„Nicht ohne Arthur“
Als der Kalifornier Arthur Kern vor der Tür ihrer Wohnung in Wien steht, ändert sich nicht nur sein Leben. Die Freundschaft zu ihm zeigt auch Lilly Maier ihren Weg.
Wer ist Arthur Kern?
Er war ein Holocaust-Überlebender und hat als Kind in den 1930er-Jahren in derselben Wohnung in Wien gelebt wie später ich. 2003, als ich elf Jahre alt war, hat Arthur diese Wohnung besucht. So haben wir uns kennengelernt. Für ihn war es die letzte Verbindung zu früher. Er war der einzige Überlebende in seiner Familie. Für mich war es der erste Kontakt mit dem Holocaust. Dass Arthur willkommen ist, war für meine Mutter damals selbstverständlich. Aber sie hat sich auch Sorgen gemacht: Was, wenn er in der Wohnung zusammenbricht? Aber die Sorge war nicht nötig: Arthur war der glücklichste und positivste Mensch, den ich kenne.
Wie kam die Idee zum Buch?
Meine Mutter hat mich damals für ein österreichisches Geschichts-Projekt zum Holocaust angemeldet. Dafür habe ich über Arthurs Mutter Frieda geschrieben. In einer Zeitung war ein Foto von mir, auf dem ich ein Bild von Frieda in der Hand halte. Dann ist eine verrückte Sache passiert: Eine Frau hat dieses Foto gesehen und sich gemeldet. Sie hatte seit über 60 Jahren ein Paket mit wichtigen Dokumenten von Arthurs Eltern. Manches darin hatte finanziellen Wert, aber der emotionale war größer. Wir haben ihm das Paket in die USA geschickt. Mit 16 war ich dann das erste Mal bei ihm und seiner Familie. Sie haben mich alle herzlich empfangen und wurden meine amerikanische Großfamilie. Arthur ist vor ein paar Jahren gestorben, aber ich bin alle zwei Jahre zu Thanksgiving dort – wenn nicht Corona ist. Ich habe im Studium das erste Mal über Arthur geschrieben und das immer mit mir getragen.
Man lebt in einer Wohnung und weiß: Hier lebten Menschen, die von den Nazis deportiert und ermordet wurden. In Ihrem Buch fragen Sie: „Was fängt man mit so einem Wissen an?“Was ist die Antwort?
Auch als Historikerin ist der Holocaust heute mein Thema. Oft fragen mich Leute: Wie ist es, sich jeden Tag damit zu beschäftigen? Es war eine schreckliche Zeit. Aber ich kenne viele Überlebende persönlich und kann sehen, dass es ihnen heute gut geht. Das macht es einfacher.
Über Arthurs Geschichte sind Sie auch zu Ihrem neuen Buch gekommen: eine Biografie über Ernst Papanek. Wer war das?
Das war ein Wiener Sozialist und Reformpädagoge. Er hat im Zweiten Weltkrieg mehrere Hundert Kinder vor den Nazis gerettet. Eines davon war Arthur. Seine Eltern hatten ihn mit zehn Jahren allein nach Frankreich geschickt. Dort, in der Nähe von Paris, leitete Papanek Heime, in denen jüdische Flüchtlingskinder lebten. Als die Nazis nach Frankreich kamen, ging Papanek in die USA und konnte 300 „seiner“Kinder holen.
Beide Bücher verbindet ein Thema: die Kindertransporte. Was war das?
Diese Kindertransporte waren eines der wenigen positiven Ereignisse dieser Zeit. 15 000 Kinder haben überlebt, weil ihre Eltern sie allein ins Ausland geschickt haben, nach England, aber auch nach Frankreich, in die Schweiz oder nach Palästina. Interview: Anna Schmid