Menschen im Homeoffice?
Millionen Menschen arbeiten von zu Hause aus, viele von ihnen inzwischen schon seit über einem Jahr. Was macht das mit denen, die durch die Pandemie kaum mehr in die Büros kommen? Von Stephan Radomsky
Es ist eine große Zahl: Rund zehn Millionen Deutsche führen gerade eine Fernbeziehung. Nicht unbedingt zu ihren Liebsten, das vielleicht auch, vor allem aber zu den Kolleginnen, zum Chef, zur Firma. Seit über einem Jahr geht das so, seit zum ersten Mal der Corona-Lockdown übers Land verhängt wurde. Viele, die man früher täglich traf, kennt man nur noch vom Bildschirm.
So eine Fernbeziehung ist aber eine ambivalente Sache: Einerseits bietet sie enorme Freiheiten. Andererseits kann sie für die Partnerinnen aber auch schwierig sein, wenn das Miteinander fehlt und es keinen gemeinsamen Alltag gibt. Man wird sich fremd, die Bindung schwindet, am Ende steht dann oft die Trennung.
Das ist nicht nur in der Liebe so, sondern auch im Job.
„Viele Leute fragen sich gerade, ob das, was sie da als Beruf machen, überhaupt das Richtige ist“, sagt etwa Fabian Kienbaum, Chef der gleichnamigen Personalberatung. „In der Routine stellen sich fundamentale Fragen oft nicht, jetzt sind viele Routinen aber weg, und die Leute kommen innerlich in Bewegung.“Sogar der deutsche Fußball-Nationaltrainer
Jogi Löw kam in den vergangenen Monaten zu dem Schluss, dass es vielleicht besser wäre, Schluss zu machen.
Dass sich auch sonst etwas verändert in der Beziehung zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeberin, beobachten viele, auch wenn es dazu noch keine genauen Daten gibt. „Wie viel Bindung zwischen Mitarbeitern und Unternehmen verloren gegangen ist, wird sich erst in einigen Mo naten wirklich zeigen – wenn die Pandemie hoffentlich vorbei ist und mehr Leute womöglich wirklich den Job wechseln“, sagt die Ökonomin Susanne Steffes vom Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW), wo sie sich vor allem mit Personalökonomik beschäftigt. „Die Bereitschaft zum Jobwechsel ist ja schon das Extrem. Da passiert vorher vieles: viel Nachdenken, Zweifel.“
Gründe zum Nachdenken gibt es gerade genug. Die Corona-Pandemie ist aus vielen Gründen nicht so einfach für die Heimarbeiter: Entweder belasten Kinderbetreuung und Home-Schooling oder Einsamkeit, dazu kommen oft die Angst vor dem Jobverlust und die Sorge um die Gesundheit der Liebsten. Ständig vorhanden ist die Unsicherheit, wie es weitergeht. Wichtig findet Steffes dabei diese Frage: Wie viel von der eigenen Unzufriedenheit wird dem Arbeitgeber zugeschrieben?
Das fragt sich auch Bagher Feiz-Marzoughi. Man spricht mit ihm per Videokonferenz-Software auf dem Handy, wie so oft in diesen Tagen. Er ist zwar einigermaßen regelmäßig mal im Büro, dann aber ganz allein. Und kaum noch ist er beim Kunden. Feiz-Marzoughi leitet ein Team bei Siemens Advanta, der Unternehmensberatung des Münchener Konzerns. Seine Leute sitzen an verschiedenen Standorten im In- und Ausland. Seit 32 Jahren ist er im Unternehmen. Er hat Erfahrung damit, Leute zusammenzuhalten, die nicht zusammensitzen.
Vor Corona, sagt Feiz-Marzoughi, hätten ihm seine Arbeitstage viel besser gefallen. „Viele Dinge sind schwieriger geworden, egal ob man Vorgesetzter ist oder Mitarbeiter: schnelle Absprachen, der menschliche Kontakt“, sagt er. „Jetzt ist es anstrengend, weil ich ständig die Sorge habe, ob ich mit allen, den Kunden und den Mitarbeitern, ausreichend kommuniziere.“
Was früher von allein und nebenher passierte, braucht jetzt einen festen Termin. Also konferiert Feiz-Marzoughi jeden Morgen 15 Minuten per Videoschalte mit seinem Team – damit sich alle wenigstens virtuell einmal am Tag sehen können. Da gehe es um Fachliches und Sachliches zur Arbeit, „aber wir schwätzen auch einfach“, erzählt er. „Das hilft gegen die Lethargie.“
Dass die inzwischen zunimmt, bestätigt auch Ökonomin Steffes: Der erste Hype ums Homeoffice ist in ihren Augen vorbei, und die Einstellung der Menschen dazu inzwischen offenbar „nicht mehr so uneingeschränkt positiv, vor allem dann, wenn sie fast ausschließlich von zu Hause aus arbeiten“.
Wie plötzlich und stark der Wandel war, zeigen die Zahlen: Noch 2019, also vor der Pandemie, waren laut Statistischem Bundesamt nur 5,5 Prozent der Erwerbstätigen in Deutschland die Hälfte ihrer Arbeitszeit oder mehr im Homeoffice. Im April 2020 lag der Anteil laut einer repräsentativen Erhebung des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts der Hans-Böckler-Stiftung (WSI) dann bei 27 Prozent. Zwar sank die Quote im Sommer zusammen mit den Infektionszahlen. Aber mit diesen Zahlen stieg ab Herbst auch die Zahl der Heimarbeiter wieder, zuletzt bis auf 24 Prozent der Erwerbstätigen im Januar 2021.
