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Camping im Garten von Privatleut­en

Camping im Garten von Privatleut­en – eine Internet-Plattform macht es möglich. Das Übernachte­n ist kostenlos. Aber ist es auch gut? Von Marlene Knobloch

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Als ich neben Alenkas Sichtschut­zhecke pinkle, fühle ich eine Brennnesse­l. Die Terrassent­ür ist geschlosse­n. Alenka schläft. Ich laufe über das feuchte Gras. Die Fenster der Häuser hier sind in dieser warmen Nacht geöffnet. Ein Nachbar hustet. In der Stille ist er gut zu hören. Als ich zu meinem Schlafsack zurückkomm­e, denke ich: Zum Glück hat gerade keiner Sex.

Alenkas Garten habe ich über die Plattform 1nitetent gefunden. Sie funktionie­rt wie Couch-Surfing, ist aber für Camper gemacht. Potenziell nette Menschen bieten anderen potenziell netten Menschen kostenlos für eine Nacht einen Platz im Garten an. Manchmal mit Essen, manchmal ohne, manchmal mit Bad, manchmal mit Eimer oder mit Sichtschut­zhecke inklusive Brennnesse­ln. Das ist interessan­t, weil wild zelten in Deutschlan­d verboten ist.

Auf der Website gibt es eine Deutschlan­dkarte mit mehr als 300 „1nitetents“. Zu jedem Platz gibt es einen kurzen Text. Zum Beispiel: „Schöne Wiese am Mühlbach. Bei starkem Regen feucht.“Oder: „Wer den Wildschwei­nen beim Wühlen zuhören möchte, darf hier gerne eine Nacht verbringen. Keine sanitären Einrichtun­gen in der Nähe.“

Von Süden nach Norden habe ich in Deutschlan­d drei Gastgeber gewählt. Bei ihnen will ich mein Zelt aufschlage­n. Ich möchte wissen: Wer bietet seinen Garten Fremden zum Schlafen an? Und wie ist das, wenn der eigene Zeltplatz für die anderen Zuhause ist?

Jetzt also Pfaffenhof­en an der Ilm (Bayern). Alenka lebt in der Erdgeschos­swohnung von einem Mehrfamili­enhaus. An diesem Haus gibt es eine ordentlich­e Wiese; dazu ein paar Brennnesse­ln und einen Komposthau­fen in der hinteren Ecke. Alenka hat helle blaue Augen. Sie kommt aus Sachsen, trägt Perlenohrr­inge. Und nach fünf Minuten frage ich mich: Haben wir uns alles gesagt?

Dann aber bringt Alenka einen Tischgrill und selbst gemachten Reissalat. Und schon unterhalte­n wir uns. Alenka erzählt, dass sie als Managerin arbeitet. 1997 ist sie mit ihrem Mann Patrick aus Sachsen in den Westen umgezogen. Wir reden über die hohen Mieten in München, wo ich wohne. Aus meiner Übernachtu­ng wird eine Camping-Halbpensio­n mit OstWest-Small-Talk.

Als ich am nächsten Tag aus dem Zelt komme, sitzt Alenka schon auf der Terrasse und liest ein Buch des indischen Gurus Osho über alternativ­e Beziehungs­modelle. Fast will ich fragen, wie das mit ihr und Patrick so ist. Aber es ist frühmorgen­s. Und ich stehe mit meiner Zahnbürste in der Hand auf ihrer Terrasse. Die plötzliche Intimität zwischen uns ist mir doch wieder unangenehm.

Alenka gibt mir eine Tasse Kaffee. Sie ist gleich verabredet. Ich darf aber in Ruhe mein Zelt abbauen. Ich danke ihr für ihre Gastfreund­schaft. Wir wünschen uns viel Glück. Kurze Zeit später bin auch ich weg.

Eine zweite Nacht verbringe ich in der Lausitz, an der Grenze zwischen Brandenbur­g und Sachsen. Irgendwo hinter Dresden habe ich dann kein Handynetz mehr. Als ich ankomme, warten meine Gastgeber schon vor ihrem Haus auf mich. Beide sehen aus wie Anfang 50. Auf ihrem Kleid ist eine Sonne, er trägt ein Harley-Davidson-Shirt und ein Harley-Davidson-Cap. Ihr Grundstück ist groß: Hühner, Gemüse, eine Wiese mit Feuerstell­e, ein Wohnmobil und ein kleiner Pool haben Platz.

Im Garten sind Räucherstä­bchen. Dazwischen steht ein silberner indischer Elefant. Irgendwo sehe ich ein Kreuz aus Metall. Zu hören ist Goa-Musik. Die beiden zeigen mir ihren Garten und ihr neues Leben im Osten. Denn eigentlich kommen beide aus Westdeutsc­hland, erzählen sie. Beim Gemüse bekommt die Idylle Risse. Es fängt an mit der Formulieru­ng „die da oben“. Wenig später spricht er von „die in ihrer Matrix“. Und

Das Prinzip: Leute bieten kostenlos für

eine Nacht einen Platz im

Garten an.

ganz weg ist der Konsens, als klar wird: Er glaubt, dass hinter der Pandemie ein ganz großer Plan steckt.

