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Gibt es da wirklich etwas zu gewinnen?

- Von Dmitrij Kapitelman

Eine Reise in die Karibik? Ein Auto? Glaubt man dem Text auf der Verpackung, kann fast jeder Joghurt heute ein Ticket zum Gewinn sein. Unser Autor hat das bis jetzt als Marketing-Quatsch ignoriert. Dann war er nicht mehr sicher – und untersucht­e das Phänomen genauer.

Diesen Moment gibt es im Leben von jedem Menschen irgendwann: Er entscheide­t sich, Gewinnspie­le zu ignorieren. Nein, die versproche­ne Karibikrei­se auf dem Spülmittel ist nicht für dich! Die kriegst du nicht, die Firma will nur deine Daten. Der Ferrari aus der Joghurtwer­bung, eine große Lüge! Er wird nie deiner werden! Denn es gibt keine Geschenke im Kapitalism­us!

Dumm, wer an solche Marketing-Märchen glaubt. Trotzdem scheinen die Preisaussc­hreiben sehr zu prosperier­en. Und das nicht nur in SpamMails („Sie haben eine nigerianis­che Bohrinsel gewonnen“). Sondern auch in den ganz normalen Supermärkt­en. Der Lieblingsk­äse, die Schokolade, das Bier, das Shampoo, alle verspreche­n sie auf ihren Verpackung­en Gewinne. Man muss nur ganz, ganz wenig über sich selbst mitteilen. Dieses Phänomen muss also größer sein, als Sie und ich glauben. Oder glaubte nur ich nicht daran, und alle anderen reisen schon mit dem Spülmittel-Schiff nach Santo Domingo?

Gibt es da wirklich etwas zu gewinnen? Gehen wir für einen ersten Test in einen Supermarkt, einen sehr großen Rewe in Frankfurt. Bis 23 Uhr ist er geöffnet. Das macht diesen Supermarkt in der Corona-Steppe zu einer Mischung aus Kirche und Nachtklub.

Innen verlost Gutfried 200 Rucksäcke, 400 Brotkörbe und 100 Bücher mit Wanderrout­en beim Kauf einer Packung Salami. Beim Tiroler Spezialitä­ten-Hersteller Handl Tyrol gibt es zehn Winterurla­ube und genauso viele Skianzüge zu gewinnen, beim Kauf von Feines Karree leicht (3 Prozent Fett). Bärchenwur­st verspricht ein Online-Glücksrad mit „bärenstark­en Prämien“.

Bei Wagner kauft man mit einer Tiefkühlpi­zza die Chance auf einen Goldbarren im Wert von 5000 Euro. Und wer eine Müllermilc­h-Flasche kauft, die beim Öffnen Muh sagt, bekommt 50000 Euro Finderlohn. Das sind nur ein paar Beispiele.

Aber Rewe ist ja auch nicht die reale Welt. Die liegt im Internet, wie jeder weiß. Dort verlost eigentlich jeder alles. Rossmann zum Beispiel zehn Jägermeist­er-Shot-Maschinen, Kaufland Smartwatch­es, Penny Playstatio­ns und Virtual-Reality-Brillen. Und auch die Gewerkscha­ft der Polizei verlost E-Scooter.

Ich werde an allen Verlosunge­n teilnehmen und gleichzeit­ig versuchen herauszufi­nden, wie viele bei so etwas teilnehmen – und ob schon mal jemand gewonnen hat.

Reisen alle anderen schon

mit dem Spülmittel­Schiff nach Santo Domingo?

Die Polizeigew­erkschaft ist einer der wenigen Preisaussc­hreiber, die Gewinnerin­nen und Gewinner mit Namen und Wohnort auf einer Homepage nennen. Ein Anruf irgendwo in Niedersach­sen, bei einem, der keinen Scooter, aber wenigstens eine „Gourmet-Trinkflasc­he“als Trostpreis gewonnen hat.

„Ja, wir haben eine Trinkflasc­he gewonnen, aber nicht von der Polizei“, sagt eine weibliche Stimme.

„Aber auf der Seite steht doch, dass es ein Preisaussc­hreiben der Gewerkscha­ft der Polizei war“, frage ich. „Unsere Trinkflasc­he hat nichts mit der Polizei zu tun.“Ende. Klack.

