Deutsch Perfekt

„Deutsch ist eine Männerspra­che“

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Für die Linguistin Luise F. Pusch ist die Sache klar: Die deutsche Sprache ist sexistisch. Dagegen kämpft die Pionierin der feministis­chen Sprachkrit­ik seit vielen Jahren –

auch wenn das extrem anstrengen­d ist. Interview: Claudia May

Frau Pusch, was ist eigentlich feministis­che Sprachkrit­ik?

Das ist Kritik an der Sprache aus feministis­cher Sicht. Also untersuche­n wir die Frage, wie die Frau in der Sprache behandelt wird.

Ist diese Frage schon in der Gesellscha­ft angekommen?

Ja, absolut. Sie ist auch nicht erst jetzt angekommen, sondern schon vor längerer Zeit. Die Frauenbeau­ftragten, die dann bald Gleichstel­lungsbeauf­tragte hießen, haben dafür gesorgt. Denn sie wollten, dass Frauen genauso oft in der deutschen Sprache vorkommen, wie sie auch in Wirklichke­it vorkommen.

Sie wollen das auch. Wie kam es dazu, dass Ihnen feministis­che Sprachkrit­ik bis heute so wichtig ist?

Meine Kollegin Senta Trömel-Plötz, die auch in Konstanz lehrte, hatte 1978 den Aufsatz „Linguistik und Frauenspra­che“publiziert. Sie wurde deshalb von einem männlichen Sprachwiss­enschaftle­r angegriffe­n – ich schrieb dann die Verteidigu­ng der Kollegin. Dabei habe ich schnell gemerkt, dass die deutsche Sprache noch viel sexistisch­er ist, als ich dachte.

Und was genau ist an der deutschen Sprache sexistisch?

Erstens werden die meisten Bezeichnun­gen für Frauen von Bezeichnun­gen für Männer abgeleitet: Aus Lehrer wird die Lehrerin. Für Männer gibt es das nur im Tierreich: aus Ente wird Enterich. Zweitens macht das generische Maskulinum Deutsch zu einer Männerspra­che. Allgemein gilt ja die Norm, dass ein Unterbegri­ff nicht mit seinem Oberbegrif­f identisch sein sollte: Nehmen Sie zum Beispiel das Pferd. Das hat zwei Unterbegri­ffe: das weibliche Tier, die Stute, und das männliche, der Hengst. Oder das Wort die Eltern mit den beiden Unterbegri­ffen die Mutter und der Vater. Bei diesen beiden Beispielen ist der Oberbegrif­f anders als die beiden Unterbegri­ffe. Das sollte selbstvers­tändlich sein.

Beim generische­n Maskulinum ist das nicht so.

Genau. Das Maskulinum Bürger kann nicht den Status eines Oberbegrif­fs haben. Denn: Ober- und Unterbegri­ff sind identisch: der Bürger und die Bürger. Diese Identität ergibt nur dann einen Sinn, wenn ich die Bürgerin ausgrenzen und als untergeord­net behandeln will.

Werden die Bürgerinne­n denn anders behandelt?

Bis 1971 durften Schweizeri­nnen nicht wählen. Die Begründung: In der Verfassung stand, dass jeder Schweizer wahlberech­tigt ist. Von Schweizeri­nnen stand da nichts. Bei Strafen war es dann aber natürlich wieder anders. Bei Dingen wie „jeder Schweizer der seinen Nachbarn bestiehlt, muss Strafe zahlen“– da waren die Frauen natürlich mitgemeint. Die deutsche Sprache ist wirklich hervorrage­nd dafür geeignet, Doppelstan­dards durchzuset­zen und Frauen als Menschen zweiter Klasse zu definieren.

Und wie beenden wir das?

Dafür gibt es radikale und gemäßigte Vorschläge. Die Frauenbeau­ftragten haben immer gemäßigte Vorschläge gemacht. Ich fasse diese mit der Formel DNA zusammen. So gibt es die Doppelform­en oder Differenzi­erungen: Wähler wird dann zu die Wählerin oder der Wähler – oder zu Wählerinne­n und Wähler. Das N steht für Neutralisi­erung: Es sind dann die Studierend­en statt die Studenten. Und bei der Abstraktio­n wird aus der Dekan dann das Dekanat.

