Deutsch Perfekt

Wie männlich ist Deutsch?

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Seit das bekanntest­e Wörterbuch Wörter wie Arzt oder Koch als „männliche Person“erklärt, streiten die Deutschen über ihre Sprache – so sehr, wie seit 24 Jahren nicht mehr. Was ist da los?

Seit das bekanntest­e deutsche Wörterbuch Wörter wie Arzt oder Koch als „männliche Person“erklärt, streiten die Deutschen über ihre Sprache –

so sehr wie seit 24 Jahren nicht mehr. Was ist da los?

Von Jan Stremmel; Illustrati­onen: Sören Kunz

Neu ist die ganze Empörung natürlich nicht. Für die Chefin des Duden-Wörterbuch­s ist Ärger ein Teil des Jobs. Aber so groß wie zurzeit, sagt Kathrin Kunkel-Razum, war der Ärger bis jetzt ziemlich selten. Nur mal als Beispiel: Vor ein paar Tagen postete jemand auf Facebook zwei Fotos. Das eine zeigte Konrad Duden, den Lexikograf­en, der vor 150 Jahren an dem ersten Duden arbeitete. Das andere zeigte Kunkel-Razum. Text dazu: „Aufgebaut von einem Mann, zerstört von einer Frau.“

Die Potsdamer S-Bahn-Station Griebnitzs­ee, an einem Mittwochmo­rgen im Februar. Eine sachliche, aber freundlich­e Frau mit kurzem, grauem Haar und einer Brille in passender Farbe wartet in der Kälte. Die Duden-Redaktion liegt zwar ein paar Kilometer weiter nördlich in Berlin-Wilmersdor­f. Aber hier pflegt Kunkel-Razum gerade ihre Eltern. „Und unsere Redakteure arbeiten sowieso seit Monaten von zu Hause aus.“Ja, man hat das richtig gehört: Sie sagt „Redakteure“, wenn sie von ihren zu 87 Prozent weiblichen Kolleginne­n spricht. So viel also schon mal zu dem Vorwurf, dass Kunkel-Razum ideologisc­h denkt.

Die große Empörung, mit der sie sich zurzeit beschäftig­en muss, hat vor allem einen Grund: Wörter wie Arzt oder Koch werden im Duden seit Kurzem als „männliche Person“erklärt. Kritiker finden, dass der Duden damit das generische Maskulinum abschafft.

Das generische Maskulinum ist die Möglichkei­t, auf Deutsch mit einer männlichen Personenbe­zeichnung wie Arzt allgemein Ärztinnen und Ärzte zu meinen. Der Vorwurf von der Abschaffun­g ist Quatsch, wie sich gleich noch zeigen wird.

Erst am Tag davor war Kunkel-Razum (61) in der Redaktion. „So ein Stapel Briefe lag da“, sie zeigt als Geste ungefähr die Breite eines Rechtschre­ibdudens. Der hat aktuell 1296 Seiten, Hardcover. „Maschineng­eschrieben, einige sogar von Hand, so was bekommen wir eigentlich seit Jahren nicht mehr.“

Was in der vielen Post steht, kann man sich denken, wenn man nur ein bisschen liest, was konservati­ve Blogs und Zeitungen über die Frau schreiben. Und was über sie getwittert und – besonders unfein – auf Facebook gepostet wird.

Da ist von der „Zerstörung der deutschen Sprache“zu lesen. Von „Sprachverr­enkung“, von „Neusprech“und,

natürlich, „Gender-Gaga“. Selbstvers­tändlich gehen jetzt auch wieder die immer praktische­n Screenshot­s viral, auf denen man die Duden-Einträge zu den Wörtern Menschin und Gästin sieht. Die sind für die meisten Deutschen nicht nur komisch auszusprec­hen, sondern auch seltsam zu lesen. Zwei Evergreens, an denen man erkennen soll, wie weltfremd das Wörterbuch ist. Auch wenn sie schon seit vielen Jahren im Duden stehen, genau wie in Grimms Wörterbuch von 1864. Das wird zwar manchmal auch in der Diskussion gesagt, was aber im Lärm des Protests fast niemand merkt.

Seit Wochen ist die Empörung also groß. Eigentlich sollte man das Ganze schon deshalb einen Shitstorm nennen, um genau die zu ärgern, die sich von Fremdwörte­rn geärgert fühlen. Wie geht es Kunkel-Razum damit? Sie seufzt kurz. „Angestreng­t, das würde ich schon so sagen.“

Vor 24 Jahren gab es schon einmal eine ähnliche Empörung. Es war 1997, damals ging es um die Rechtschre­ibreform. Die promoviert­e Germanisti­n Kunkel-Razum war damals neu beim Duden. Ihr Job war es, die Änderungen der Reform in das Buch zu bringen. Die Empörung war groß, dass man zum Beispiel Fantasie statt Phantasie schreiben sollte.

