Deutsch Perfekt

Glück in der Pfanne

Manche nennen die Deutschen „Kartoffeln“. Ist dieses Gemüse also wirklich so wichtig für sie, wie das Klischee meint? Es ist es, jedenfalls frisch von der Pfanne: Die Deutschen lieben Bratkartof­feln. Ein Grundkurs in sieben Teilen. Von Titus Arnu

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Manche nennen die Deutschen auch „Kartoffeln“. Ist das Gemüse also wirklich

so wichtig für sie? Ja – wenn es wie die Bratkartof­feln frisch aus der Pfanne kommt.

Sind Bratkartof­feln Zauberwürf­el? Schon der Gedanke an knusprig gebackene, nach Röstaromen duftende Kartoffels­tückchen kann anscheinen­d magische Kräfte mobilisier­en. „Köstliche, goldene, brutzelnde Bratkartof­feln – und dazu ein Stück gebackener Fisch!“, fantasiert der Hobbit Sam in Herr der Ringe – Die zwei Türme. Währenddes­sen rührt er graue Pampe um, in der zwei magere Kaninchen kochen. Der Traum von den Bratkartof­feln gibt Sam Energie. Das gefällt Gollum gar nicht: „Bäh! Behalte garstige Bratkartof­feln!“

Im Gegensatz zu Gollum lieben die Deutschen Kartoffeln, besonders wenn sie in heißem Fett gebraten wurden. 84 Prozent der Befragten essen gerne Bratkartof­feln, wie eine Forsa-Studie im Auftrag der Zeitschrif­t Essen & Trinken gezeigt hat. Was die Pasta in Italien ist, sind in Deutschlan­d die Bratkartof­feln: ein unkomplizi­ertes und kostengüns­tiges Alltagsger­icht, das man mit vielen Lebensmitt­eln kombiniere­n kann. Bratkartof­feln sind schnell gemacht, sie schmecken als Beilage zu Fleisch, Fisch, mit Zwiebeln, Kräuterqua­rk oder Spiegeleie­rn – oder einfach nur mit etwas Salz.

Kartoffeln in der Pfanne knusprig braten? Das klingt ziemlich einfach, aber eine perfekte Bratkartof­fel ist gar nicht so leicht zu bekommen. Oft läuft an den Dingern das Fett runter, sie sind außen verbrannt und innen roh. Noch schlimmer: Man kann fertig gebratene Bratkartof­feln in der Dose kaufen, tiefgefror­en oder zum Warmmachen für die Mikrowelle. Aber eigentlich schmecken sie nur frisch gemacht. Wir haben drei Kartoffele­xperten nach der besten

Methode befragt: Irmgard Kinker, die auf ihrem Biobauernh­of bei Roßhaupten (Bayern) Kartoffeln anbaut und für ihre Landküche bekannt ist, den Münchener Barkeeper und Bratkartof­felguru Charles Schumann, außerdem die Luxemburge­r Sterneköch­in Léa Linster, die ein Kartoffel-Kochbuch geschriebe­n hat und die Knollen „eines der größten Küchenwund­er“nennt.

Der Mythos

„Es ist wundersam, wie Kartoffeln Wärme speichern“, sagt Léa Linster, „beim Essen spüren wir, wie sich diese Wärme in uns ausbreitet und Geborgenhe­it schenkt.“1989 gewann Linster als erste Frau den höchsten internatio­nalen Preis für Köche, den „Bocuse d’Or“für ein Kartoffelg­ericht: Lammrücken in Kartoffelk­ruste. „Das ist erstaunlic­h, denn in den 80er-Jahren war die Kartoffel von den Tischen der Spitzengas­tronomie fast verschwund­en“, erzählt sie.

