Kolumne – Alias Kosmos
Unsere Lieblingsrussin weiß: Für echte Hamburger ist sie ein Quiddje, der sein Auto ziemlich sicher an der falschen Stelle parkt. Aber das ist ohne passende Großeltern für sie auch nicht wirklich zu ändern.
Die deutsche Sprache unterscheidet zwischen geboren und gebürtig. Es heißt geboren in München, aber gebürtig aus München. Wer in München geboren ist, aber in Berlin lebt, ist ein gebürtiger Münchener. Ein geborener Münchener wurde in München geboren und lebt dort. Das gilt nicht nur für München, sondern auch für Berlin, Frankfurt, Köln und für alle anderen deutschen Orte – bis auf einen: Hamburg.
Wer in Hamburg geboren wurde, ist ein gebürtiger Hamburger. So weit, so gut. Dann aber wird es schwierig. Denn dieser Mensch ist damit noch nicht ein geborener Hamburger, selbst wenn er nie woanders gelebt hat. Zum In-Hamburg-Geboren-Sein gehören nämlich auch noch Eltern und Großeltern, die ebenfalls in Hamburg auf die Welt gekommen sein müssen. Wenn die Großmutter aus einer anderen Stadt nach Hamburg gezogen ist, dann kann auch ihr in Hamburg geborener Ehemann die Sache nicht retten: Weder Kind noch Enkel sind dann waschechte Hamburger. Das erinnert mich an das Kastensystem in Indien. Von der Geburt bis zum Tod bleibt ein Hindu in seiner Kaste: einmal Paria, immer Paria.
Die Zugezogenen gehören übrigens zu der niedrigsten Hamburger Kaste und werden Quiddje genannt. So bezeichnet man Fremde, die in Hamburg leben. Woher der Name genau kommt, ist unbekannt. Quiddje ist wahrscheinlich noch aus Zeiten, als fremde Kaufleute beim Eintritt in die Stadt Maut zahlen mussten und dafür eine Quittung bekamen. Ein geborener Hamburger ist im Vergleich dazu so etwas wie ein Adeliger, das sieht man auch in Hamburger Zeitungen: „Martin Müller, geborener Hamburger“, steht da zum Beispiel.
Die Brahmanen unter den Hamburgern sind aber die Hanseaten. Das sind Nachkommen der Traditionsfamilien, Reeder und Banker. Sie waren früher im Senat und in der Bürgerschaft und bestimmten das Leben der Stadt. Hanseat kann man heute nicht mehr werden. Aber Menschen, die durch die Geschichten ihrer Familien immer noch miteinander verbunden sind, haben in der Stadt bis heute das Sagen. Sie treffen sich in Klubs oder Stiftungen, in die ein Quiddje nie reinkommen könnte.
Und woran erkennt man einen echten Hamburger? Zum Beispiel an der Aussprache: Er sagt „Hamburch“statt „Hamburg“. Zur Begrüßung sagt er „Moin“, und das zu jeder Tageszeit. Alles, was südlich der Elbe liegt, ist für ihn Bayern, auch Hamburg-Harburg. Und wenn der Fischmarkt überflutet ist, dann zuckt er nicht einmal mit der Wimper.
Während sich das ganze Land darüber aufregt, dass die berühmte Fischauktionshalle wieder unter Wasser steht, weiß der Hamburger: Das ist in Ordnung. Die Türen werden vor Überschwemmungen nämlich genau dazu geöffnet, dass das Wasser durchfließen kann. Der Boden ist aus Kopfsteinpflaster, dem schadet das nicht. Quiddjes erkennt man daran, dass sie in diesem Gebiet auch bei Sturmflutwarnung ihre Autos parken – trotz der großen Schilder mit der Warnung „Überschwemmungsgebiet“.