Sprich mit mir!
Nicht nur die Grammatik und Vokabeln müssen Deutschlernende im Kopf haben. Auch die richtige Aussprache ist sehr wichtig – ohne sie gibt es schnell Probleme. Und die können größer sein als gedacht. Von Claudia May
Johann Sebastian Bach kennt fast jeder. Der Nachname des Komponisten ist für Deutsche ziemlich normal. Viele Nicht-Muttersprachlerinnen und Nicht-Muttersprachler haben damit aber ein Problem: Wie spreche ich dieses ch korrekt aus? Keine Angst: Solche Probleme haben viele. In jeder Sprache gibt es Wörter, die Lernenden das Leben wirklich schwer machen.
Für Florin Onea war es zum Beispiel das Wort Hauptbahnhof. „In meiner ersten Zeit in Deutschland habe ich nicht verstanden, wie jemand das aussprechen kann“, erzählt der Rumäne und lacht. „Ich wusste einfach nicht, wo man da im Wort selbst eine Pause macht, wo also eine Silbe zu Ende ist.“
Das Problem hatte der IT-Spezialist besonders bei langen Wörtern – und davon gibt es im Deutschen viele. Wenn Muttersprachlerinnen dann auch noch schnell geredet haben, verschwamm für den 38-Jährigen die Sprache so stark, dass er keine klare Struktur erkennen konnte.
Für Onea war es also eine große Herausforderung, das Wort Hauptbahnhof richtig auszusprechen. Aber er hat sich ihr gestellt. Und das war auch gut so. „Die korrekte Aussprache ist für das Verständnis sehr wichtig. Ohne sie scheitert die Kommunikation“, sagt Phonetikexpertin Daniela Niebisch.
Die 46-Jährige weiß, wovon sie spricht. Sie trainiert seit vielen Jahren mit Deutschlernenden die korrekte Aussprache und ist Autorin des Praxisbuch Phonetik und der Übungsreihe Phonetik – Übungen und Tipps für eine gute Aussprache.
Wie wichtig ihr Thema ist, zeigt auch dieses Phänomen: Ein Lernender kann zwar Sprachkenntnisse auf dem sehr hohen Niveau C1 haben. Wenn er aber mit extremem Akzent spricht und falsche Pausen setzt, dann denken viele: Das ist ein Anfänger.
Umgekehrt werden die Sprachkenntnisse einer Anfängerin viel höher eingeschätzt, wenn sie eine gute Aussprache hat und die richtige Satzmelodie trifft. Kleine Grammatikfehler werden dann oft gar nicht registriert. Und der Kommunikationspartner benutzt schwereres Deutsch, was die Deutschlernende wieder Fortschritte machen lässt.
Wenn ein Lernender mit einem extremen Akzent spricht, denken alle: Das ist ein Anfänger.
Wer kaum verstanden wird, wird von Deutschen oft nicht ernst genommen. „Das passiert ganz automatisch und ist keine bewusste Entscheidung des Gegenübers“, erklärt Niebisch. „Aber wenn man das weiß, ist klar: Besonders bei Ämtern oder auch bei der Arbeit bringt ein extremer Akzent Nachteile.“
Gerecht ist das nicht. Deutsch gut zu sprechen, ist nämlich natürlich für die meisten Europäer viel leichter als zum Beispiel für Asiaten. Besonders Muttersprachler von mit dem Deutschen eng verwandten Sprachen wie Niederländisch oder Schwedisch müssen meistens viel weniger trainieren.
Aber mit ihren Phonetik-Problemen ist kaum eine Nation allein: Auch Franzosen und Italienerinnen finden Wörter wie Hauptbahnhof schlimm. Aber bei ihnen geht es, anders als bei Onea, nicht um Silben. Ihr Problem: Sie kennen das h aus ihrer Sprache nicht. Deshalb machen sie im Gespräch auch schnell aus einem Hai ein Ei. „Und kennen Sie den Affen von Marseille?“, fragt Oneas französische Kollegin Sandrine Hygoulin und lacht. „Das Tier ist plötzlich da, wenn Franzosen bei dem Wort Hafen das h nicht sprechen – und dann auch noch das a kurz sprechen. So wie sie es aus ihrer Sprache kennen.“
Menschen aus Spanien, Russland und der arabischen Welt kann man mit Umlauten, wie in dem Wort Übung, den Tag verderben. Und Engländer finden Eichhörnchen zwar meistens niedlich, aber auf zweimal ch in diesem Wort würden sie sicher gern verzichten. Und über den Komponisten Johann Sebastian Bach reden sie mit großer Wahrscheinlichkeit auch nicht gern.
Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Betonung. Diese wandert im Deutschen nämlich oft. Dann hat das Wort eine komplett andere Bedeutung. Dafür muss manchmal auch kein Buchstabe anders sein. Es ist zum Beispiel ein großer
Unterschied, ob man seine Oma auf der Straße umfährt – oder umfährt.
„Wird der Wortakzent falsch gesetzt, kann der Gesprächspartner die Aussage oft nicht mehr dekodieren“, fasst Phonetikspezialistin Niebisch das Problem zusammen. „Oder wissen Sie, was Blumento-Pferde sind? Richtig betont zeigt sich, dass Blumentopf-Erde gemeint ist. Und wer nicht aufpasst, macht aus dem Wort Urinstinkt schnell Urin stinkt.“
Und wenn man sich die korrekte Aussprache absolut nicht merken kann? Dann kann man es mit Zungenbrechern probieren. Das klingt zwar erst einmal komisch, denn die sind natürlich wirklich kompliziert. Aber sie helfen, im Gedächtnis eine Emotion und ein Bild zu erzeugen. Dann ist der Zungenbrecher wie eine Eselsbrücke, mit der man sich den richtigen Wortakzent merken kann. Und auch Muttersprachlerinnen haben ihre Probleme mit Fischers Fritz, der frische Fische fängt.
Da die deutsche Sprache aber nicht nur aus einzelnen Wörtern besteht, muss ein Lernender außerdem auf die richtige Satzmelodie achten. So dürfen zum Beispiel Spanierinnen den Rhythmus ihrer Sprache nicht einfach auf das Deutsche übertragen. Der ist dort nämlich komplett anders. Und Chinesen, die bekanntlich in einer tonalen Sprache zu Hause sind, müssen wieder einmal sehr viel mehr lernen als andere.
Eine andere Besonderheit des Deutschen: Man kann fast jedes Wort in einem Satz durch eine Betonung hervorheben. Damit ändert sich die Bedeutung des Gesagten. Ein Beispiel:
Heute kommt Johanna zu uns: Hier wird betont, dass Johanna an genau diesem Tag kommt und nicht, wie vielleicht ursprünglich geplant, morgen.
Heute kommt Johanna zu uns: Hier wird betont, dass genau diese Person kommt und nicht, wie vielleicht ursprünglich geplant, ihre Schwester Petra.
„Wird der Wortakzent falsch gesetzt, kann man die Aussage oft nicht mehr dekodieren.“
Eine Regel ist im Deutschen bei der Satzmelodie auf jeden Fall sehr wichtig: Die Stimme geht am Ende eines Satzes nach unten. Und das sehr weit. Das ist auch sehr oft bei Fragesätzen so. Generell rät die Phonetikexpertin ihren Schülern, im Deutschen mit tiefer Stimme zu sprechen. Denn das kommt beim Gegenüber viel seriöser an. Auch in deutschen Radioprogrammen oder in den Fernsehnachrichten hört man deshalb meistens Menschen, die eine tiefe Stimme haben.
Aber können es Deutschlernende schaffen, wirklich wie Muttersprachlerinnen zu reden? Also so, dass man keinen Akzent mehr hört und die Sprachmelodie perfekt ist? „Theoretisch ist das möglich“, sagt Daniela Niebisch. „Aber ab einem Alter von ungefähr 14 Jahren wird es schwieriger. Denn Sprache funktioniert bei den Menschen dann automatisch. Wir denken also nicht mehr darüber nach, wie wir zum Beispiel Laute bilden.“Dann kann die Schülerin nach Stunden des Übens zwar endlich ein h sprechen. Aber im nächsten Gespräch kommt der Laut dann doch wieder nicht aus ihrem Mund. Das kann ziemlich frustrierend sein.
Aber: Oft machen sich Menschen auch zu viele Gedanken. „Es ist im Deutschen zum Beispiel völlig egal, ob Sie ein r vorn mit der Zunge artikulieren oder hinten im Rachen bilden“, erklärt Niebisch. „Man wird Sie immer gut verstehen.“Auch bei einem kleineren Akzent sieht die Expertin keine Probleme. Viele Deutsche finden diesen sogar sehr charmant. Nicht umsonst werden zum Beispiel Protagonistinnen mit einem italienischen oder auch französischen Akzent oft in Fernsehwerbungen eingebaut.
Diesen Vorteil wusste auch der niederländische Showmaster Rudi Carrell zu nutzen. Er war in Deutschland sehr populär und konnte Deutsch fast ohne Akzent sprechen. Das hat er aber nicht getan. Denn das durch seine Muttersprache gefärbte Deutsch war sein Markenzeichen. Und das Publikum fand seine falsche Aussprache fantastisch.