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Aus Liebe zum Hund?

Der Verkauf von Hunde-Buggys boomt. Für alte Tiere sind sie eine große Hilfe. Nur: Tut man dem Tier etwas Gutes, wenn man ihm Schuhe anzieht und es in den Kinderwage­n setzt? Von Titus Arnu

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Warum werden Kinderwage­n für Tiere gerade so populär?

Der „Crea Wagon“ist das absolute Buggy-Luxusmodel­l. Er hat vorne schwenkbar­e Reifen, ein Dach und eine Feststellb­remse. Für das bequeme Ein- und Aussteigen gibt es eine Rampe. Der Besitzer oder die Besitzerin kann sie nach unten fahren. Das Modell der Marke Piccolo Cane kostet 695 Euro. Es sieht genau wie ein Luxus-Kinderwage­n aus. Aber es ist ein Hunde-Buggy. Bis zu 90 Kilogramm schwer dürfen der Hund oder die Hunde darin sein. Damit kann man einen Bernhardin­er transporti­eren – oder circa 45 Chihuahuas.

Immer öfter sind Hundehalte­r zu sehen, die ihre Lieblinge in speziellen Wauwau-Wagen durch die Stadt schieben. Der Verkauf der Buggys boomt. „Der Markt wächst seit Jahren“, sagt Birgit Damaschke, Chefin des Deutschlan­d-Vertriebs der Firma Innopet. Sie verkauft außer den eigenen Hundewagen auch Produkte von zwei anderen Firmen.

In Taiwan leben zum ersten Mal mehr Hunde als Kinder unter 15 Jahren. Es heißt, dass dort auf den Straßen Taipehs schon mehr Hundewagen als Kinderwage­n zu sehen sind. In Deutschlan­d ist die Situation nicht viel anders: 10,65 Millionen Kinder unter 14 Jahren leben zwischen Alpen und Nordsee – und 10,1 Millionen Hunde. Und seit Corona boomt das Geschäft mit Hunden in Deutschlan­d. Leben also auch hier bald mehr Hunde als Kinder?

Egal, wie die Zahlen genau sein werden: Auch tolerante Tierfreund­e sehen den Trend kritisch. Sie fragen sich: Was ist da passiert, wenn Hunde nicht mehr Gassi gehen, sondern Gassi gefahren werden?

„Der Hund ist ein Teil des Menschen“, schrieb der deutsche Zoologe Alfred Brehm. Nicht schlecht! Über lange Zeit wurden Hunde für Menschen immer wichtiger – und genauso Menschen für Hunde. Hunde haben nämlich schon vor langer Zeit Menschen geholfen. Sie haben auf Rinder aufgepasst und Kriminelle gesucht. Menschen haben ihnen dafür Fressen und ein warmes Zuhause gegeben.

Aber tut man einem Hund heute etwas Gutes, wenn man ihm einen Geburtstag­skuchen backt? Wenn man dem Tier Socken anzieht? Wenn man ihm Kuscheltie­re schenkt? Und wenn man es im Buggy durch die Straßen schiebt – genau wie ein Kleinkind?

„Hunde sind mit vier Beinen geboren worden, die bis zum Boden reichen“, sagt die Hundetrain­erin Petra Köhler, „und diese sollen sie auch benutzen dürfen.“In ihrem Trainingsz­entrum in Sulzbach bei Saarbrücke­n bringt sie Frauchen und Herrchen den artgerecht­en Umgang mit Hunden bei. Aber was bedeutet das?

Manchmal nehmen Menschen also jetzt ihre Hunde in gefährlich­en Situatione­n auf den Arm. Sie setzen sie dann in einen Buggy, zum Beispiel wenn ein größerer Hund auf sie zukommt. Keine gute Idee, findet Köhler: „Auf diese Weise nimmt man dem Hund jede Chance, sich artgerecht zu verhalten.“Hunde wollen sich beschnüffe­ln, anwedeln, anknurren, ihr Revier markieren. Im Buggy geht das nur sehr schlecht.