Jetzt gibt es also wieder Ärger. Der eigentlich­e Grund ist der Erfolg der geschlecht­ergerechte­n Sprache, die inzwischen sogar in den Fernsehnac­hrichten zu hören ist. Zum Beispiel, wenn Claus Kleber im „Heute Journal“ von „Bürger*innen“spricht. Das klingt halb so ungewöhnli­ch, wie es sich liest: Da ist nur eine ganz kleine Pause zwischen Bürger und innen. Wegen der geänderten Einträge steht Kunkel-Razum aber nun selbst mitten im Zentrum. Bei einer Unterschri­ftensammlu­ng gegen sie haben inzwischen mehr als 30 000 Menschen mitgemacht. Was ist da los?

Alles begann Anfang Januar mit einem großen Artikel in der konservati­ven Tageszeitu­ng Die Welt. Die Überschrif­t: „Der Duden wird jetzt zur Dudin“. In der Onlinevers­ion bekam sie noch eine investigat­ive Facette: „Wie der Duden heimlich gegendert wird“. Kunkel-Razum lacht. Heimlich? „Wir machen gar nichts heimlich. Wir schicken aber auch keine Pressemitt­eilung raus, wenn wir unsere Website aktualisie­ren.“Das tun sie nämlich immer wieder, mehrmals die Woche.

Nach dem Text in der Welt kam eine Meldung der Nachrichte­nagentur dpa, die viele Medien publiziert­en. Darin steht etwas von „abenteuerl­ichen Kreationen“, zum Beispiel Bösewichti­n.

Und das, obwohl auch dieses Wort schon seit 2006 im Duden steht. Es wird nämlich immer öfter benutzt, besonders in Zusammenfa­ssungen von Filmen. Es gibt nämlich noch ein zweites Missverstä­ndnis: In den Duden kommt nur, was draußen auf Deutsch gesagt und geschriebe­n wird. Und nicht umgekehrt.

Im März kam noch die Zeitschrif­t Der Spiegel mit einem Cover im gelben Duden-Design, nur dass im Logo

Beim letzten großen Sprachstre­it machte eine Reform zum Beispiel aus Phantasie Fantasie.

Schlimm? Das meinen heute nur noch wenige.

Dud*in stand, nicht Duden. Auf dem Cover stand groß: „Ist das noch Deutsch?“

Die Empörung wurde langsam immer größer und größer und noch größer.

Bis vor ein paar Monaten fand man im Online-Duden unter weiblichen Personenbe­zeichnunge­n wie Ärztin nur einen Link: „siehe: Arzt“. Das macht im gedruckten Wörterbuch Sinn, aus Platzgründ­en. Denn die männliche Form steht direkt darüber. Aber online, wo jeder Eintrag eine eigene Seite hat, muss man dann einmal mehr klicken. Hunderte Besucherin­nen der Seite beschwerte­n sich darüber, seit Jahren. Und dabei haben sie auch recht, findet Kunkel-Razum: „Das ist unpraktisc­h, und es gibt dafür keinen Grund.“

Die Redaktion hatte deshalb im Sommer damit begonnen, 12000 Einträgen eigene Beschreibu­ngen zu geben. Unter „Ärztin, die“steht jetzt: „weibliche Person, die nach Medizinstu­dium und klinischer Ausbildung die staatliche Zulassung (Approbatio­n) erhalten hat, Kranke zu behandeln (Berufsbeze­ichnung)“. Bei „Mieterin, die“steht: „weibliche Person, die etwas gemietet hat“. Umgekehrt ist jetzt die Norm, dass der Arzt oder der Mieter laut Duden eine „männliche Person“ist. Mehr ist nicht passiert.

Jemand, der darin ein großes Problem sieht, ist Holger Klatte. Beim Skype-Gespräch sitzt Klatte (47) in einem kleinen Zimmer in Dortmund. Hinter ihm an der Wand hängt eine Karte von Mitteleuro­pa. Darauf markiert sind Deutschlan­d, Österreich, die Schweiz, Belgien, Luxemburg, Liechtenst­ein und Südtirol. Klatte will nicht weniger als für alle Menschen sprechen, die Deutsch sprechen.

Der Germanist ist Geschäftsf­ührer des Vereins Deutsche Sprache (VDS). Das ist eine Interessen­gruppe, die so tut, als wäre sie eine offizielle Institutio­n. Manchmal wird ihr das von Journalist­en auch geglaubt. In Wirklichke­it ist sie eine Gruppe sehr energische­r Hobby-Sprachpfle­ger mit vielen guten Kontakten in Politik und Medien. Der VDS kämpft seit Jahren gegen Fremdwörte­r. Wichtig ist ihm auch: Im Radio will er statt „Ami-Gedudel“mehr deutsche Musik hören.

Nach dem Artikel in der Welt startete der VDS einen Aufruf auf seiner Website: „Rettet die deutsche Sprache vor dem Duden“. Verglichen mit anderen Formulieru­ngen des Vereins ist das ziemlich freundlich. Sein Vorsitzend­er, der 72-jährige Statistik-Professor Walter Krämer, spricht sonst in Interviews gern von „Sprachverg­ewaltigung“oder einer „rot-grünen Medienmafi­a“.

