Gibt es da wirklich etwas zu gewinnen?
Eine Reise in die Karibik? Ein Auto? Glaubt man dem Text auf der Verpackung, kann fast jeder Joghurt heute ein Ticket zum Gewinn sein. Unser Autor hat das bis jetzt als Marketing-Quatsch ignoriert. Dann war er nicht mehr sicher – und untersuchte das Phänomen genauer.
Diesen Moment gibt es im Leben von jedem Menschen irgendwann: Er entscheidet sich, Gewinnspiele zu ignorieren. Nein, die versprochene Karibikreise auf dem Spülmittel ist nicht für dich! Die kriegst du nicht, die Firma will nur deine Daten. Der Ferrari aus der Joghurtwerbung, eine große Lüge! Er wird nie deiner werden! Denn es gibt keine Geschenke im Kapitalismus!
Dumm, wer an solche Marketing-Märchen glaubt. Trotzdem scheinen die Preisausschreiben sehr zu prosperieren. Und das nicht nur in SpamMails („Sie haben eine nigerianische Bohrinsel gewonnen“). Sondern auch in den ganz normalen Supermärkten. Der Lieblingskäse, die Schokolade, das Bier, das Shampoo, alle versprechen sie auf ihren Verpackungen Gewinne. Man muss nur ganz, ganz wenig über sich selbst mitteilen. Dieses Phänomen muss also größer sein, als Sie und ich glauben. Oder glaubte nur ich nicht daran, und alle anderen reisen schon mit dem Spülmittel-Schiff nach Santo Domingo?
Gibt es da wirklich etwas zu gewinnen? Gehen wir für einen ersten Test in einen Supermarkt, einen sehr großen Rewe in Frankfurt. Bis 23 Uhr ist er geöffnet. Das macht diesen Supermarkt in der Corona-Steppe zu einer Mischung aus Kirche und Nachtklub.
Innen verlost Gutfried 200 Rucksäcke, 400 Brotkörbe und 100 Bücher mit Wanderrouten beim Kauf einer Packung Salami. Beim Tiroler Spezialitäten-Hersteller Handl Tyrol gibt es zehn Winterurlaube und genauso viele Skianzüge zu gewinnen, beim Kauf von Feines Karree leicht (3 Prozent Fett). Bärchenwurst verspricht ein Online-Glücksrad mit „bärenstarken Prämien“.
Bei Wagner kauft man mit einer Tiefkühlpizza die Chance auf einen Goldbarren im Wert von 5000 Euro. Und wer eine Müllermilch-Flasche kauft, die beim Öffnen Muh sagt, bekommt 50000 Euro Finderlohn. Das sind nur ein paar Beispiele.
Aber Rewe ist ja auch nicht die reale Welt. Die liegt im Internet, wie jeder weiß. Dort verlost eigentlich jeder alles. Rossmann zum Beispiel zehn Jägermeister-Shot-Maschinen, Kaufland Smartwatches, Penny Playstations und Virtual-Reality-Brillen. Und auch die Gewerkschaft der Polizei verlost E-Scooter.
Ich werde an allen Verlosungen teilnehmen und gleichzeitig versuchen herauszufinden, wie viele bei so etwas teilnehmen – und ob schon mal jemand gewonnen hat.
Reisen alle anderen schon
mit dem SpülmittelSchiff nach Santo Domingo?
Die Polizeigewerkschaft ist einer der wenigen Preisausschreiber, die Gewinnerinnen und Gewinner mit Namen und Wohnort auf einer Homepage nennen. Ein Anruf irgendwo in Niedersachsen, bei einem, der keinen Scooter, aber wenigstens eine „Gourmet-Trinkflasche“als Trostpreis gewonnen hat.
„Ja, wir haben eine Trinkflasche gewonnen, aber nicht von der Polizei“, sagt eine weibliche Stimme.
„Aber auf der Seite steht doch, dass es ein Preisausschreiben der Gewerkschaft der Polizei war“, frage ich. „Unsere Trinkflasche hat nichts mit der Polizei zu tun.“Ende. Klack.
