Wie Deutschland funktioniert
Der Deutsche Bundesrat ist so etwas wie der Senat in den USA. Warum ist er trotzdem anders als alle zweiten Parlamentskammern in anderen Ländern?
Politikmanufaktur Bundesrat
Plötzlich gibt es ein Drama in dem eigentlich so feinen Haus. An einem Märztag im Jahr 2002 wird Roland Koch (CDU) laut. „Unglaublich“, ruft der damalige Ministerpräsident von Hessen. Klaus Wowereit ist zu dieser Zeit Berliner Bürgermeister und Präsident des Bundesrats. Er versucht zu beruhigen. Es hilft nicht. Alle Politikerinnen und Politiker der CDU gehen aus dem Raum.
Warum das? Der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder von der SPD will ein Zuwanderungsgesetz. Es soll ihm helfen, wieder Bundeskanzler zu werden. Es fehlt nur noch das Ja des Bundesrats, dem Forum der Bundesländer. Dort wird plötzlich Brandenburg zentral. In dem ostdeutschen Bundesland regiert eine große Koalition aus SPD und CDU. Die SPD ist dafür, die CDU dagegen, ein Dilemma. Als Brandenburg seine Position erklären soll, beginnt das Spektakel.
Der Ministerpräsident ruft Ja. Der Innenminister Nein. Wowereit ist als Sozialdemokrat selbst für die Reform. Er interpretiert das Votum als Ja. Jedes Bundesland kann nämlich nur als Ganzes wählen. Der Protest gegen seine Interpretation wird laut. Neun Monate später stoppt die Justiz das Gesetz. Am Ende hilft nur noch ein Kompromiss.
Der geplante Eklat geht in die Geschichte ein. Typisch für die Institution ist nämlich der Konsens, nicht die Kontroverse, ganz anders als im Bundestag. Normale Sitzungstage im Bundesrat sind deshalb wenig emotional. Die Politiker applaudieren nicht und stören nicht.
Viele Länder haben eine zweite Kammer. Dort sitzen aber meistens extra gewählte oder ernannte Mitglieder. In Großbritannien sind es die Aristokraten im House of Lords, in den USA die Senatoren. In der Leipziger Straße in Berlin aber geben die Vertreter der Landesregierungen ihr Votum für oder gegen Gesetze. Das ist bei vielen Gesetzen nötig. Keine zweite Kammer in einem anderen Land funktioniert so.
Für ein Gesetz brauchen die Mitglieder des Bundesrats meistens nur Sekunden bis Minuten. Dabei sitzen die Vertreter der Bundesländer in kleinen Blöcken. Sie sehen in Dokumente und heben bei der Abstimmung die Hand – oder auch nicht. Einen „verfassungspraktischen Alleskönner“und ein „Bollwerk der arbeitenden Demokratie“hat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier den Bundesrat bei seiner 1000. Sitzung im Februar genannt.
Von außen sieht das alles manchmal wie eine ziemlich komische Gesetzesmanufaktur aus. Was man nicht sieht: Die wichtigste Arbeit ist da schon lange gemacht. Nicht öffentliche Ausschüsse diskutieren über Formulierungen. Dienstags treffen sich die Landeskabinette. Und am Abend vor einer Sitzung treffen sich die Ministerpräsidenten der Union bei einem Abendessen mit der Kanzlerin.
Lange Zeit war die Welt im Bundesrat ziemlich einfach. Die einen Bundesländer waren A-Länder: Dort regiert die SPD. Die anderen waren B-Länder: Dort regiert die Union. Die größere Seite hatte im Bundesrat die Mehrheit.
Heute gibt es in den Koalitionen der Bundesländer neun verschiedene Farbkombinationen aus vielen Parteien. Mehrheiten zu organisieren, ist komplizierter. „Realismus pur“, hat der Ministerpräsident Thüringens, Bodo Ramelow (Linke), das einmal genannt.
Dieser Realismus kann aber auch inspirieren: Bei inoffiziellen Gesprächen zwischen Ministerpräsidenten wie Horst Seehofer und Winfried Kretschmann bahnten sich hier erste schwarz-grüne Sympathien an. Das war politisch lange Zeit sehr unwahrscheinlich. Der Grüne Kretschmann war auch einmal Bundesratspräsident. Da wollten die Grünen eine Abstimmungsmaschine installieren – und scheiterten. Schlecht für die Helfer im Bundesrat: Die müssen weiter in wenigen Sekunden Hände zählen.
Vor 72 Jahren hat der Alterspräsident Johannes Büll die erste Sitzung mit einem Satz des Dichters und Philosophen Friedrich Schiller begonnen. „Das vollkommenste Kunstwerk ist der Bau der politischen Freiheit.“Vertreter der alliierten Siegermächte waren da, genau wie Vertreter der damaligen Bundesländer Württemberg-Baden, Württemberg-Hohenzollern und Baden (heute zusammen Baden-Württemberg). Nach 41 Minuten war Schluss. Die Idee für diese spezielle zweite Kammer hatte vor 150 Jahren Reichskanzler Otto von Bismarck. Ohne Loyalität von verschiedenen Aristokraten war sein neuer Nationalstaat unmöglich. Die Aristokraten wollten dafür weiter ihre Souveränität haben.
150 Jahre später ist der Bundesrat immer noch das wichtigste Symbol des deutschen Föderalismus. Manche nennen ihn einen Ort des Blockierens. Das können die Grünen wirklich immer mehr – durch ihre vielen Koalitionen in den Bundesländern.
Warum aber hat im Februar schon die 1000. Sitzung stattgefunden? Ganz einfach: Legislaturperioden gibt es im Bundesrat nicht. Auf den Bänken sitzen nach jeder politischen Änderung in den Bundesländern immer wieder andere Politiker. Nur die Institution bleibt gleich: der Bundesrat.
Typisch für die Institution ist der Konsens,
nicht die Kontroverse.