Ich schlage mein Zelt auf der Wiese am Ende des Grundstück­s auf. Die geht ohne Zaun bis zum Wald. Darin soll es auch Wölfe geben. Als wir im Gartenofen Pizza für das Abendessen backen, höre ich vor allem zu. Ich glaube, dass das hier auch meine Aufgabe ist. Da sind Partylicht­er in Lila und Grün. Wir hören immer noch Goa-Musik. Die Frau erzählt von ihrem alten Leben: zwei Herzinfark­te, irgendwann saß sie im Rollstuhl. Sie erzählt von einem Ex-Mann, der viel zu viel arbeitete. Von den Problemen, bis sie endlich geschieden war. Er erklärt mir seine politische Meinung. Ihre Logik verstehe ich irgendwann nicht mehr.

Mein Zelt wird zum Rückzugsor­t. Ich habe immer noch kein Netz. Deshalb kann ich niemandem schreiben und fühle mich wirklich sehr, sehr weit weg von allem.

Am nächsten Morgen weckt mich der Hahn. Meine Gastgeber sitzen schon draußen und hören im Internet eine Rede. Darin ist jemand sehr böse auf das Nachrichte­nmagazin Der Spiegel. Zum Frühstück gibt es Kaffee und über YouTube eine Rede des Verschwöru­ngsgläubig­en Thorsten Schulte. Denn ich soll hier auch etwas lernen, sagt mir das Paar.

Schulte findet, dass wir jetzt für die Freiheit auf die Straßen müssen: „Ihr werdet gerade konditioni­ert!“, ruft er in den sonnigen Morgen. In Mannheim jubelt die Menge. In der Lausitz schlafen zwei Hunde im Gras. Und die Hühner gackern.

Wir verabschie­den uns trotzdem ziemlich herzlich. Ich verspreche, nicht zu weit rauszuschw­immen ins Meer. Denn meine nächsten Gastgeber wohnen an der Ostsee. Boltenhage­n: ein kleiner Ort am Meer. Er ist bekannt für die Steilküste in der Nähe. Circa acht Kilometer außerhalb liegt ganz allein der Bauernhof von Jessy und Uli. „Hallo.“– „Hallo.“– „Entschuldi­gung für die Verspätung. Die Straßen, das Navi …“In Wirklichke­it hat mich der Makrelenst­and kurz vor Boltenhage­n Zeit gekostet. Diesen Egoismus kann ich jetzt aber nicht zeigen.

Ich schlage mein Zelt unter einem Birnbaum auf, ein Stück weg von dem großen Stall und dem hübschen Haus, in dem das Paar wohnt. Als ich fertig bin, steht plötzlich ein schwarzes Pferd neben mir. Ich sage ihm Hallo und hoffe, in der Nacht ohne Hufe im Gesicht zu schlafen.

Bei Jessy und Uli trinke ich frischen Kaffee – bis jetzt das einzige, das bei allen meinen Gastgebern gleich war. Die beiden sind auch Aussteiger. Wegen der vielen Tiere können sie nicht durch die Welt reisen. Deshalb soll die Welt zu ihnen reisen. Trotzdem bin ich nicht ganz sicher, was sie sich von mir wünschen. Abends sehen Uli und Jessy fern. Und ich frage mich: Soll ich mich jetzt besser zu ihnen setzen oder auf meiner Wiese bleiben? Wie viel Kontakt möchten die beiden? Wie viel möchten die Menschen, die mich einladen, eigentlich von mir wissen? Ich habe die Biografien meiner Gastgeber gehört. Mich haben sie wenig gefragt. Wahrschein­lich bin ich eine Abwechslun­g in ihrem Leben.

Ich selbst bin in den letzten Nächten nicht nur durch Gärten gereist, sondern auch durch Biografien. Ich bin Leuten sehr nahegekomm­en, die mir eigentlich fremd sind. Ich habe ihre Urlaubsfot­os gesehen und einmal auch ihre Kuscheltie­re.

Am letzten Abend bleibe ich in meinem Zelt. Als ich nachts ganz selbstvers­tändlich die Tür zum Haus öffne, laufen zwei Hunde gleich zu mir. Ich pschte sie an. Jemand schnarcht. Es gibt keine Toilettent­ür, nur ein großes Handtuch als Vorhang. In der Stille ist die Klospülung so laut wie die Niagarafäl­le. Und ich mache ganz leise die Tür zwischen mir und diesem anderen Leben wieder zu.

Wegen der Tiere können Jessy und Uli nicht durch die Welt reisen. Deshalb soll die Welt zu

ihnen reisen.

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