Erst mal zurück auf Start. Wann genau das Gewinnspiel populär wurde, ist unklar. Beginnen wir 1916: Die deutsche Zigarettenfirma Manoli bittet in einer Anzeige um Bilder, Poesie und Erzählungen aus dem Kriegsalltag. Mitmachen darf nur, wer in der Armee ist. Der Gewinner bekommt eine Geldsumme, Trostpreis sind 200 Zigaretten. 1923: Der Pflaster-Hersteller Kukirol bietet als Hauptgewinn ein lebendes Schwein.
Ich bin kein Kaufmann, aber mein Vater kann so etwas. Der erklärte mir einmal: Wie kriegt man für ein Schwein, das 100 Rubel wert ist, 300 Rubel (Vater rechnete damals in Rubel)? Man verkauft einfach 300 Schweine-Gewinnscheine für einen Rubel und verlost es. Denn jeder nette Zug des Kapitalismus ist in Wahrheit ein Raubzug. Oink.
1951: Der Strumpfhersteller Arwa sucht nach der „Deutschen Beinkönigin“. Um sie zu finden, sollten die Damen an mehreren Stellen ihrer Beine Maß nehmen und das Ergebnis an Arwa schicken. Die Beinkönigin durfte bei dieser sehr praktischen Gratis-Marktforschung ins Nylon-Land USA reisen. Großen Dank an den Werbehistoriker Dirk Schindelbeck, aus dessen Archiv diese Beispiele kommen. Sonja Gottschalk ist Unternehmensberaterin, Wirtschaftspsychologin und Diplom-Kauffrau. Ihre Diplomarbeit hat sie über „Gewinnspiele als Marketinginstrument“geschrieben. „Das Thema wurde mir damals zugelost“, sagt sie und lacht. Sie reagiert etwas überrascht darüber, dass jemand etwas darüber wissen will.
„Generell“, erklärt sie, „unterteilt man in Spiele, wo der bloße Zufall, also das Los entscheidet. Und Leistungsgewinnspiele, bei denen die Teilnehmer etwas beitragen müssen.“Auf Fragen antworten zum Beispiel. „Spiele mit Aufwand meiden Konsumenten allerdings.“
Und das funktioniert? Trotz extrem niedriger Wahrscheinlichkeit, trotz Datensammeln, obwohl fast jeder Deutsche oft schon zu viele Dinge hat? „Die Menschen sehen letztlich einen Gewinn und wenig Verlustrisiko“, sagt Gottschalk. Deshalb funktioniert es.
Sie weiß: In der Mehrheit sind Teilnehmerinnen jung, haben eine nicht so gute Ausbildung, sind arbeitslos, denken mehr als andere an Geld und leben in der Stadt. Sie glaubt aber auch: Seit dem Internet ist alles anders.
Zahlen gibt es zu diesem Phänomen kaum. Wenigstens informiert das Statistik-Portal Statista, dass zehn Prozent der Deutschen einmal oder öfter an einem Gewinnspiel teilnahmen. Das wären ungefähr 8,3 Millionen Menschen.
Ich fragt eine Werbeagentur, die Agentur für Absatzsteigerung. Die hat schon anderen etwas zu diesem Thema gesagt. Torsten Waskow, der die Werbeagentur seit 35 Jahren leitet, weiß nicht so viel. Aber er erzählt die Geschichte eines Gewinnspiels, das er selbst vor 30 Jahren für ein Möbelhaus organisierte: „Das Möbelhaus hat Werbebroschüren mit einem Schlüssel verschickt. Eine Firma stellte dann einen Tresor in ihrem Laden bereit. Wer den passenden Schlüssel hatte, bekam einen VW Golf. Nur haben die das irgendwie versaubeutelt, und die ersten
1951:
Der Strumpfhersteller Arwa sucht nach der „Deutschen Beinkönigin“.
beiden Schlüssel passten gleich. Das Möbelhaus musste sein Gewinnspiel noch am ersten Tag abbrechen, bekam schlechte Presse und war gezwungen, zwei Autos zu spendieren.“Und das alles für ein wenig Möbel-Werbung?