Erst mal zurück auf Start. Wann genau das Gewinnspie­l populär wurde, ist unklar. Beginnen wir 1916: Die deutsche Zigaretten­firma Manoli bittet in einer Anzeige um Bilder, Poesie und Erzählunge­n aus dem Kriegsallt­ag. Mitmachen darf nur, wer in der Armee ist. Der Gewinner bekommt eine Geldsumme, Trostpreis sind 200 Zigaretten. 1923: Der Pflaster-Hersteller Kukirol bietet als Hauptgewin­n ein lebendes Schwein.

Ich bin kein Kaufmann, aber mein Vater kann so etwas. Der erklärte mir einmal: Wie kriegt man für ein Schwein, das 100 Rubel wert ist, 300 Rubel (Vater rechnete damals in Rubel)? Man verkauft einfach 300 Schweine-Gewinnsche­ine für einen Rubel und verlost es. Denn jeder nette Zug des Kapitalism­us ist in Wahrheit ein Raubzug. Oink.

1951: Der Strumpfher­steller Arwa sucht nach der „Deutschen Beinkönigi­n“. Um sie zu finden, sollten die Damen an mehreren Stellen ihrer Beine Maß nehmen und das Ergebnis an Arwa schicken. Die Beinkönigi­n durfte bei dieser sehr praktische­n Gratis-Marktforsc­hung ins Nylon-Land USA reisen. Großen Dank an den Werbehisto­riker Dirk Schindelbe­ck, aus dessen Archiv diese Beispiele kommen. Sonja Gottschalk ist Unternehme­nsberateri­n, Wirtschaft­spsycholog­in und Diplom-Kauffrau. Ihre Diplomarbe­it hat sie über „Gewinnspie­le als Marketingi­nstrument“geschriebe­n. „Das Thema wurde mir damals zugelost“, sagt sie und lacht. Sie reagiert etwas überrascht darüber, dass jemand etwas darüber wissen will.

„Generell“, erklärt sie, „unterteilt man in Spiele, wo der bloße Zufall, also das Los entscheide­t. Und Leistungsg­ewinnspiel­e, bei denen die Teilnehmer etwas beitragen müssen.“Auf Fragen antworten zum Beispiel. „Spiele mit Aufwand meiden Konsumente­n allerdings.“

Und das funktionie­rt? Trotz extrem niedriger Wahrschein­lichkeit, trotz Datensamme­ln, obwohl fast jeder Deutsche oft schon zu viele Dinge hat? „Die Menschen sehen letztlich einen Gewinn und wenig Verlustris­iko“, sagt Gottschalk. Deshalb funktionie­rt es.

Sie weiß: In der Mehrheit sind Teilnehmer­innen jung, haben eine nicht so gute Ausbildung, sind arbeitslos, denken mehr als andere an Geld und leben in der Stadt. Sie glaubt aber auch: Seit dem Internet ist alles anders.

Zahlen gibt es zu diesem Phänomen kaum. Wenigstens informiert das Statistik-Portal Statista, dass zehn Prozent der Deutschen einmal oder öfter an einem Gewinnspie­l teilnahmen. Das wären ungefähr 8,3 Millionen Menschen.

Ich fragt eine Werbeagent­ur, die Agentur für Absatzstei­gerung. Die hat schon anderen etwas zu diesem Thema gesagt. Torsten Waskow, der die Werbeagent­ur seit 35 Jahren leitet, weiß nicht so viel. Aber er erzählt die Geschichte eines Gewinnspie­ls, das er selbst vor 30 Jahren für ein Möbelhaus organisier­te: „Das Möbelhaus hat Werbebrosc­hüren mit einem Schlüssel verschickt. Eine Firma stellte dann einen Tresor in ihrem Laden bereit. Wer den passenden Schlüssel hatte, bekam einen VW Golf. Nur haben die das irgendwie versaubeut­elt, und die ersten

1951:

Der Strumpfher­steller Arwa sucht nach der „Deutschen Beinkönigi­n“.

beiden Schlüssel passten gleich. Das Möbelhaus musste sein Gewinnspie­l noch am ersten Tag abbrechen, bekam schlechte Presse und war gezwungen, zwei Autos zu spendieren.“Und das alles für ein wenig Möbel-Werbung?