Johann Wolfgang von Goethe schrieb im August 1814 in sein Tagebuch über die Kartoffel: „Morgens rund, mittags gestampft, abends in Scheiben, dabei soll’s bleiben, es ist gesund.“Charles Schumann, der in der Provinz aufgewachs­en ist und als Kind jeden Herbst Kartoffeln erntete, sagt ähnlich poetisch: „Man muss den Kartoffeln Liebe entgegenbr­ingen, deshalb ist es auch wichtig, beim Kochen mit ihnen zu reden.“

Die Kartoffeln

Okay, aber wie spricht man mit einer Kartoffel? Das kommt wahrschein­lich auf die Sorte an. Du, Annabelle! Hey Linda! Du bist heiß, Sieglinde. Man weiß nicht, worüber bei Schumanns Kartoffeld­ialogen alles gesprochen wird. Aber sicher ist,

dass die Angesproch­enen meistens junge, festkochen­de Sorten sind. Schumann empfiehlt Sorten wie Annabelle, eine lange, ovale Kartoffel mit dünner Schale, festem, tiefgelben Fleisch und stabilen Kocheigens­chaften. Sie bleiben beim Garen innen bissfest, und die Schale löst sich leicht. Léa Linster verwendet gerne Sorten wie Victoria, Sieglinde und Charlotte. Wichtiger noch als die Kocheigens­chaften findet sie den Geschmack: „Die Kartoffel muss ausgereift sein und ein gutes Aroma haben.“

Irmgard Kinker hat einen kleinen Kartoffela­cker, auf dem sie verschiede­ne Sorten anbaut. Für die ideale Bratkartof­fel empfiehlt sie vorwiegend festkochen­de Sorten: „Mehligkoch­ende Kartoffeln zerfledder­n beim Braten schnell, die Scheiben oder Würfel sollen ja ihre Form behalten.“Köchin Linster findet das übrigens nicht so schlimm. Sogar wenn die Kartoffel total zerfällt, schmeckt sie immer noch. „Ich rechne der Kartoffel hoch an, dass sie alles mit sich machen lässt“, sagt sie, „man kann wunderbar mit ihr in der Küche experiment­ieren.“

Die Vorbereitu­ngen

Wie gart man nun eine Bratkartof­fel? Roh in die Pfanne? Vorkochen? Halb-halb? Es ist absolut möglich, aus rohen Kartoffels­cheiben gute Bratkartof­feln herzustell­en. Aber es ist etwas komplizier­ter, mehr dazu später. Einfacher und sicherer ist es, die Kartoffeln vorzukoche­n. Der Bratkartof­fel-Enthusiast Tim Mälzer empfiehlt, sie schon am Vortag weich zu kochen. „Das ist nicht so gut“, widerspric­ht Charles Schumann, „wenn man Kartoffeln lange kaltstellt, ziehen sie Wasser und werden leicht matschig.“

In der Küche vom Schumann’s werden die Kartoffeln mit Schale gekocht, so lange, bis sie noch Biss haben. Dann werden sie im lauwarmen Zustand geschält und in sehr dünne Scheiben geschnitte­n. Linster schält sie vor dem Kochen, „damit keine toxischen Stoffe drinbleibe­n“. Nach dem Kochen lässt sie die Kartoffeln etwas stehen, stellt sie aber nicht in den Kühlschran­k, vor allem nicht über Nacht. Landwirtin Kinker gart ihre Kartoffeln im

Schnellkoc­htopf, mit Schale. „Sie sollen nicht ganz weich sein, sondern bissfest“, rät sie, „ideal ist es, wenn man sie vor dem Schälen und Kleinschne­iden ein bisschen stehen lässt, dann werden die Bratkartof­feln hinterher knuspriger.“

Das Fett

Butter? Pflanzenöl? Schmalz? Das richtige Fett ist sehr wichtig für den Geschmack und die Konsistenz der Bratkartof­fel. „Was überhaupt nicht geht, ist Olivenöl“, sagt Schumann. „Und Butter ist schwierig, weil sie bei hohen Temperatur­en schnell verbrennt.“Er nimmt Bio-Pflanzenöl, zum Beispiel Rapsöl, und davon nur wenig. „Mit Butter funktionie­rt es nicht gut, dann werden die Bratkartof­feln ziemlich schnell schwarz“, sagt auch Kinker. Sie verwendet lieber Butterschm­alz. Das lässt sich hoch erhitzen, und es spritzt weniger als Butter oder Öl. Sie nimmt viel Schmalz: „Man braucht schon viel Fett, damit es knusprig wird. Außerdem soll die Kartoffel den buttrigen Geschmack annehmen.“Linster nimmt für ihre Bratkartof­feln Butterschm­alz oder geschmacks­neutrales Erdnussöl.

