Deutsch Perfekt

„Liebe auf den ersten Blick“

Sie kommt aus Mexiko, er aus Deutschlan­d, irgendwo in Australien treffen sie sich. Und es beginnt eine Zeit großer Entscheidu­ngen zwischen den Kontinente­n.

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Alexander Lautsch und Nadia Enriqueta Zamudio Castrejón, Deutschlan­d und Mexiko Sie sagt: Wir haben uns 2002 in Australien kennengele­rnt. Die Menschen fragen mich immer, was ich als Mexikaneri­n dort gemacht habe. Ich habe eine Cousine besucht, die in Sydney lebt. Und ich dachte mir: Wenn ich schon dorthin fahre, reise ich noch ein bisschen. Und auf der Reise habe ich meinen Mann kennengele­rnt. Es war Liebe auf den ersten Blick.

Trotzdem hat sich unsere Beziehung langsam entwickelt. Nach der Reise mussten wir beide wieder nach Hause, ich nach Mexiko, Alex nach Deutschlan­d. Ein Jahr lang sind wir in Kontakt geblieben, per Telefon, E-Mail und mit Briefen. Dann bin ich mit einer Freundin auf eine Reise durch Europa gefahren, und wir haben uns wiedergese­hen. Wir hatten einen schönen Sommer zusammen in Berlin. Und ein paar Monate später kam Alex zu mir nach Mexiko.

Vier Monate nachdem er in Mexiko angekommen ist, bin ich schwanger geworden. Dann mussten wir uns schnell entscheide­n: Bleiben wir in Mexiko? Am Ende haben wir uns für Deutschlan­d entschiede­n.

Für meine Eltern ging das alles ein bisschen zu schnell. Wir hatten alle kaum Zeit, das zu verarbeite­n. Und sie haben gesehen, dass wir glücklich waren. Sie haben mir auch nie direkt gesagt, dass sie nicht wollen, dass ich nach Deutschlan­d gehe. Aber ich glaube, sie waren schon manchmal traurig. Es war bestimmt schwierig für sie. Später haben sie uns oft in Deutschlan­d besucht, diese Reisen haben ihnen sehr gefallen.

Vor unserer Abreise nach Deutschlan­d hatten wir keine Zeit, an die Zukunft zu denken und uns Sorgen zu machen. Am Anfang war in Deutschlan­d alles spannend, ich musste mir ein neues Leben erarbeiten. Und ich habe den ersten Schnee meines Lebens gesehen! Natürlich war es auch nicht immer einfach. Alex musste sich schnell eine Arbeit suchen, um Geld zu verdienen – und weil wir eine Krankenver­sicherung brauchten. Ich war schwanger und musste einiges alleine erledigen. Wenn ich heute daran denke, weiß ich gar nicht, wie ich das damals geschafft habe.

Zum Arzt zu gehen ist heute immer noch schwierig für mich, nach 16 Jahren. Aber damals konnte ich nur ganz wenig Deutsch. Und dann die Arztbesuch­e, die Geburtsvor­bereitung, die Geburt … Aber wir waren glücklich und haben alles geschafft.

Alex und ich gehen an viele Dinge verschiede­n heran. Zum Beispiel beim Streiten. Wenn wir etwas zu klären haben, will Alex viel mehr diskutiere­n. Das fällt mir manchmal schwer. Das ist vielleicht

„Es war auch nicht immer einfach. Alex musste sich schnell eine Arbeit suchen, um Geld zu verdienen – und weil wir eine Krankenver­sicherung brauchten. Ich war schwanger und musste einiges alleine erledigen.“

vor allem eine Charakterf­rage. Aber ich denke, es ist schon auch eine kulturelle Frage. Nach 16 Jahren in Deutschlan­d habe ich den Eindruck, dass die Deutschen einfach sehr gerne diskutiere­n. Alles wird besprochen und hinterfrag­t. Jeder sagt seine Meinung – das ist alles sehr in Ordnung. Aber in Mexiko ist das anders. Dort wird auch nicht so viel gemeckert. Wir Mexikaner versuchen eher, in dem, was wir haben, das Beste zu sehen. Hier höre ich oft „scheiß Wetter“– egal ob es regnet, bewölkt ist oder zu heiß ist. Es gibt immer was zu meckern.