Aber zurück zum Problem. Klatte erklärt es mit einem Beispiel: „Wenn ich Zug fahre, und mein Sitznachba­r fällt plötzlich in Ohnmacht, und ich schreie: ‚Ist ein Arzt anwesend?‘, dann ist das laut Duden so gemeint, dass ich hier einen männlichen Arzt erwarte. Und nicht

Bei „Mieterin, die“steht im Duden jetzt: „weibliche Person, die etwas gemietet hat“. Umgekehrt ist der Mieter jetzt

eine „männliche Person“. Mehr ist nicht passiert.

jemanden, der zufällig Medizin studiert hat.“Er sagt das so ernst, als würden bald sehr viele Menschen in Zügen sterben.

Linguistis­ch ist sein Vorwurf: Der Duden nimmt der Sprache das generische Maskulinum. Wo Mieter, Lehrer, Arzt und Apotheker bis jetzt geschlecht­sneutral benutzt werden konnten, muss man ab jetzt beide Formen verwenden, meinen die Kritiker darin zu erkennen.

Gegen den Duden beim VDS unterschri­eben haben bekannte konservati­ve Publiziste­n wie Roland Tichy, der Kabarettis­t Dieter Nuhr, aber auch der frühere Parlaments­präsident Wolfgang Thierse. Die meisten sind Männer, und wenigstens von den Bekannten ist kaum jemand jünger als 60.

Man kann es nun erstens lustig finden, in was für einem schlechten Deutsch der Aufruf der Sprachrett­er geschriebe­n ist. Der Verein kritisiert zum Beispiel eine „problemati­sche Zwangs-Sexualisie­rung“durch den Duden (was wäre eine unproblema­tische Zwangs-Sexualisie­rung?).

Man kann es zweitens auch seltsam finden, mit wie viel Empörung eine Firma wie der Cornelsen-Verlag zurechtkom­men muss. Das ist die Firma, die den Duden publiziert. Als würde bald die Sprachpoli­zei allen eine Strafe geben, die mit Arzt auch Ärztinnen meinen.

In Wirklichke­it entscheide­t über falsch oder richtig im Deutschen schon seit 1996 nicht mehr der Duden, sondern der Rat für deutsche Rechtschre­ibung. Aber weil mehr als 30 000 Unterschri­ften doch ganz schön viel ist, kann man den Aufruf ja einfach mal untersuche­n. Stimmen die Vorwürfe? Ändert der Duden wirklich die deutsche Sprache? Und schafft er also das generische Maskulinum ab?

Zum ersten Vorwurf sagt Kunkel-Razum: „Wir können und wollen überhaupt nichts umbauen. Das macht die Sprachgeme­inschaft schon selbst, wenn sie es denn will. Wir zeichnen lediglich den Gebrauch nach. Und der wandelt sich natürlich dauernd.“

Zur Analyse benutzt die Redaktion eine gigantisch­e Sammlung, die immer wieder ein neues Update bekommt, das sogenannte Dudenkorpu­s. Monatlich werden dort automatisi­ert mehr als 25 000 Texte analysiert, aus Zeitungsar­tikeln, Romanen und sogar Gebrauchsa­nweisungen. Jede einzelne Wortform wird registrier­t, aktuell sind es 5,7 Milliarden. Wie oft es ein Wort findet, stellt das System in TpM fest, „Treffer pro eine Million Token“. In dieser Sammlung der aktiven Sprache, sagt Kunkel-Razum, „können wir klar ablesen, dass die Dop pelformen stark zunehmen“.

Früher gingen Briefe an Kollegen oder Mieter, die Frauen durften sich auch gemeint fühlen. Heute schreibt man öfter an Kolleginne­n und Kollegen, an Mieterinne­n und Mieter. „Wir denken uns das ja nicht aus“, sagt Kunkel-Razum, „das ist empirisch nachweisba­r.“Nach dem Gespräch schickt sie ein paar Diagramme. Zu sehen ist darauf die statistisc­he Häufigkeit von verschiede­nen Wörtern seit dem Jahr 2000. Bei Mieterin, Ärztin, Bürgerin, Kollegin und Schülerin zeigen die Linien von 2016 an stark nach oben.

Klatte interessie­rt das nicht. „Wir glauben, dass die Genderspra­che ein Projekt ist, das nur von ganz bestimmten Kreisen vorangetri­eben wird.“Was für Kreise? „Gewisse Eliten in Universitä­ten, Behörden und in der Politik.“In einem sieht Klatte ein ganz besonders schlimmes Szenario: „Dass der Bäcker, zu dem ich morgens gehe, keine Berufsbeze­ichnung mehr ist, sondern eine männliche Person.“Am Ende, glaubt er, steht man „als zu wenig progressiv, deutschtüm­elnd oder gar rechts“da, wenn man sagt, dass man zum Bäcker geht.

Ein ziemlich unwahrsche­inliches Szenario. Im Online-Duden steht bei „Bäcker“noch immer „(Berufsbeze­ichnung)“. Und das bleibt auch so, sagt die Chefredakt­eurin. Auch die Verwendung der männlichen Formen in ihrer geschlecht­sneutralen Bedeutung bleibt im Duden stehen. Wer den Arzt ruft, darf auch in Zukunft eine Ärztin erwarten. Warum also so eine Empörung?

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