arbeit, viele aus dem Ausland. Wie viele von ihnen ihren Job verloren haben, kann niemand sagen.
Auch bei Blohm + Voss beeinflusst die Krise den Alltag. Kurz nach 14 Uhr strömen Männer in Jeans und mit Rucksäcken von dem großen Areal hinaus zu den Parkplätzen. Kurz vor 15 Uhr strömt es in die andere Richtung. Dazwischen Stille. Eine Stunde lang Pause für Mensch und Maschine. Sie soll helfen, dass sich die Mitarbeiter von Frühschicht und Spätschicht weniger begegnen und so auch weniger anstecken. Doch was richtig ist, kostet auch. „Wir haben auf manchen Werften Produktivitätsverluste von 20 bis 30 Prozent“, sagt Lüken vom Schiffbau-Verband.
Die Gesamtentwicklung der Branche sieht schlecht aus, auch für Blohm + Voss. Kriegsschiffe und die neue Marine-Allianz sorgen aber dafür, dass es der Werft bald besser gehen wird: Vor Kurzem hat sie gemeinsam mit der niederländischen Damen Shipyards Group den bis jetzt teuersten Marine-Auftrag der Bundeswehr erhalten. Die beiden dürfen zusammen vier Mehrzweckkampfschiffe vom Typ 180 bauen. Ein Auftrag von mehr als 5,3 Milliarden Euro. Für Blohm + Voss ist das der Jackpot. Der Betrieb dürfte für zehn weitere Jahre ausgelastet sein.
In den ersten vier Monaten 2020 wurden in Europa nur fünf Schiffe bestellt.