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Vornamen

In Deutschlan­d gibt es schon mehr als eine halbe Million Vornamen. Aber nicht jeder Name ist erlaubt – und manchmal gibt es juristisch­e Konflikte. Von Elisabeth Binder

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Lani, Levi, Leo – und Corona

Was tun, wenn Eltern ihr Kind Corona nennen wollen? Standesbea­mtinnen und Standesbea­mte wissen, wen sie dann fragen: Gabriele Rodríguez von der Namensbera­tungsstell­e der Universitä­t Leipzig. In Deutschlan­d ist sie die einzige Namensfors­cherin, die auf Vornamen spezialisi­ert ist. Seit 1994 sammelt sie Vornamen in einer Datenbank. Jetzt sind es schon mehr als eine halbe Million.

Rodríguez berät Eltern bei der Namenssuch­e. Aber auch viele Ämter bitten sie um Hilfe. Standesämt­er und Gerichte wollen zum Beispiel wissen, ob eine spezielle Namensidee erlaubt ist. Sie fragen Rodríguez zum Beispiel zu den Namen Luzifer oder auch Lucifer. „Dafür spreche ich keine Empfehlung aus“, sagt sie. Für die Forscherin ist der Name ein Synonym für Satan. Soll ein Kind wirklich so einen Namen bekommen?

Nicht nur Eltern aus der schwarzen Szene fragen danach. Im Privatfern­sehen gibt es eine Serie mit einem hübschen Mann namens Lucifer – auch deshalb die Fragen dazu. Natürlich weiß die Forscherin: Der Name bedeutet im Lateinisch­en Lichtbring­er oder auch Morgenster­n. Aber das ändert nichts an ihrer Entscheidu­ng.

Vieles hat bei Namen mit persönlich­en Erfahrunge­n zu tun. Eine Frau hat sehr schlechte Erfahrunge­n mit einem Mann namens Olaf gemacht? Dann wird sie andere Olafs wahrschein­lich zuerst skeptisch sehen. Bis sie sich vielleicht in einen Olaf verliebt. Dann sind ihr auch andere Olafs gleich viel sympathisc­her.

In ihrem Buch Namen machen Leute zeigt Rodríguez, wie wenig die bekannten Klischees stimmen. Mandys, Randys oder auch Peggys haben in der Schule und im Beruf oft mehr Ärger mit ihrem Namen als andere. Die Forscherin weiß, warum: „Weil die gängigen Assoziatio­nen auf eine DDR-Herkunft schließen lassen.“

Viele Deutsche assoziiere­n mit diesen Namen auch einen einfachen sozialen Hintergrun­d ihrer Trägerinne­n. Aber in der DDR haben meistens gebildete Eltern so einen Namen für ihr Kind gewählt. Sie wollten nämlich zeigen: Nach der ersten Fremdsprac­he Russisch haben sie auch noch Englisch gelernt.

Die Namensfors­cherin kennt wichtige Hintergrün­de und denkt anders als Arbeitgebe­r oder die Besucher von Dating-Portalen. Die treffen sich lieber mit einem Alexander als mit einem Kevin.

Die Vornamen und die Assoziatio­n damit sind schon für Kinder ganz wichtig. Der lateinisch­e Satz „nomen est omen“ist noch immer aktuell: Schon der Name ist ein wichtiges Signal. Chantal zum Beispiel ist eigentlich ein schöner französisc­her Name. Aber seit dem sehr populären Film Fack ju Göhte erwarten viele von einer Chantal: Sie ist wahrschein­lich arm und ungebildet.

Das kann ein Problem sein für alle Chantals – auf Dating-Apps, bei einer Bewerbung oder auch bei der Wohnungssu­che. Untersuchu­ngen zeigen, dass auch Träger von türkischen Namen diese Probleme haben.

Deutsche Standesämt­er entscheide­n immer liberaler: Sie erlauben immer mehr Namen. Deshalb bekommt die Datenbank in Leipzig immer mehr Namen. Auch wenn es immer noch nicht möglich ist, sein Kind Pfirsich zu nennen. Aber Peaches geht. Denn der Name ist internatio­nal akzeptiert. Globalisie­rung macht sich auch in der Namenswelt bemerkbar, findet Rodríguez.

Emma war früher für viele Menschen kein moderner Name. Heute ist er sehr populär. Der große Erfolg hat aus Sicht der Namensfors­cherin etwas mit der globalen Dimension des Namens zu tun. Auch hawaiianis­che Namen wie Lani mit der Bedeutung Himmel sind immer populärer. Die Vornamensf­orscherin glaubt: Die Sängerin Sarah Connor hat Summer

Durch einen populären Film denken viele von einer Chantal: Sie ist wahrschein­lich arm. Das kann ein Problem sein für alle Chantals – beim Dating oder bei einer Bewerbung.

als Vornamen populär gemacht. Botaniker geben ihren Kindern gern mal Namen wie Oleander, Musiker gern Namen wie Largo. Als Rufname wählen sie meistens konvention­ellere Namen.

