Wie geht es eigentlich den …
Sie liefern ihren Kunden jede Woche ökologisch hergestelltes Obst und Gemüse nach Hause. Aber durch die Pandemie haben die Lieferfirmen Probleme bekommen – nur ganz andere, als Sie jetzt denken. Von Helena Ott
Gemüsekisten?
Die große Halle in Taufkirchen bei München würde für ein Wimmelbild gut passen. Angestellte bringen Kisten voll mit Obst und Gemüse in allen Farben und stellen sie in Regale, die in Halbkreisen stehen. In der Mitte steht Lea Hofmann vor einer Waage und packt Rote Bete, Äpfel und Lauch in grüne Kunststoffkisten – erst die schweren Sachen. Im Display leuchtet ein Balken grün auf, wenn das Gewicht passt. Dann schiebt sie die Kiste auf einem Rollband Richtung „Waage Zwei“. Dort steht ihre Kollegin Tanja Scarlett und gibt noch Trauben, Paprika und Salat in die Kiste. Scarlett (51) ist eine von mehr als 100 neuen Angestellten, die bei dem Betrieb Isarland Ökokiste in den letzten Monaten einen Job bekommen haben.
Die Corona-Pandemie hat die Wirtschaft wie einen schnell fahrenden Zug plötzlich gebremst. Wenige Firmen aber boomen dadurch. Im Fall der Isarland Ökokiste war das eigentlich ein fantastischer Boom – für kleine Betriebe kann das aber auch ein Problem sein.
Für Nicole Göhring, Chefin der Isarland Ökokiste, bedeutete der erste Lockdown eine Kombination aus Überforderung und Motivationshigh. Seit dem Frühling 2020 wollen 1800 Haushalte mehr als vor der Pandemie eine Gemüsekiste geliefert bekommen – das ist ein Plus von 30 Prozent.
Der Taufkirchener Boom ist kein Einzelfall. Gemüsekisten in ganz Deutschland berichten von Umsatzrekorden und Aufnahmestopps für Neukunden. Symptome des Kampfs gegen das Virus: gegessen wird wieder zu Hause statt in Betriebsrestaurants und Gaststätten. Und der Mensch wünscht sich Sicherheit. Manche suchen sie jetzt immer mehr in regionalem Biogemüse, das bis vor die Haustür geliefert wird. Die Nachfrage nach Bio-Lebensmitteln stieg in den ersten Pandemiemonaten laut einer Analyse der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) „deutlich stärker“als die Umsätze im restlichen Lebensmittelhandel. Ein Grund ist auch das Plus im Haushaltsbudget der Menschen, die nicht in Kurzarbeit mussten oder arbeitslos wurden. Wer nicht mehr in den Urlaub fahren und nicht mehr ins Restaurant gehen kann, der spart Geld.
„Wir sind regelrecht überrannt worden“, sagt Göhring. Eine Woche nach Beginn des ersten Lockdowns konnten sie bei Isarland keine neuen Kunden mehr akzeptieren. Sie brauchten mehr Angestellte. Zwei Kollegen aus dem Führungsteam führten ein Video-Vorstellungsgespräch nach dem anderen. Aus 90 Angestellten sind bis November 190 geworden: neue Fahrer, Packer und Logistiker. Unter ihnen Menschen, die vor der Pandemie als Stewardessen, Köche oder Eventtechnikerinnen gearbeitet haben.
Scarlett ist eigentlich Produzentin in einem Münchener Konzerthaus. Gegen die kühle Luft in der Halle hat sie sich warm angezogen. Ihr Mann ist DJ und arbeitet jetzt genau wie sie in einem anderen Beruf. Manchmal arbeitet er an der Waage neben seiner Frau. Sie sind „superfroh“über diesen Job, sagt Scarlett, „mit über 50 findest du nicht so leicht noch mal was Neues“.
Auch wenn sich Göhring über die neuen Kunden freut: Manchmal geht alles etwas zu schnell. An manchen Tagen verteilte die Wirtschaftsingenieurin spätabends noch Tee und Süßes an die Angestellten, weil die Lieferungen für den nächsten Morgen bis spät in die Nacht fertig gepackt werden mussten. Als Schulen und Kindergärten geschlossen waren, kümmerte sich ihr Mann im Homeoffice um die beiden Kinder zu Hause. Die 41-Jährige arbeitete in den letzten Monaten so viel wie nie, seit sie vor 15 Jahren ihr erstes Praktikum bei Isarland gemacht hat.
Jochen Saacke vom Verband Ökokiste glaubt: Die Pandemie ist „Stein des Anstoßes“für Menschen, die schon länger überlegen, sich nachhaltiger zu ernähren.
