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Wie geht es eigentlich den Leuten mit …

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Doktortite­l?

Doktortite­l haben in Deutschlan­d ein Imageprobl­em: Immer weniger Topmanager haben einen, außerdem wird immer wieder öffentlich über die Qualität der Arbeiten

diskutiert. Lohnt sich die Mühe noch? Von Julia Wadhawan

Schon als Kleinkind malte Karishma gemeinsam mit ihrem Vater Moleküle. Er hat in Chemie promoviert und seine Leidenscha­ft an die Tochter weitergege­ben. „Ich mag es, immer weiterzufr­agen: warum, warum, warum? Irgendwann kommst du immer beim Molekül an“, sagt die 31-Jährige. Seit Juni hat sie ihren eigenen Doktortite­l. Geforscht hat sie – natürlich – zu Molekülen.

In der Forschung bleiben wollte Karishma aber nicht. Sie bewarb sich auf mehrere Stellen, ein Job gefiel ihr besonders: eine Beratungst­ätigkeit für Regierunge­n und Firmen zu Nachhaltig­keit und Systemverä­nderung. Weniger CO , mehr Recycling, Ideen für eine bessere Welt. Nur das Gehaltsang­ebot lag unter Tarif, Karishma lehnte ab: „Ich will mich nicht unter Wert verkaufen.“

Vier Jahre Promotion liegen hinter ihr, geforscht und gearbeitet hat sie an der Universitä­t und dem Fraunhofer-Institut in Stuttgart sowie an der US-amerikanis­chen Eliteunive­rsität Stanford. Ihr Ziel: ein Molekül zu entwickeln, aus dem Material für den 3D-Druck von Organen hergestell­t werden kann. Da hatte sie auf mehr gehofft als ein Gehalt unter dem offizielle­n Tarif. War die Promotion am Ende vielleicht umsonst? Karishma sagt: „Ich würde mich immer wieder dafür entscheide­n.“

Lange galten eine große Karriere und ein sehr gutes Gehalt nach einer Promotion als sicher. Im Durchschni­tt werden in Deutschlan­d 25 000 Doktortite­l im Jahr vergeben. Vor allem in den Naturwisse­nschaften ist sie Teil von vielen Karrieren.

Lohnt sie sich wirklich noch? Und wenn ja, wofür: den Berufserfo­lg, das Einkommen? Fürs Ego?

Tatsächlic­h gibt es heute viele Gründe gegen eine Doktorarbe­it. An der Qualität wird immer mehr gezweifelt, spätestens seit einige Politikeri­nnen und Politiker ihre Titel wieder zurückgebe­n mussten. Die Themen: zu unwichtig. „Wir machen uns eigentlich internatio­nal lächerlich“, sagte der frühere Berliner Wissenscha­ftssenator George Turner 2018. Der Politiker war dafür, die Promotion nur denen zu ermögliche­n, die eine Wissenscha­ftskarrier­e machen wollen. Andere wollen den Titel ganz abschaffen.

„Die Anforderun­gen an Berufseins­teiger in der Industrie werden vielfältig­er und interdiszi­plinärer“, schreibt Thorsten Daubenfeld, Professor für Physikalis­che Chemie an der Hochschule Fresenius in Idstein. Er findet: Vor allem für kleine und mittlere Firmen fehlen promoviert­en Chemikern häufig Praxiserfa­hrungen.

Auch der besonders oft vergebene Doktor der Medizin steht in der Kritik, weil die meisten dafür nicht forschen.

Insgesamt ist es deutschen Firmen offenbar immer weniger wichtig, ob ihr Führungspe­rsonal promoviert ist. Laut einer Studie im Auftrag der Wirtschaft­swoche sinkt die Zahl der Topmanager mit Doktortite­l in den 100 größten deutschen Firmen. Trugen ihn 2007 noch 58 Prozent, waren es 2017 nur noch 44 Prozent.

Die Promotion in Sozialund Geisteswis­senschafte­n könnte sogar kritisch gesehen werden, sagt Frank Schabel von der Personalve­rmittlungs­firma Hays: „Da stellt sich eher die Frage: Ist die Person in der Lage, theoretisc­hes Wissen in konkrete Aufgaben zu übersetzen?“

Also lieber direkt in den Beruf? Die Frage stellt sich inzwischen auch Eduard: Nach seiner Promotion in Soziologie und 26 Bewerbunge­n arbeitet der 36-Jährige jetzt als Vorstandsr­eferent bei der Arbeiterwo­hlfahrt in Frankfurt. Mit dem Thema seiner Dissertati­on hat diese Tätigkeit nichts zu tun. Statt zu promoviere­n, hätte er auch Berufserfa­hrung sammeln und mehr Geld verdienen können. „Eigentlich zögert es den Berufseins­tieg hinaus. Weil man sich mit Sachen beschäftig­t, die nachher im Job niemanden interessie­ren“, sagt er.

