Wie geht es eigentlich …
Birkenstock?
Socken in Sandalen – ja, das tragen viele Deutsche wirklich. Vielleicht kein Zufall, dass einer der bekanntesten Sandalenhersteller aus ihrem Land kommt.
Viele fragen sich gerade: Was wird aus ihm?
Wir führen die Marke wie ein Start-up mit 245 Jahren Tradition“, sagte Oliver Reichert, Co-Konzernchef der Birkenstock Group, vor anderthalb Jahren in einem Interview. Jetzt geht das Unternehmen mit der fast 250-jährigen Geschichte den Weg, den auch viele Start-ups nehmen: Es wird verkauft. Käufer ist das Private-Equity-Haus L Catterton zusammen mit dem französischen Milliardär Bernard Arnault. Das amerikanisch-französische Unternehmen ist ein enger Partner des französischen Luxuskonzerns LVMH (Louis Vuitton, Moët Hennessy, Dior), den Arnault kontrollliert. Als Preis werden rund vier Milliarden Euro inklusive Schulden genannt. Mitglieder der Eigentümerfamilie, nämlich die Brüder Alex und Christian Birkenstock, werden einen Minderheitsanteil behalten.
Die Entfernung der Eigentümerfamilie von dem Unternehmen läuft schon seit rund 20 Jahren. Früher waren Alex und Christian noch zusammen mit ihrem ältesten Bruder Stephan Birkenstock im Unternehmen. Allerdings hatten sie immer größere Meinungsverschiedenheiten, wie Reichert im April 2018 im Gespräch mit der Sonntagszeitung NZZ am Sonntag erzählte. Am Ende konnten sich die Brüder laut Reichert nicht mehr einigen. Deswegen wurde Stephan im Jahr 2013 ausbezahlt. Gleichzeitig zogen sich Alex und Christian aus dem operativen Geschäft zurück, und die 38 Einzelfirmen von Birkenstock wurden zu einer Gruppe mit den drei Geschäftsbereichen Produktion, Verkauf und Services zusammengefasst. Alex und Christian Birkenstock wählten jeweils einen Statthalter als Geschäftsführer.
So wird Birkenstock seit 2013 gemeinsam von Oliver Reichert (Statthalter von Christian) und Markus Bensberg (Statthalter von Alex) geführt. Zum ersten Mal leiten zwei Manager die Firma, die kein Teil der Familie sind. Reichert soll angeblich der Motor in dieser Dynamik sein, obwohl Bensberg schon seit mehr als 25 Jahren im Unternehmen arbeitet. Trotzdem sind die beiden Manager formell gleichberechtigt. Entscheiden können sie nur gemeinsam und in Vereinbarung mit den beiden Familienmitgliedern Alex und Christian Birkenstock.
Sie setzen weiter auf eine teure Marke, die für Qualität, Langlebigkeit und hochwertiges Design steht. Dabei arbeitete das Unternehmen in den vergangenen Jahren unter anderem mit dem kalifornischen Modedesigner Rick Owens zusammen. Das anatomisch geformte Fußbett bleibt das Herzstück der Marke. Es war Basis für das Image als Gesundheitsschuh, auch wenn das Unternehmen längst auch im Segment der geschlossenen Schuhe aktiv ist und dort wächst.
Die Geschichte von Birkenstock geht bis in das Jahr 1774 zurück. Damals gründete der hessische Schuster Johann Adam Birkenstock die Firma. Bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges hatte das Unternehmen seinen Hauptstandort in Frankfurt oder in der näheren Umgebung der Metropole am Main. Nach dem Krieg fand dann ein Wechsel nach Bad Honnef bei Bonn statt. Der heutige Hauptsitz ist nur wenige Kilometer südlich davon in Linz am Rhein (Rheinland-Pfalz).
Im vergangenen Geschäftsjahr machte das Unternehmen laut dem Handelsblatt mit etwa 4300 Mitarbeitern rund eine Milliarde Euro Umsatz. Die Gewinnmarge vor Steuern und Zinsen soll bei mehr als 20 Prozent liegen. Wie so oft bei Familienunternehmen sind Geschäftszahlen auf der Website kaum vorhanden.
Im Angebot hat der Konzern längst viel mehr als die klassischen Sandalen, die spätestens in den 80er-Jahren nicht nur in Deutschland, sondern auch in den USA extrem populär wurden. Sie galten früher als Lieblingsmarke von Umweltschützern und waren sehr beliebt bei Ärztinnen und Pflegern. Inzwischen sind sie in fast allen Schichten der Bevölkerung zur Mode geworden.
Heute verkauft der Konzern auch Strümpfe, Gürtel, Taschen, Schlafsysteme, Betten und Naturkosmetik. Reichert, der davor rund zehn Jahre lang im Sportfernsehen arbeitete, kann sich als zukünftige Geschäftsbereiche auch
Sitz- und Arbeitsmöbel vorstellen, wie er in Interviews gesagt hat. Dann würde Birkenstock alle Aggregatzustände des Menschen abdecken – Gehen, Stehen, Liegen und Sitzen.
Von sich reden machte Birkenstock unter anderem durch seinen Kampf gegen Produktpiraterie. Deshalb verkauft der deutsche Mittelständler seit 2018 auch nicht mehr über Amazon. Reichert fand, dass der US-Konzern nicht genug gegen Produktfälschungen auf der eigenen Plattform tut. In den Medien über das Unternehmen berichtet wurde in den vergangenen zehn Jahren außerdem wegen angeblicher Versuche, die Einführung eines Betriebsrates zu verhindern. Außerdem war von Lohnungerechtigkeiten zwischen Männern und Frauen in der Produktion zu hören.
Wegen Corona musste die Firma ihre Fabriken im vergangenen Frühjahr für acht Wochen schließen. Zwar produziert sie komplett in Deutschland. Aber viele Rohstoffe kommen aus anderen Ländern, zum Beispiel Kork aus Portugal, Leder aus Italien oder Naturlatex aus Asien über den Hafen von Rotterdam.
Trotz der Pandemie ist Birkenstock sehr gut durch das Jahr gekommen. Die digitalen Bestellungen hätten sich vervierfacht, sagte Reichert im Oktober im Gespräch mit dem Handelsblatt. In dem im September abgelaufenen Geschäftsjahr machte die Gruppe den gleichen Umsatz wie im Vorjahr, obwohl in der Produktion zwei Monate lang nichts mehr ging und auch der Verkauf im stationären Handel eine Zeit lang Pause machte. Reichert sah den Birkenstock stolz als offiziellen Homeoffice-Schuh.
Nun bekommt der Konzern also französisch-amerikanische Besitzer. Die werden, glauben viele, von der Traditionsfirma ein viel ökono mischeres Management verlangen – Deutschlands Birkenstock muss wohl bald schneller laufen. Michael Rasch
Trotz der oft geschlossenen Läden ist die Corona-Bilanz von Birkenstock
sehr gut.