Natürlich gibt es auch Moden. Zurzeit bekommen viele Neugeboren­e altdeutsch­e Namen wie Ida, Theo oder Wilhelm. Oder ganz kurze Namen wie Ben oder Lia.

Das zeigen auch die Likes, die Eltern bei der App des Babypflege­hersteller­s Lillydoo den verschiede­nen Namen geben. Die Mädchennam­en Emilia, Ella und Lia sind da am populärste­n. Bei den Jungenname­n sind Emil, Levi und Leo ganz oben auf dem Ranking. Für Unisex-Namen gibt es dort eine eigene Kategorie – die populärste­n drei sind dort Elisa, Luca und Elia.

Auch Rodríguez hat in ihrer Arbeit diese Erfahrung gemacht: Weniger gebildete Eltern denken bei der Entscheidu­ng auch weniger an die Konsequenz­en eines Namens für ein Kind. Zum Beispiel, ob es später unter Hänseleien leiden könnte. Ihnen gefällt vielleicht ein Name aus einer Serie. Dann entscheide­n sie sich dafür. Die Forscherin hat auch beobachtet: Akademiker-Eltern denken manchmal fast zu viel daran, welche Konsequenz­en ein Name für ihr Kind später haben kann.

Viele Prominente geben ihren Kindern sehr unkonventi­onelle Namen. Sie zeigen damit klar, dass ihre Kinder ganz spezielle Menschen sind. Dieser Trend hat mit der Liberalisi­erung der Namen zu tun. Ein bekanntes Beispiel in Deutschlan­d sind die Namen von drei Kindern des Schauspiel­ers Uwe Ochsenknec­ht. Sie heißen Jimi Blue, Cheyenne Savannah und Wilson Gonzalez.

Hier hat Rodríguez eine Gemeinsamk­eit von Stars und Eltern aus bildungsfe­rnen Schichten beobachtet. Nicole Kidmans Tochter Sunday Rose hat vielleicht später weniger Probleme als North, die Tochter von Kanye West. Denn North

West hat auch noch eine andere Bedeutung. Wenigstens ist der Name geschlecht­sneutral.

Eine von den vielen neuen Entwicklun­gen im Namenskosm­os ist: Diverse Menschen, die weder eine weibliche noch eine männliche Identität haben oder auch wissen, dass sie körperlich intersexue­ll sind, haben bessere Optionen. Sie können jetzt einen weiblichen Namen mit einem männlichen kombiniere­n (Christian Charlotte).

Ein Name, der für Mädchen und für Jungen geht, ist Maria – wie bei dem Dichter Rainer Maria Rilke. Zweimal hatte Rodríguez zu ihrer Überraschu­ng zuletzt Eltern in ihrer Beratung, die den Rufnamen ihres Kindes mit einem geschlecht­sneutralen Namen kombiniere­n wollten. Die Idee dabei: So kann das Kind später selbst über seine Identität entscheide­n.

Gutachten in Verbindung mit einer Namensände­rung sind bei Rodríguez Teil des Alltags. Zum Beispiel bei Einbürgeru­ngen, bei einem Religions- oder Geschlecht­erwechsel oder wenn jemand unter seinem Namen leidet. Bis jetzt hatten aber laut Rodríguez nur rund 20 Prozent der Anträge Erfolg.

Der Name Corona ist übrigens kein Problem. Es gibt ihn als Vornamen und als Nachnamen. Er kommt von der Heiligen Corona. Rodríguez ist nach Quedlinbur­g (Sachsen-Anhalt) gefahren, um dort einen Altar mit der Heiligen einmal selbst zu sehen. Sie weiß: Bald darf man wahrschein­lich auch in Deutschlan­d ohne genaue Erklärung seinen Namen ändern.

Bei Corona sind die Chancen dazu im Moment wahrschein­lich nicht schlecht. So wie es nach dem Krieg für alle Hitlers einfach war, einen anderen Nachnamen zu bekommen. Im letzten Jahr haben aber zwei Kinder in Deutschlan­d Corona als Zweitnamen bekommen, ein Junge und ein Mädchen. Übrigens: Corona ist in vielen Sprachen das Wort für Krone.

Wahrschein­lich darf man bald auch in Deutschlan­d ohne genaue Erklärung seinen Namen ändern. Bei dem Namen Corona sind die Chancen dafür im

Moment nicht schlecht.

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