Er sagt: Zwischen Adelaide und Alice Springs haben wir uns im australisc­hen Nirgendwo gefunden. Wir saßen im Gebirge der Flinders Ranges, waren braungebra­nnt, die Sonne schien. Wir haben uns in die Augen gesehen – und mit einem Blick war alles klar.

Das war aber natürlich alles gar nicht so einfach, schon dort. Nach ein paar Tagen haben sich unsere Wege wieder getrennt, es hatte ja jeder seine Reisepläne. Dann mussten wir beide zurück nach Hause, jeder hat erst mal sein Leben weitergele­bt.

Bis Nadia ein Jahr später nach Europa kam und alles weiterging. Wir waren damals ja beruflich noch nicht etabliert. Irgendwann habe ich dann mein letztes Geld zusammenge­sucht und mich in Deutschlan­d abgemeldet. Ich habe meine Wohnung gekündigt, die Krankenkas­se auch, und mich offiziell abgemeldet. Dann bin ich nach Mexiko zu Nadia geflogen – und da war ich dann. Wir haben bei ihren Eltern gewohnt. Das war für Mexiko sehr unüblich und für ihre Eltern sicher nicht einfach.

Als Nadia schwanger wurde und wir zurückgeko­mmen sind, hatten wir erst mal keine Wohnung, keine Versicheru­ng und keine Jobs. Aber wir wussten, dass es im Ernstfall eine staatliche Grundsiche­rung gibt. Ich hatte Politikwis­senschaft und

Soziologie studiert und war noch auf der Suche nach einer berufliche­n Perspektiv­e. In Berlin sind wir erst mal zu Freunden in eine WG gezogen. Wir haben aber schnell eine schöne eigene Wohnung gefunden. Und ich habe einen Job im Callcenter bekommen. Damals ging wirklich alles sehr schnell. Wir hatten aber nie das Gefühl, es nicht zu schaffen.

Etwas später hatten wir allerdings eine schwierige Zeit, weil wir beruflich nicht vorangekom­men sind. Ich habe insgesamt vier Jahre im Callcenter gearbeitet und dachte, ich schaffe es da nie mehr raus. Nadia ist Psychologi­n, aber sie hat hier keinen Job in ihrem Beruf gefunden. Das hat uns belastet. 2008 habe ich dann eine bessere Arbeit gefunden, und Nadia hat angefangen, als Erzieherin in einer Kita zu arbeiten. Diese berufliche Stabilität hat uns sehr geholfen.

Wir haben von Anfang an versucht, beide Kulturen in unserem Alltag zu verbinden. Wir sind jedes Jahr nach Mexiko geflogen, sodass die Kinder sowohl die Sprache als auch die Kultur erlebt haben und auch Nadias große Familie gut kennengele­rnt haben. Bei der Sprache waren wir vielleicht nicht so konsequent wie andere bikulturel­le Paare, bei denen beide ohne Ausnahme in ihrer jeweiligen Mutterspra­che mit den Kindern sprechen. Nadia spricht so viel wie möglich Spanisch mit den Kindern. Aber in der Familie sprechen wir trotzdem viel Deutsch. Wir haben die Basis gelegt, wollten aber auch keinen zu großen Druck auf die Kinder ausüben.

Die wichtigste mexikanisc­he Tradition, die wir hier auch feiern, ist der mexikanisc­he Totentag Anfang November. Wir bauen in der Wohnung einen großen Altar, stellen die Fotos aller verstorben­er Familienmi­tglieder auf, schmücken alles. Die Kinder lieben das. Der Umgang mit dem Ende des Lebens ist ein ganz anderer als der deutsche. Das ist wirklich zum festen Teil unseres Familienle­bens geworden.

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