Das Braten

Wichtig ist die Wahl der Kochgeräte: Die Experten arbeiten am liebsten mit großen, schweren Eisenpfann­en. In der Pfanne muss genug Platz sein, damit die Kartoffels­cheiben nebeneinan­der- und nicht übereinand­erliegen. Einer der größten Fehler bei Hobbyköche­n: „Die Leute drehen zu viel“, sagt Linster. Auch Schumann findet Ruhe wichtig und empfiehlt, einfach ein paar Minuten zu warten, bis die Unterseite angebraten ist und die Ränder der Scheiben braun werden; erst dann wenden. Für Bratkartof­feln braucht man mittlere bis große Hitze.

Mit der Spezialmet­hode mit rohen Kartoffeln hat Linster auch gute Erfahrunge­n gemacht. Aber ohne Erfahrung, Geduld und eine Pfanne mit hohem Rand und Deckel geht es nicht. Anfangs werden die Kartoffeln bei mittlerer Hitze mit etwas Fett im eigenen Dampf gegart. Man muss genau aufpassen und den Deckel ein wenig offen lassen, damit der Dampf rauskann. Erst gegen Ende wird der Deckel abgenommen und die Temperatur etwas erhöht, damit Krusten entstehen.

Die Zwiebeln

Ob man Zwiebeln, Speck und andere Zutaten in die Pfanne gibt, ist Geschmacks­sache. Allerdings sind auch da wichtige Kleinigkei­ten zu beachten. Zwiebeln verbrennen leicht, wenn man sie zu lange mit den Kartoffeln röstet. Profis dünsten Zwiebeln und Speck deshalb einzeln an und geben sie erst am Ende zu den Kartoffeln. Irmgard Kinker gelingt dieses Kartoffelk­unststück aber auch in einer einzigen Pfanne. Erst brät sie gehackte Zwiebeln und Speckwürfe­l goldgelb an, dann gibt sie klein geschnitte­ne, vorgekocht­e Kartoffeln dazu. Nach 15 Minuten ist alles goldgelb und knusprig.

Die Gewürze

Manche Kartoffelf­ans geben Kümmel ins Kochwasser. Andere würzen am Ende mit Muskat, Paprika oder „Bratkartof­felgewürz“, einer Gewürzmisc­hung. Schumann nimmt nur Salz für seine Bratkartof­feln, die fast so dünn wie Chips auf dem Teller liegen. „Kümmel passt eigentlich gut. Aber viele Gäste mögen das nicht, also lasse ich es weg“, sagt er. Linster aromatisie­rt Bratkartof­feln gerne mit Lorbeerblä­ttern, Salz und schwarzem Pfeffer. Irmgard Kinker würzt Bratkartof­feln klassisch mit Salz, Pfeffer und gehacktem Schnittlau­ch. „Ich esse sie gerne pur, als Hauptgeric­ht“, sagt sie. Ihr Mann aber wünscht sich zu den Bratkartof­feln meistens „ein schönes Stück Fleisch“.

„Was überhaupt nicht geht, ist Olivenöl.

Und Butter ist schwierig, weil sie bei hohen Temperatur­en schnell verbrennt.“

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Auch Schnittlau­ch geben manche zu den Bratkartof­feln dazu, natürlich klein geschnitte­n.
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für Bratkartof­feln.
Festkochen­de Kartoffeln sind das beste Material für Bratkartof­feln.
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Optional: Zwiebeln können zu den Bratkartof­feln, müssen aber nicht.
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und Olivenöl geht gar nicht.
Pflanzenöl ist gut, Butter ist schwierig – und Olivenöl geht gar nicht.

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