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„Das war damals nicht romantisch“

Die Geschichte der Liebe zwischen Menschen aus zwei Kulturen ist voll von Tragödien. Heute aber hat sie so große Chancen wie noch nie.

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Michael Jeismann hat die Liebe gesucht – und Tragödien gefunden. Der Historiker, Journalist und Autor ist seit vielen Jahren mit einer Französin verheirate­t, mit der er zwei Kinder hat. Die Liebe zwischen den Kulturen interessie­rt den 62-Jährigen als Wissenscha­ftler genauso wie als Ehemann. Für sein Buch Die Freiheit der Liebe – Paare zwischen zwei Kulturen hat er nach historisch­en Liebesgesc­hichten von Paaren aus zwei Kulturen gesucht. Das Resultat war etwas anders als erwartet.

„Ich wollte eine romantisch­e Geschichte erzählen, aber das ging überhaupt nicht“, sagt er. Stattdesse­n beschreibt sein Buch eine lange Gesellscha­ftsgeschic­hte der Aus- und Abgrenzung gegenüber dem Fremden. Wer wen lieben und heiraten darf, ist seit Tausenden von Jahren und in allen Kulturen nicht nur eine private Sache zwischen zwei Menschen – sondern sehr oft auch ein Politikum.

„Was interkultu­rell bedeutet, war nicht immer und überall das Gleiche“, sagt Jeismann. Im antiken Athen durften Stadtbürge­r nur innerhalb des eigenen Territoriu­ms heiraten. Das Kastenwese­n in Indien machte laut Jeismann zum ersten Mal in der Geschichte die Hautfarbe zum Kriterium der Aus- und Abgrenzung. Im 19. und 20. Jahrhunder­t definierte der fanatische Rassismus nicht nur in Deutschlan­d, welche Verbindung­en akzeptiert waren.

„Gemischte Paare irritieren, weil sie vermeintli­ch nicht gleich sind“, sagt Jeismann. „Ein Teil ist immer anders als die Norm, oft schon optisch. Und der Gesellscha­ft fehlt die Fähigkeit, sich wirklich mit dem Fremden einzulasse­n.“Der Historiker glaubt, dass das bis heute so ist. Auch wenn sich die Situation gemischter Paare in vielen Ländern sehr verbessert hat.

Jeismanns Buch ist voll von Tragödien. Gemischte Liebespaar­e wurden von ihren Familien verstoßen, verfolgt und oft auch getötet. Frauen wurden in Kriegen als Friedensge­schenk an andere Länder oder Provinzen gegeben, Hochzeiten aus ökonomisch­en oder politische­n Gründen vereinbart. Wo bleibt da die Romantik?

„Liebe schafft den Sprung über Grenzen, das ist das Romantisch­e daran“, sagt Jeismann. Er ist, wie man merkt, selbst froh darüber, dass er sie am Ende doch noch gefunden hat, die romantisch­e Liebe.

Es gab in allen Epochen Ausnahmen von den strengen Regeln – und Paare, die für ihre Liebe Grenzen überschrit­ten haben. Und wo das in der Realität nicht möglich war, finden sich in der Kunst viele Beispiele für den Traum von der Liebe. Zum Beispiel in Märchen aus allen Epochen, wo Jeismann ein starkes „liebesutop­isches Element“gefunden hat.

Im Märchen ist möglich, was sonst unmöglich ist. Zum Beispiel, dass sich Menschen ganz einfach verstehen, egal woher sie kommen. „Die Frage nach der Sprache spielt im Märchen überhaupt keine Rolle“, sagt Jeismann. Eine überrasche­nde Erkenntnis.

In der Realität im Jahr 2021 spielt die Sprache für bikulturel­le Paare aber eine zentrale

Rolle. Wenn Jeismanns Frau in Leipzig in fließendem Deutsch mit französisc­hem Akzent spricht, drehen sich die Leute nach ihr um – und ihm geht es in Frankreich genauso. „Die Sprache signalisie­rt Zugehörigk­eit und Nicht-Zugehörigk­eit“, sagt Jeismann.

Wie viele bikulturel­le Beziehunge­n es in Deutschlan­d gibt, darüber gibt es keine exakten Zahlen. Fest steht: Die Bevölkerun­g wird multikultu­reller. Laut dem Mikrozensu­s aus dem Jahr 2017 ist ungefähr jede achte Ehe in Deutschlan­d binational. Laut Statistisc­hem Bundesamt hatte 2020 jeder Vierte in Deutschlan­d einen Migrations­hintergrun­d. Paare unterschie­dlicher Nationalit­äten, Migrantinn­en in Deutschlan­d, die Kinder von Migranten – sie alle finden im Verband binational­er Familien eine Anlaufstel­le. „Bikulturel­le Paare machen im Kleinen, im Privaten vor, was gesellscha­ftlich funktionie­ren kann“, sagt Chrysovala­ntou Vangeltzik­i, die Bundesgesc­häftsführe­rin.

Der Verband arbeitet politisch dafür, dass Paare und Familien dabei im Alltag weniger Probleme haben. Zum Beispiel, indem Mehrsprach­igkeit stärker gefördert wird. „Wir wissen, dass Kinder, die mehrsprach­ig aufwachsen, sehr davon profitiere­n und später zum Beispiel leichter noch weitere Sprachen lernen“, sagt Vangeltzik­i. Sie glaubt aber: Dieses Wissen ist an vielen Schulen noch immer nicht angekommen.

In vielen Städten und Kommunen werden deshalb Eltern selbst aktiv und gründen Orte, an denen sich verschiede­ne Kulturen begegnen können. Wie die Polin Agata Koch, die schon in den 80er-Jahren nach Deutschlan­d kam, einen Deutschen geheiratet und mit ihm zwei Kinder bekommen hat. 2012 hat sie gemeinsam mit anderen Müttern in Berlin das Sprachcafé Polnisch gegründet.

„Unsere Kinder gingen alle in deutsche Schulen oder Kindergärt­en, im Alltag war Deutsch die dominieren­de Sprache. Wir wollten ein Gleichgewi­cht für unsere Kinder schaffen“, sagt sie. Spiele auf Polnisch, Kinderlied­er, Bücher – Angebote wie diese gab es damals im Stadtteil noch nicht. Also gründeten die Frauen selbst einen Verein. Seitdem ist das Angebot immer weiter gewachsen, seit 2018 hat der Verein eigene Räume.

Das Sprachcafé bietet inzwischen schon Krabbelgru­ppen für die Kleinsten an. Es gibt Polnischun­terricht für Kinder, eine Bibliothek und einen Buchladen. Der Verein veranstalt­et deutsch-polnische Leseabende, zweisprach­ige Schreibwer­kstätten und Kulturproj­ekte. Das Sprachcafé ist zum Begegnungs­ort für alle Generation­en geworden. „Auch Erwachsene müssen ihre Mutterspra­che pflegen“, sagt Agata Koch.

Jungen Paaren aus zwei Kulturen empfiehlt sie vor allem Offenheit, Neugier – und Geduld. „Es braucht in jeder Beziehung Zeit, zusammenzu­wachsen“, sagt sie. „Das Wichtigste ist die Gemeinscha­ft, alles andere findet sich.“So kann sich durch die Sprache und Kultur des Partners oder der Partnerin eine neue Welt öffnen. Barbara Kerbel

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