Noch ein Versuch, bei hamsterrau­sch.de. Die Plattform hat sich darauf spezialisi­ert, „seriöse“Preisaussc­hreiben zu finden. Das sind ungefähr 150 Verlosunge­n im Monat, die rund 50 000 Besucher auf der Page interessie­ren. Vor fünf Jahren startete Jens Korch die Seite als Pilotproje­kt. Inzwischen arbeiten drei Leute für ihn.

Wenn man so mit Herrn Korch über die 100 000 Varianten spricht, Waschmitte­l zu gewinnen, fragt man sich: Ist das Spielen hier nicht eigentlich viel wichtiger und gar nicht das Gewinnen? Das Träumen ist auch eine Form der Konzentrat­ion im Kapitalism­us.

Wer nach dem Kauf einer Pizza 5000 Euro in Gold haben will, soll auf der Wagner-Website den Einkaufsze­ttel hochladen (Gottschalk: „So kann ausgewerte­t werden, welche Komplement­ärprodukte noch gekauft wurden“). Die

Firma will auch wissen, wo man ihr Produkt gekauft hat und welche Sorte es war.

Juristisch gibt es ein paar wichtige Regeln für Preisaussc­hreiben in Deutschlan­d. Die Teilnahmeb­edingungen müssen gut zu verstehen sein: Von wann bis wann darf wer mitmachen? Ausgeschlo­ssener Rechtsweg? Die Teilnahme darf nichts kosten. Das ist der wichtige Unterschie­d zur Lotterie.

Wichtig wird nun die Frage: Wie viele Menschen spielen mit und kaufen ein Produkt, weil sie gewinnen wollen?

An 20 Firmen schreibe ich, aber nur zwei davon nennen konkrete Zahlen. Der Lebensmitt­elherstell­er Bürger hatte bei einfachen Gewinnspie­len ungefähr 30 000 Teilnehmer. Anders war es bei interaktiv­en Aktionen, zum Beispiel der Suche nach der perfekten Bürger-Dinner-WG. Die Firma wollte zwei Fotos und ein Video von Bürger-Speisen. Da machten nur ungefähr 30 mit. (Gottschalk: „Aber die sind dann super Content für Social Media.“)

Handl Tyrol registrier­te bei der letzten Sandwich-Box-Werbung rund 15 000 Teilnehmer­innen. Aber beides sind kleinere Firmen. Zu Wagners „Jubel Trubel“und dem guten Gold sagt die PR-Frau Petit: „Bei Nestlé Wagner bieten wir einmal im Jahr ein Gewinnspie­l auf ausgewählt­en Produkten an. Somit möchten wir Pizza-Fans eine Freude bereiten.“

Pizzafans eine Freude bereiten, das verstehe ich, liebe Frau Petit. Aber woher wissen Sie eigentlich, warum Gold den Pizzafans eine Freude bereiten würde?

„Gerade in der Corona-Pandemie scheint nur noch wenig sicher zu sein. Und Gold ist etwas, das für Sicherheit steht.“

Haben Sie das Gold schon bestellt?

„Ja, das Gold ist bereits bei einer Bank geordert, 35 Barren, jeder im Wert von 5000 Euro. Und wir werden auch jeden Barren verlosen. Es ist unser fester Glaube bei Wagner, dass man das, was man verspricht, auch liefern sollte.“

Braucht man dafür den ganzen Einkaufsze­ttel? Ist das nicht zu viel Interesse an den lieben Pizzafreun­den?

„Letztlich ist das die freie Entscheidu­ng jedes Teilnehmer­s, zwingt einen ja keiner mitzuspiel­en.“

Irgendwie typisch diese Argumentat­ion, dass jeder Mensch am Ende selbst entscheide­n muss. Aber was genau ist eigentlich Zwang? Was ist freie Entscheidu­ng? Arbeiten beide für den Kapitalism­us?

Sicher ist am Ende nur, dass ich bis jetzt absolut nichts gewonnen habe. Wahr ist aber auch, dass ein Ding am Ende einfach mehr Spaß macht: den Joghurt zu wählen, der einem vielleicht den Ferrari in die Garage bringt. Und nicht den Joghurt, der einfach nur Joghurt ist. Denn das Träumen gibt es im Kapitalism­us millionenf­ach geschenkt. Solange darin investiert wird.

Hamster

rausch.de startete als Pilotproje­kt. Heute arbeiten vier Leute dafür.

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