D-A-CH-Menschen
Schauspieler müssen vor der Kamera immer wieder intime Momente zeigen. Damit dabei bei niemandem die Grenzen verletzt
werden, passt Intimitätskoordinatorin Julia Effertz auf.
Frau Effertz, was genau ist Ihre Aufgabe?
Ich arbeite eigentlich wie eine Koordinatorin für Stuntszenen. Nur springen bei mir keine Menschen von schnellen Autos – ich kümmere mich um die intimen Momente beim Film. Das kann ein einfacher Kuss sein, aber auch eine Vergewaltigung. Schon wenn eine Schauspielerin oder ein Schauspieler nackt ist, ohne dass viel passiert, ist das ein verletzlicher Moment. Damit dabei keine Grenzen überschritten werden, muss es klare Regeln geben.
Wie sehen diese aus?
Zuerst muss transparent und deutlich kommuniziert werden, wie der Dreh funktionieren soll. Ich lese also das Drehbuch, spreche mit der Regie über die künstlerische Vision. Dann rede ich mit den Schauspielern. Von ihnen will ich wis - sen: Was ist okay für dich? Wo darf dich jemand anfassen – und wo nicht?
Wurde das früher nicht gemacht?
Leider war es früher oft so, dass es keine Absprachen und auch keine Vorbereitung gab. Und das ist absolut nicht in Ordnung. Denn das kann Schauspieler schnell traumatisieren. Da hieß es dann bei einer Vergewaltigungsszene: „Macht einfach mal.“
Das klingt nicht sehr professionell.
Das würde bei einer Stuntszene auch niemandem einfallen! Denn da können wir die Verletzung des Schauspielers sehen. Wer sagt denn: „Hier sind zwei scharfe Messer, improvisiert mal ein bisschen.“
Also müssen auch diese Szenen bis ins Detail geplant werden.
Richtig. Deshalb bespreche und erarbeite ich mit allen eine genaue Choreografie. Und diese wird vorher natürlich auch geprobt. Dann sind die intimen Momente auf einer professionellen Ebene. Denn es ist sehr wichtig, zwischen der fiktiven Figur und dem privaten Menschen, der ein Schauspieler ja ist, zu trennen. Dann erlebt keiner eine böse Überraschung.
Gab es diese denn wirklich so oft?
Leider ja. Sie müssen wissen: In Deutschland sind die meisten Schauspieler prekär beschäftigt, sie haben nur wenige Drehtage im Jahr. Wenn dann ein Regisseur fragt: „Kannst du vielleicht spontan das Top ausziehen?“– dann machst du das. Niemand will in der Branche als schwierig gelten. In den USA ist das anders. Dort sind die Gewerkschaften stark und in den Verträgen der Schauspieler spezielle Klauseln zum Thema Nacktheit Standard.
Ärgern sich die Regisseure hier also, wenn Sie an ein Set kommen?
Die meisten sind sehr froh! Wer spricht schon gern über Sex und Intimität? Außerdem sind die meisten auch unsicher: Was kann ich eigentlich von den Schauspielern verlangen? Gehe ich nicht zu weit? In ihrem Regiestudium war das nie ein Thema. Vielen ist ihre Machtposition nicht klar. Auch die Schauspieler fühlen sich durch meine Arbeit sicherer.
Und wie sind Sie zu diesem Job gekommen?
Ich war 2018 beim Filmfestival in Cannes, und alle haben über Harvey Weinstein diskutiert. Dabei habe ich dann die britische Intimitätskoordinatorin Ita O’Brien kennengelernt. Ich habe mich – auch weil ich Schauspielerin bin – sofort gefragt: Warum gibt es das in Deutschland nicht schon längst? Mir war schnell klar: Jetzt mache ich das. Interview: Claudia May