Wie geht es eigentlich dem …
Hipster?
Er liebte Oversize-Sonnenbrillen und kannte sich mit Craft-Beer aus: Der Hipster war eine Epochenfigur. Was wird aus ihm? Von Ijoma Mangold
Spätestens als auch Polizisten in Großstadtrevieren anfingen, Hipster-Bärte zu tragen, ging ein Phänomen zu Ende. Dessen wichtigstes Ziel war der Wunsch, anders zu sein als andere. Der Hipster war die Verkörperung dessen, was Soziologen Individualisierung nennen. Aber Individualisierung war ein gesamtgesellschaftlicher Prozess der westlichen Spätmoderne. Deshalb war auch der Hipster in seinem Bemühen, besonders zu sein, ein kollektives Phänomen. Das war sein Paradox.
Er sah sich als Avantgarde. Er kannte die Subkulturen, machte dort Entdeckungen. Und er war gut darin, diese für den Mainstream marktfähig zu machen. Viele Stile und vor allem auch Retro-Stile verstand er eklektizistisch zu kombinieren. Das machte ihn zum fröhlichen Opportunisten. Er sah sich zwar als Teil der Lohas-Bewegung (Lifestyle of Health and Sustainability, also ein auf Gesundheit und Nachhaltigkeit ausgerichteter Lebensstil). Aber er war kein Konsumkritiker – er hob den Konsum nur auf ein höheres und teureres Level.
Man könnte auch sagen: Das kritische Bewusstsein des Hipsters reichte immer nur so weit wie sein Hedonismus. Kapitalismuskritiker war er nur, als er die hässliche Massenproduktion ablehnte und stattdessen das Handwerk neu entdeckte. Selbst die Axt musste handgeschmiedet sein. Mit Craft-Beer aus kleinen Brauereien kannte er sich aus. Er glaubte an niedrige Stückzahlen und zahlte dafür auch gern einen höheren Preis. Denn er liebte die feinen Unterschiede.
War der Hipster nur eine männliche Figur? Nein, es gab auch die Hipster-Frau. Die nahm ihren Mann mit zum Yoga, der das gern akzeptierte. Sie war auf den ersten Blick zu erkennen – mit ihrem Pony, der Wollmütze, der High Waist Jeans und der Oversize-Sonnenbrille mit großem Rand, die das halbe Gesicht bedeckte. Ein bisschen sah sie aus, als käme sie gerade frisch vom Koksen aus der Warhol-Factory zurück … Nur war das Hipster-Girl keine Figur der Neuerung.
Anders der Hipster: Er interessierte sich für Kosmetikprodukte. Er modulierte seinen Körper nicht traditionell männlich auf Kraft und Härte, sondern auf Schönheit und Weichheit. Er sprach auch gern über seine Gefühle (weil er überhaupt gern sprach). Emo-Talk war eigentlich ein weibliches Genre. Deshalb ist nur der männliche Hipster eine überraschende Figur.
Tatsächlich ist der Hipster als Epochenfigur verschwunden, ohne dass sein Verschwinden bemerkt worden wäre. Das liegt wahrscheinlich daran, dass er in Wahrheit nicht ausgestorben ist. Er ist nur nicht mehr individuell – sondern total kollektiv. Spätestens als der bekannte konservative Politiker Alexander Dobrindt 2012 von der randlosen Politiker- zur Nerdbrille aus Horn mit breitem Bügel wechselte, war der Hipster im Mainstream angekommen. Es war ein leises Epochenende. Wegen zu großen Erfolges ununterscheidbar geworden.
Über ein Jahrzehnt, sagen wir von 2000 bis 2015, war der Hipster die zentrale Chiffre, um alles, was als modisch und trendbewusst galt, in den Blick zu bekommen. Hatte eine neue Bar mit etwas ambitionierterem Stil aufgemacht, so wurde sie auf Tripadvisor „Hipster-Bar“genannt. In seiner wichtigsten Zeit waren Städtetouren nach Berlin-Neukölln, um den Hipster zu erleben, nichts Ungewöhnliches. Da der Hipster sich gern zeigte, hatte er nichts dagegen.
Der Hipster war anstrengend für seine Umwelt, weil er den Innovationsdruck immer erhöhte. Das Fixie-Fahrrad war genau so lange sein ganzer Stolz, wie die Mehrheit der Bevölkerung ein Fahrrad ohne Gangschaltung sehr unpraktisch fand. Als gerade alle verstanden hatten, dass man keinen Caffè Latte mehr,
Der Hipster war ein Symbol der Individualisierung – und ein kollektives
Phänomen.
sondern einen Flat White bestellte, wechselte der Hipster zurück zum Filterkaffee. Damit rehabilitierte er erfolgreich etwas scheinbar endgültig Altmodisches.