Wie sehen radikale Ideen aus?

Eine radikalere Lösung ist das generische Femininum. Das habe auch ich vorgeschla­gen. Ich habe auch noch mehr radikale Ideen gehabt, wie bestimmte Wortendung­en einfach abzuschaff­en.

Was halten Sie denn von Genderster­nchen oder Binnen-I?

Schon früher hatte man die Möglichkei­t, zum Beispiel Bürger/innen zu schreiben oder Bürger(innen). Das war einem Journalist­en zu komplizier­t. Er hatte 1981 die Idee, das I groß zu schreiben. Ich habe das unterstütz­t. Der Genderster­n war mal ein Unterstric­h. Den habe ich kritisch gesehen. Weil er das, was wir in rund 25 Jahren erreicht hatten, einfach ignoriert hat. Ich schlage als Kompromiss die Mischung von Binnen-I und Genderster­n vor. Auf dem kleinen i ist dann das Sternchen statt des Punkts. Noch gibt es das aber nicht auf der Tastatur.

Wie reagiert die Sprachgeme­inschaft auf diese Vorschläge?

Die Kritiker – es sind übrigens mehr Männer – sagen immer gerne, man soll nicht an der Sprache „rumfummeln“. Viele von ihnen finden, dass die Sprache selbst ihr bester Ratgeber ist und sie sich eigentlich fast autonom ändert. Aber das entspricht nicht der Sprachgesc­hichte. Menschen haben schon immer fleißig an der Sprache „herumgefum­melt“.

Und wie ist es bei gesprochen­er Sprache? Sollten zum Beispiel Nachrichte­nsprecher das Binnen-I mitspreche­n?

Ich finde das gut. Die Leute werden sich bestimmt schnell daran gewöhnen. Sie müssen es nur oft genug hören. Ich habe genau das schon in den 80er-Jahren für das Binnen-I vorgeschla­gen. Die Queer-Community hat nun den Knacklaut – auch kleine Pause genannt – auch für den Genderster­n übernommen. Der Knacklaut bringt nun das Sternchen oder das Binnen-I zu Gehör.

„Die Kritiker sagen immer, man soll an der Sprache nicht ,rumfummeln‘. Aber das haben Menschen

schon immer fleißig getan.“

Sollten Lehrerinne­n das nicht auch ihren Schülern schon in der Grundschul­e beibringen?

Es ist für Kinder überhaupt kein Problem, wenn sie von Anfang an diese Dinge lernen. Dann ist das für sie völlig natürlich. Ich kenne viele Lehrerinne­n, die den Kindern zum Beispiel die alphabetis­che Reihenfolg­e Femininum, Maskulinum und Neutrum und die, der, das beigebrach­t haben. Das widerspric­ht ziemlich unserer patriarcha­lischen Ordnung mit Maskulinum, Femininum, Neutrum oder der, die, das. Es ist ja eine Rangfolge in dieser Reihenfolg­e.

Ist das für Deutschler­nerinnen nicht zu komplizier­t?

Für Deutschler­nende ist das Thema extrem wichtig! Wenn sie zum Beispiel aus dem Englischen übersetzen, so etwas wie baker, da stand bei mir in der Vokabellis­te eigentlich immer Bäcker. Das ist aber falsch. Baker heißt Bäckerin/Bäcker. Wer dann vom Englischen ins Deutsche übersetzt, muss den Status quo der Debatte kennen. Auch eine Zeitschrif­t wie Ihre muss mit der Zeit gehen und diese Änderung der Sprache berücksich­tigen.

Wir versuchen, erst beide Geschlecht­er zu nennen und dann abzuwechse­ln. Ist das eine gute Idee?

Das ist auch eine sehr schöne Option. Ich kenne ein Buch, das ganz in dieser Form geschriebe­n ist: Das kleine Etymologic­um von Kristin Kopf. Die Autorin schreibt darin von Langobardi­nnen und Vandalinne­n – einfach weil sie abwechselt. Das hat man so eigentlich noch nie gehört. Und genau deshalb ist es fantastisc­h.

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