Noch ein Versuch, bei hamsterrausch.de. Die Plattform hat sich darauf spezialisiert, „seriöse“Preisausschreiben zu finden. Das sind ungefähr 150 Verlosungen im Monat, die rund 50 000 Besucher auf der Page interessieren. Vor fünf Jahren startete Jens Korch die Seite als Pilotprojekt. Inzwischen arbeiten drei Leute für ihn.
Wenn man so mit Herrn Korch über die 100 000 Varianten spricht, Waschmittel zu gewinnen, fragt man sich: Ist das Spielen hier nicht eigentlich viel wichtiger und gar nicht das Gewinnen? Das Träumen ist auch eine Form der Konzentration im Kapitalismus.
Wer nach dem Kauf einer Pizza 5000 Euro in Gold haben will, soll auf der Wagner-Website den Einkaufszettel hochladen (Gottschalk: „So kann ausgewertet werden, welche Komplementärprodukte noch gekauft wurden“). Die
Firma will auch wissen, wo man ihr Produkt gekauft hat und welche Sorte es war.
Juristisch gibt es ein paar wichtige Regeln für Preisausschreiben in Deutschland. Die Teilnahmebedingungen müssen gut zu verstehen sein: Von wann bis wann darf wer mitmachen? Ausgeschlossener Rechtsweg? Die Teilnahme darf nichts kosten. Das ist der wichtige Unterschied zur Lotterie.
Wichtig wird nun die Frage: Wie viele Menschen spielen mit und kaufen ein Produkt, weil sie gewinnen wollen?
An 20 Firmen schreibe ich, aber nur zwei davon nennen konkrete Zahlen. Der Lebensmittelhersteller Bürger hatte bei einfachen Gewinnspielen ungefähr 30 000 Teilnehmer. Anders war es bei interaktiven Aktionen, zum Beispiel der Suche nach der perfekten Bürger-Dinner-WG. Die Firma wollte zwei Fotos und ein Video von Bürger-Speisen. Da machten nur ungefähr 30 mit. (Gottschalk: „Aber die sind dann super Content für Social Media.“)
Handl Tyrol registrierte bei der letzten Sandwich-Box-Werbung rund 15 000 Teilnehmerinnen. Aber beides sind kleinere Firmen. Zu Wagners „Jubel Trubel“und dem guten Gold sagt die PR-Frau Petit: „Bei Nestlé Wagner bieten wir einmal im Jahr ein Gewinnspiel auf ausgewählten Produkten an. Somit möchten wir Pizza-Fans eine Freude bereiten.“
Pizzafans eine Freude bereiten, das verstehe ich, liebe Frau Petit. Aber woher wissen Sie eigentlich, warum Gold den Pizzafans eine Freude bereiten würde?
„Gerade in der Corona-Pandemie scheint nur noch wenig sicher zu sein. Und Gold ist etwas, das für Sicherheit steht.“
Haben Sie das Gold schon bestellt?
„Ja, das Gold ist bereits bei einer Bank geordert, 35 Barren, jeder im Wert von 5000 Euro. Und wir werden auch jeden Barren verlosen. Es ist unser fester Glaube bei Wagner, dass man das, was man verspricht, auch liefern sollte.“
Braucht man dafür den ganzen Einkaufszettel? Ist das nicht zu viel Interesse an den lieben Pizzafreunden?
„Letztlich ist das die freie Entscheidung jedes Teilnehmers, zwingt einen ja keiner mitzuspielen.“
Irgendwie typisch diese Argumentation, dass jeder Mensch am Ende selbst entscheiden muss. Aber was genau ist eigentlich Zwang? Was ist freie Entscheidung? Arbeiten beide für den Kapitalismus?
Sicher ist am Ende nur, dass ich bis jetzt absolut nichts gewonnen habe. Wahr ist aber auch, dass ein Ding am Ende einfach mehr Spaß macht: den Joghurt zu wählen, der einem vielleicht den Ferrari in die Garage bringt. Und nicht den Joghurt, der einfach nur Joghurt ist. Denn das Träumen gibt es im Kapitalismus millionenfach geschenkt. Solange darin investiert wird.
Hamster
rausch.de startete als Pilotprojekt. Heute arbeiten vier Leute dafür.