Vom Fremdgehen aber hält viele das nicht ab. „Wir waren teilweise überrascht, wie groß die Mobilität am Arbeitsmarkt auch in der Pandemie geblieben ist“, sagt Personalberater Kienbaum. Zwar würden insgesamt natürlich weniger Jobs ausgeschrieben und besetzt, „bei hochqualifizierten Stellen und Führungspositionen hat die Nachfrage aber kaum 2019 arbeitete nur jeder Zwanzigste im Homeoffice – im Januar 2021 war es jeder Vierte.
abgenommen“– bei genau denen also, die zurzeit besonders oft im Homeoffice sitzen. Gleichzeitig sieht ZEW-Ökonomin Steffes nicht, dass sich die Unternehmen größere Gedanken um die Mitarbeiter-Bindung machen. Stattdessen möchten sie am liebsten einfach zurück zur alten Zweisamkeit: So haben zwei Drittel der Firmen laut einer Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft nicht vor, ihren Beschäftigten nach der Corona-Krise mehr Homeoffice zu ermöglichen als davor.
Ein Fehler, glaubt Feiz-Marzoughi. „So wie es war, wird das Arbeiten jedenfalls nicht wieder werden. Wie es genau wird, da sind der Fantasie keine Grenzen gesetzt.“Für viele seiner Leute zum Beispiel war das Homeoffice am Anfang nicht so einfach zu organisieren. Inzwischen sind sie aber ganz darauf eingerichtet.
„Jetzt ist natürlich die Frage: Kann ich diese Leute nach anderthalb Jahren zwingen, wieder alles umzukrempeln, um zurück ins Büro zu kommen?“Feiz-Marzoughi glaubt das nicht. Eher erwartet er nach der Pandemie eine Mischung: berufliche Reisen, wenn sie wirklich notwendig sind oder einen Mehrwert bringen, Homeoffice dort, wo es geht und gewünscht wird. Und er findet: Dann muss man auch darauf achten, dass Arbeit und Privates nicht verschwimmen. „Viele halten das für Flexibilität, ich finde das gefährlich.“
Dass diese Trennung im Corona-bedingten Homeoffice verwischt, beklagten laut der WSI-Umfrage im Januar schon 61 Prozent der Beschäftigten. Im April 2020 hatte die Quote noch bei 56 Prozent gelegen. Auch stieg der Anteil derer, die fanden, Telefon- und Videokonferenzen könnten den persönlichen Kontakt zu den Kollegen nicht ersetzen, von schon hohen 74 auf nun 77 Prozent. Gleichzeitig aber mögen die meisten Befragten die persönliche Freiheit im Homeoffice. Sie finden, dass sie dort effektiver arbeiten und Familie und Beruf leichter kombinieren können. Das Verhältnis zum Homeoffice, es hat eben zwei Seiten.
Zumindest an manchen Orten hat das Bewusstsein für das Problem inzwischen auch das Topmanagement erreicht. „Immer nur daheim zu sein, auch das kann auf Dauer belastend sein“, sagt zum Beispiel Boris Scukanec Hopinski, bei der Münchener Hypo-Vereinsbank Vorstand fürs operative Geschäft. Auch ihn erreicht man per Video im Homeoffice – wo auch sonst? Nur 15 bis 20 Prozent der Leute aus seiner Zentrale kommen zurzeit ins Büro. Zwar lieferten interne Befragungen bisher keinen Hinweis darauf, dass die Mitarbeiter der Bank Homeoffice-müde würden oder die Stimmung kippt. Trotzdem versucht die Bank, „positive Impulse zu setzen“, damit die Angestellten den Kontakt zum Haus nicht verlieren, sagt Scukanec Hopinski: klare Information und Orientierung für Mitarbeiter etwa oder Kommunikationstrainings für Führungskräfte.
Auf Kontrolle zu verzichten und nahbar zu sein, das hält Personalberater Kienbaum für den richtigen Weg: „Führungskräfte, die auch mal menschlich sein können, haben gerade mehr Erfolg.“Gerade die Nähe aber braucht im Homeoffice Konzept und Disziplin, sagt ZEW-Ökonomin Steffes: „Es gibt keine zufällige Begegnung, kein ungeplantes Plaudern. Das wird völlig unterschätzt.“Ein Mitarbeitergespräch pro Jahr oder sogar eines pro Quartal reichten jedenfalls längst nicht aus, um dranzubleiben.
Offenheit, Nahbarkeit, Vertrauen, Nähe – wenn es ums Thema Homeoffice geht, fallen gerade sehr viele Vokabeln, die ein wenig nach Paartherapie klingen. Aber vielleicht ist es genau das, was viele Firmen und vor allem viele Angestellte nach der Pandemie erst mal brauchen: ein bisschen Zeit zusammen und vielleicht ein bisschen Hilfe.
Viele mögen die persönliche
Freiheit – gleichzeitig fehlen ihnen die
Kollegen.