Die Beziehung der Gesellschaft zum Hipster war ambivalent: Sie wollte nicht mit ihm verwechselt werden, nahm aber die großen Fortschritte des Lifestyle-Niveaus gern mit, ohne Danke zu sagen. Jeder kannte die Hipster-Brille und spottete darüber, auch wenn er selbst eine trug. Keiner wollte ein Hipster sein, aber auf das Wissen über exklusiven Konsum wollte auch niemand verzichten.
Der Hipster galt als Figur des Neoliberalismus, weil er die Preise in die Höhe trieb. 4,50 Euro für einen Americano? Geht’s noch?! Er wurde als Träger der Gentrifizierung gesehen, weil er, anders als andere Jugendbewegungen, seiner Umgebung nicht schadete, sondern sie pflegte. Der Hipster war fast ein Archäologe, der den Wert der alten Dinge erkannte.
Jeder Phänotyp lässt sich am besten verstehen, indem man ihn mit dem vergleicht, was auf ihn folgt. Was kam nach dem Hipster? Sagen wir so: Nach hip kam woke – das erhöhte Bewusstsein für patriarchale Strukturen und weiße Privilegien. Die Netz-Feministin, der antirassistische social justice warrior und die Fridays-for-Future-Generation haben eines gemeinsam: Statt Ästhetik ist ihnen Moral wichtig.
Offiziell setzt sich die Generation woke von den Boomern ab. Aber eigentlich sind die demografisch echten Babyboomer viel zu alt, um noch als Feindbild zu taugen. 2019 wurde das Meme „Okay, Boomer!“populär. Wahrscheinlich waren damit in Wahrheit die Hipster gemeint.
Wo der Hipster-Kultur Unterschiede wichtig waren, wählt die Wokeness-Kultur Inklusion. Wo Erstere als Individuen unverwechselbar sein wollten, beschreiben sich Letztere in Kategorien kollektiver Identitäten – als People of Color, als Trans*Person, als queer. Und wo die jungen woken Leute heute sehr links sind, war der Hipster politisch nie festzulegen, auch wenn viele Hipster sicher grün wählten. Der zentrale Wert war die Nachhaltigkeit. Die gibt es aber im grünen genauso wie im konservativen Look. Das Hipstertum hatte immer eine leicht konservative Seite, weil es lieber Altes neu entdeckte, als sich revolutionär von allem Alten zu trennen.
Zwar war der Hipster mit seiner Jutetasche Pionier einer nachhaltigen Lebensweise und hat zum Teil die Infrastruktur hervorgebracht, die heute als ökologisch korrekt gilt. Aber er war nicht aus politisch-moralischen Gründen nachhaltig. Er kaufte im Bio-Supermarkt ein, weil die Produktqualität dort besser war als im konventionellen Supermarkt. Der Hipster war aus hedonistischen Gründen ökologisch, wo es die nachfolgende Generation aus apokalyptischen ist.
Auch auf einem anderen wichtigen Spielfeld hat der Hipster seinen Nachfolgern vorgearbeitet. Auf Twitter versteht sich heute jede*r Dritte als non-binary. Das bedeutet, die konventionellen Geschlechterkategorien männlich/ weiblich für sich als unterkomplex abzulehnen. Der Hipster tat das schon vor 15 Jahren, wenn auch nicht nur aus ästhetischen Gründen.
Die Generation Greta hat mit allem aufgeräumt, was dem Hipster noch hoch und heilig war, vor allem mit seiner Liebe zu Spiel und Ironie. Die Generation woke braucht im Gegensatz dazu keine Ironie, denn sie lebt im Ernstfall (der Klimakatastrophe) und ist auch sonst nie im Zweifel darüber, was gut und was böse, was links und was rechts ist.
Der Hipster hatte die Straße zusammen mit den Cafés und Bars zu seiner Bühne gemacht. In Zeiten von Social Distancing und Lockdown gäben wir alles dafür, mal wieder Hipster gucken gehen zu können. Fast trauern wir dieser Epochenfigur schon wieder nach.
Ökologisch war der Hipster aus hedonistischen Gründen und nicht aus apokalyptischen.