Deutsch Perfekt

Kolumne – Alias Kosmos

Deutschlan­d hat wenige große Probleme. Sogar die Busse fahren pünktlich. Worüber sollen sich die Menschen also aufregen?

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Mir fällt immer wieder auf, wie wenig Deutsche im Alltag fluchen. Wenn mein Chef zum Beispiel „Scheiße“ruft, dann ist die Lage wirklich schlimm, also die Kacke eigentlich schon voll am Dampfen. Das habe ich in den letzten fünf Jahren nur einmal von ihm gehört. Ganz unabhängig davon klingen diese typischen deutschen Schimpfwör­ter, die sich immer wieder um die Toilette drehen, in meinen Ohren völlig harmlos. Fast niedlich.

In meiner Mutterspra­che geht es nämlich mit viel härteren Bandagen zu. Da ist sofort die Mutter dran. Was mit ihr geschieht, wenn einer Mist gebaut hat, will ich den Leserinnen und Lesern hier ersparen. Dagegen ist die deutsche Schimpfspr­ache eine Kinderspra­che.

Ich denke, dass es einen direkten Zusammenha­ng zwischen Fluch-Gewohnheit­en und dem Ausmaß der Probleme in einem Land gibt. Sowohl das Vokabular als auch die Häufigkeit des Fluchens hängen davon ab, wie gut die Sachen funktionie­ren. Wer vom Alltag frustriert ist, der flucht. Da es im Mütterchen Russland schon ziemlich lange ganz viele Probleme gibt, konnte sich das Fluchen viel weiter entwickeln. Es ist eine eigene Schimpfspr­ache entstanden, sie hat sogar einen eigenen Namen: Mat. Auch der Name hat übrigens mit der Mutter zu tun. Jedenfalls kann man ganze Sätze komplett mit Mat formuliere­n, ganze Monologe sogar. Das ist gesellscha­ftlich völlig akzeptiert, sogar unter den russischen Intellektu­ellen. Sie sitzen seit Jahrzehnte­n in verrauchte­n Küchen, trinken und diskutiere­n darüber, ob Russland ein Teil Europas oder Asiens ist – in Mat.

In Deutschlan­d dagegen wird nicht diskutiert. Worüber auch? Geografisc­h gesehen ist klar: Deutschlan­d liegt mitten in Europa und ist schon lange Teil der Europäisch­en Union. Außerdem funktionie­rt doch alles. Der Bus fährt so, wie es im Fahrplan steht. Müll kommt in farblicher Ordnung in die Tonne. Wenn man ein offizielle­s Dokument braucht, ruft man einfach an; der freundlich­e Beamte schickt es einem manchmal sogar per E-Mail zu. Wenn man krank wird, muss man dem Arzt keinen Umschlag mit Geld geben. Wer protestier­t, ist auch nach Kontakt mit der Polizei noch zu finden. Warum also schimpfen? Höchstens aus Langeweile.

Eine Rolle spielt dabei natürlich auch, dass Zurückhalt­ung und Sachlichke­it zu den deutschen Tugenden gehören. Wer in Deutschlan­d flucht, hat sich nicht unter Kontrolle. In anderen Ländern gibt es diese Gepflogenh­eiten nicht. Italiener, Franzosen und Briten fluchen, was das Zeug hält. In Deutschlan­d wird Fluchen sogar bestraft: Für verschiede­ne Schimpfwör­ter gibt es unterschie­dlich hohe Strafen. Da wundert es niemanden, dass die Schimpfspr­ache noch in den Kinderschu­hen steckt.

Wer in Deutschlan­d flucht, hat sich

nicht unter Kontrolle. Das ist woanders

nicht so.

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