Wer nicht mehr in den Urlaub fahren oder ins Restaurant gehen kann, der spart Geld.
Für sie ist jetzt der richtige Moment gekommen, eine andere Art der Ernährung auszuprobieren, glaubt Saacke. Er hat regelmäßig Kontakt zu 40 Betrieben, die Bio-Obst und -Gemüse in ganz Deutschland vor Haus und Wohnungstüren liefern. Aus allen Teilen des Landes hört er von Rekorden: 30 Prozent neue Kunden, 50 Prozent mehr Umsatz.
Die Lieferbetriebe funktionieren alle nach einem ähnlichen Prinzip: Sie bekommen ihre Ware von regionalen Bio-Bauern und Bio-Gärtnern, füllen die Kisten – und einmal in der Woche klingelt ein Fahrer bei den Kunden oder stellt die Kiste an einem vorher vereinbarten Ort ab. Viele Bio-Kistenanbieter liefern auch andere Lebensmittel, wie Brot, Nudeln, Milchprodukte und Bio-Putzmittel.
Bei Isarland in Taufkirchen bestellt die Hälfte der Kunden eine Kiste, bei der der Lieferbetrieb entscheidet, was hineinkommt. Die anderen entscheiden im Onlineshop selbst, wie viele Karotten, Auberginen und Kartoffeln sie in ihrer Biokiste möchten.
Für die vorgeplanten Kisten nimmt Isarland am liebsten regionale und saisonale Produkte, sagt Göhring. Kunden können auf der Internetseite des Betriebs aber auch komplett regionale Kisten bestellen, mit Salat von einer bayerischen Bio-Gärtnerei oder Äpfeln von einem Obstbauern aus Baden-Württemberg. Bei 180 Kilometern ist aber Schluss. Alles, was von weiter weg kommt, ist nicht mehr „regional“.
Aber das heißt nicht, dass Isarland und viele der anderen Anbieter keine Bananen, Mangos und Avocados in die Kisten legen. Sie orientieren sich an den Kundenwünschen. Auch diese internationalen Produkte sind bio. Bei Isarland muss das Obst und Gemüse mindestens das EU-Bio-Siegel haben, sagt Göhring. Ihre Firma versucht aber, möglichst Bio-Ware mit strengeren Zertifikaten wie Naturland, Demeter oder Bioland einzukaufen.
Die Lieferstrecke aus Burkina Faso, Paraguay oder Ägypten wird so nicht kleiner. Aber die Ware kommt auf dem Schiff und nicht per Flugzeug nach Deutschland. Die Entscheidung, keine Südfrüchte zu kaufen, bleibt beim Kunden. Bei der Avocado zum Beispiel hat Göhring nach Berichten über die schlechte Klimabilanz sinkende Verkaufszahlen festgestellt.
Andere Prinzipien wie das der „Solidarischen Landwirtschaft“sind da radikaler und setzen komplett auf eigenen Anbau oder auf Produkte von Bauern aus der direkten Umgebung. Die Mitglieder finanzieren die Bauern. Jeder zahlt immer die gleiche Summe, egal wie viel die Bauern ernten. Sicher gibt es Gründe, sich für das eine oder das andere Prinzip zu entscheiden, findet Göhring. Und beide Prinzipien finden ihre Kunden.
Bei Isarland wird auch darauf geachtet, möglichst wenig Plastik zu verwenden und die Menge der Lebensmittelabfälle zu reduzieren. Gemüse und Obst liegen auf einem Stück Altpapier in der grünen Kiste, die die Kunden von dem Betrieb leihen. Früchte mit kleinen Fehlern kommen nicht in die Kisten. Die dürfen die Angestellten mitnehmen. Den Rest holen Fahrer der Münchener Tafel.
Der Kühlraum in der Halle in Taufkirchen hat sich inzwischen mit Stapeln fertig gepackter Kisten gefüllt, beschriftet nach Touren für die Fahrer am nächsten Morgen. Draußen ist es dunkel geworden. Vor dem großen Hallentor steht ein Holzschrank, der sicher geschlossen ist. Ein Kasten Kundenvertrauen. Dort lagern anonymisiert 570 Schlüssel von Kunden, die am Tag nicht zu Hause sind und ihre Kiste nicht selbst in Empfang nehmen können.
Ob die vielen Neukunden auch in der Zeit nach Corona bleiben werden? Nicole Göhring ist optimistisch. Sie glaubt, dass sich viele an den Komfort und den Geschmack gewöhnen.
Isarland musste
seit Beginn der Pandemie
7000 neue Transportkisten
kaufen.