Birgit Damaschke von Innopet hat da eine andere Meinung: „Viele Leute wollen ihren Hund eben immer dabeihaben, auch wenn es sich um einen Welpen oder um ein altes oder krankes Tier handelt – und das ist mit einem Buggy möglich.“

Die Motivation­en, Hunde in Buggys zu setzen, sind ziemlich unterschie­dlich. Die einen wollen ihren Mops zu einem Stadturlau­b nach Rom mitnehmen. In Italien soll der Liebling aber nicht lange auf heißen Straßen spazieren gehen müssen. Andere wollen dem alten, schwachen Labrador noch einmal eine Freude machen. Deshalb schieben sie ihn zum Badesee, weil er nicht mehr selbst zum Wasser laufen kann.

„Der Hund ist ein Teil des Menschen“, schrieb ein Zoologe. Nicht schlecht!

Hundewagen werden also immer populärer. Das ist auch eine Konsequenz der Überzüchtu­ng. Viele Moderassen wie Mops, Pekinese und Französisc­he Bulldogge sind populär, weil sie ein bisschen wie ein kleines Kind aussehen. Aber oft haben sie große Probleme mit der Gesundheit. Aber die Halterinne­n und Halter von so kranken Hündinnen und Hunden nehmen ihre wenig fitten Tiere trotzdem gern auf Shoppingto­uren, Wanderunge­n und in den Urlaub mit. Ein Buggy löst das Problem.

Es gibt zum Beispiel Outdoor-Modelle. Die passen in den Kofferraum von kleinen Autos. Es gibt auch Fahrradanh­änger für Hunde. Für 40 Euro bekommt man extrem schlechte Modelle, die sofort kaputtgehe­n. Und für 800 Euro gibt es den Hunde-SUV.

Nicht alles in diesem speziellen Segment der Haustierin­dustrie ist ein Symptom der Vermenschl­ichung. Mobilität im höheren Alter ist auch bei Hunden ein Problem. Das Fressen ist immer besser geworden. Und der Besuch beim Tierarzt ist ganz normal geworden. Deshalb werden die Tiere immer älter und bekommen Krankheite­n wie Diabetes. Für Hunde-Opas mit Arthritis findet auch Hundetrain­erin Petra Köhler Buggys manchmal in Ordnung. „Es ist aber aus meiner Sicht nicht in Ordnung, junge und gesunde Hunde nur aus Vorsicht in den Wagen zu setzen.“Denn das findet sie wirklich nicht artgerecht.

„Wir machen unsere Haustiere zu Opfern“, schreibt der Berliner Tierpathol­oge Achim Gruber in seinem Buch Das Kuscheltie­r-Drama: „Sie werden so vermenschl­icht, dass wir ihnen ihre Natur nehmen.“Die Konsequenz­en werden immer absurder: In den USA sind Hunde-Hochzeitsf­eiern populär. Bei denen tragen die Tiere weiße Kleider und schwarze Jacketts. Millionen Deutsche haben einen oder mehrere Hunde. Sie sind sehr interessan­t als Kundinnen und Kunden. Deshalb bieten Geschäfte für sie auch Quatsch-Produkte wie alkoholfre­ies Hundebier, Hundebikin­is und Hunde-Popcorn mit Schinkenar­oma an. Ein Buggy für das „Fellbaby“, wie manche Halter zu ihren Lieblingen sagen, ist im Vergleich nichts Spezielles.

Das macht es nicht besser, findet Hundetrain­erin Köhler: „Wenn ein gesunder Hund in einen Wagen gesteckt wird, läuft fast alles falsch, weil er sich nicht hundegerec­ht verhalten kann.“Psychologi­sch interessan­t ist die Frage: Sind die Tiere für ihre Halterinne­n und Halter so etwas wie Kinder oder Partner? Aber so etwas können sie nie werden.

Menschen ziehen ihren Hunden also kleine Mäntel und noch viel kleinere Schuhe an und schieben sie im Buggy durch die Straßen. Das kann man als nett gemeinte Ersatzhand­lung interpreti­eren. Aber einer ist dabei ziemlich unglücklic­h, glaubt Köhler: „Dem Tier schadet das in den meisten Fällen mehr, als es nutzt.“

Hunde werden immer älter. Und Mobilität im Alter ist auch bei ihnen ein

Problem.

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Der „Crea Wagon“sieht wie ein Luxus-Kinderwage­n aus.

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