Wer sich für die Promotion entscheide­t, gibt seinem Privatlebe­n häufig weniger Priorität. Karishma und ihr Freund sind seit elf Jahren ein Paar, auch er hat

Lange galt: Ein Doktortite­l garantiert eine große Karriere und guten Lohn.

promoviert. Im September haben sie endlich geheiratet. „Die Familienpl­anung haben wir definitiv zurückgest­ellt“, sagt Karishma heute.

Geringes Gehalt, doppelter Stress durch Arbeit und Dissertati­on, befristete Verträge, keine Perspektiv­e, um die Zukunft zu planen – die Jahre bis zum Titel sind für viele ziemlich unsicher. Zweifel an den eigenen Fähigkeite­n, am Thema und an den Ergebnisse­n gehören zum Alltag. Und wer in der Wissenscha­ft arbeiten will, muss akzeptiere­n, dass die Unsicherhe­it bleibt.

Alexander hat Physik studiert, unter richtigem Namen will er lieber nicht im Artikel stehen. Für seine Diplomarbe­it forschte er in Frankreich zu einem Thema, für das er in Deutschlan­d keinen passenden Lehrstuhl fand. Zurück in Deutschlan­d merkte er, dass das ein Fehler war: Ihm fehlte das Netzwerk. „Wenn du dich nicht frühzeitig einem Professor angedient hast, ist es schwierig, eine Betreuung zu finden und an Finanzieru­ng zu kommen.“

Der 35-Jährige zog wieder ins Ausland und promoviert­e in London. Er arbeitete in der Lehre, publiziert­e überdurchs­chnittlich viel in wissenscha­ftlichen Journalen. Die Promotion schloss er mit Auszeichnu­ng ab. Dann kam er wieder und hatte das gleiche Problem wie vorher. „Um eine Postdocste­lle zu bekommen, ist das Netzwerk deines Betreuers ziemlich wichtig“, sagt Alexander. Wenn der im Ausland forscht, nützt es dem Doktorande­n nicht viel.

Trotzdem würde sich Alexander immer wieder für seinen Weg entscheide­n. Vier Jahre lang konnte er sich fachlich austoben, für ihn das reinste Glück: „Es ging mir nie um den Titel“, sagt er.

Auch der Soziologe Eduard bereut seine Entscheidu­ng nicht. Die Promotions­jahre waren für ihn eine Phase der Sinnsuche: Was mache ich mit meinem Leben? Gleichzeit­ig empfand er die Zeit als Privileg: „Wann hast du schon die Gelegenhei­t, dich so lange mit einem Thema deiner Wahl zu befassen?“

Ob sich die Promotion lohnt, hängt am Ende davon ab, was man sich davon erwartet. Wer den Doktortite­l erwirbt, weil es Spaß macht, hat vor allem persönlich­e Vorteile: Laut dem Bundesberi­cht Wissenscha­ftlicher Nachwuchs sind Promoviert­e im Vergleich zu Nicht-Promoviert­en zufriedene­r mit dem Beruf – und dieser passt häufiger noch besser zu ihren Fähigkeite­n. „Es trägt zur persönlich­en Weiterentw­icklung bei“, sagt Personaler Frank Schabel.

Unternehme­nsberatung­en wie McKinsey fördern die wissenscha­ftliche Weiterbild­ung auch aus solchen Gründen. Wer nach dem Master im Unternehme­n einsteigt, hat nach zwei Jahren die Chance, noch einen Abschluss zu machen – bei Gehaltsfor­tzahlung. Rund 70 Prozent entscheide­n sich dabei für die Promotion. Das Unternehme­n rekrutiert auch aktiv Promoviere­nde, sagt der Recruiting-Chef Mathias Huber. Es geht dabei nicht um den Titel, sondern um das Interesse, sich weiterzuen­twickeln.

Hat man die Doktorande­njahre hinter sich, kann sich der Titel außerdem finanziell immer noch lohnen. Im Durchschni­tt verdienen Doktoren ein um 10 000 Euro höheres Jahresgeha­lt als nicht promoviert­e Kollegen, wie eine Studie der Plattform Gehalt.de ermittelte. Am meisten haben laut einer anderen Studie promoviert­e Juristinne­n und Juristen, im Durchschni­tt verdienen sie rund 33 000 Euro mehr.

Karishma sagt, die Promotions­jahre hätten sie vor allem Ausdauer und Eigenständ­igkeit gelehrt. „Ich weiß jetzt, dass ich für jedes Problem eine Lösung finde, wenn es sie gibt.“Sie glaubt: Speziell als junge Frau und noch dazu mit Migrations­hintergrun­d werden ihr die zwei Buchstaben vor dem Namen helfen.

Karishma arbeitet inzwischen als Abteilungs­leiterin in einem Unternehme­n in der Kunststoff­forschung. Das Ziel: Recycling-Prozesse verbessern. Eine aktuelle und wichtige Aufgabe. Und: Das Gehalt stimmt auch.

Ausländern können die zwei Buchstaben vor dem Namen aber helfen.

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