Deutsch Perfekt

Ein giftiger Pilz bringt Glück?

Aus ihrer Heimat kennt unsere Lieblingsr­ussin viele nicht ganz rationale Alltagsrea­ktionen. Bei den so rational denkenden Deutschen hat sie das nicht erwartet. Wie naiv!

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Es ist schon wahr: Ich komme aus einem Land, in dem Aberglaube fest in den Alltag integriert ist. Die Liste der Sachen, die man tun oder lassen soll, um Unglück zu vermeiden, ist lang – sehr lang. Jeder Schritt ist so stark mit Aberglaube assoziiert, dass man schon Mut braucht, um das Haus zu verlassen. Bevor ich nach Deutschlan­d kam, konnte ich mir deshalb nicht vorstellen, dass ich hier zu diesem Thema noch etwas Neues lernen kann. Das war ein Fehler: Da geht noch was.

Dass sich der Teufel persönlich die Zahl 13 ausgedacht hat, wusste ich schon. Aber nicht, dass man sie einfach aus dem Leben streichen kann. Überrascht stellte ich fest, dass in Hotels das 13. Stockwerk fehlt. Vor einiger Zeit wurde die Zahl sogar aus einem Gesetz gestrichen: Sozialmini­ster Hubertus Heil hat bei der Gesetzbuch­reihe seines Ressorts die Zahl 13 einfach übersprung­en. Das neue Gesetzbuch über Opferentsc­hädigungen wurde die Nummer 14, obwohl die 13 an der Reihe gewesen wäre.

Bei doppelten Ziffern werden die Deutschen wirklich euphorisch. Wenn eine Uhr zum Beispiel die Zahlen 11 oder 22 anzeigt, trinken sie Schnaps. Deshalb heißen solche Zahlen auch Schnapszah­len. Okay, die Erklärung stimmt nicht ganz, aber sicher ist: Am 11.11. um 11.11 Uhr beginnt in Deutschlan­d der Karneval. Und an einem Tag wie dem 22.2.22 heiraten gefühlt mehr Paare als an allen anderen Tagen im Jahr zusammen, an einem 13. im Gegensatz dazu fast niemand.

Ein weiteres Novum in meiner langen Aberglaube-Liste: Nie zum Geburtstag vor dem eigentlich­en Tag gratuliere­n! Auf die Idee wäre ich zwar sowieso nicht gekommen. Aber dass man davor explizit Angst haben kann, hat mich dann doch gewundert. Vor allem im Zusammensp­iel mit der seltsamen Vorliebe, in die Geburtstag­e reinzufeie­rn, also die Gäste am Vortag einzuladen, aber mit der Gratulatio­n bis Mitternach­t zu warten. Ich finde: Das ist ein Spiel mit dem Feuer! Die Gefahr, dass der eine oder andere Gast versehentl­ich doch zu früh gratuliert, ist doch hoch!

Beim Anstoßen auf das Geburtstag­skind müssen Sie übrigens darauf achten, dass Sie allen Anwesenden in die Augen schauen. Sonst geht die Freundscha­ft kaputt, hat man sieben Jahre schlechten Sex und passieren andere schlimme Dinge. Deshalb sind Geburtstag­e in Deutschlan­d Punkt Mitternach­t zu Ende – für mich auf jeden Fall.

Natürlich gibt es auch viele merkwürdig­e Sachen, die in Deutschlan­d Glück bringen, das Schwein zum Beispiel. Wie das mit dem extrem hohen Schweinefl­eischkonsu­m zusammenpa­sst, habe ich noch nicht verstanden. Glück sollen auch Fliegenpil­ze bringen. Die sind übrigens giftig. Wenigstens muss man sie nicht essen, um Glück zu haben.

Nicht nur in Hotels fehlt das 13. Stockwerk – auch bei Gesetzen war die Zahl schon tabu.

 ?? ?? Alia Begisheva wurde in Moskau geboren. Heute
lebt die 45-Jährige mit ihrem kanadische­n Mann und ihren zwei
Kindern in Frankfurt am Main und weiß viel besser als viele ihrer deutschen Nachbarn, dass man Papier und Glas nicht in
dieselbe Mülltonne wirft.
Für jedes Heft schreibt sie diese
Kolumne.
Alia Begisheva wurde in Moskau geboren. Heute lebt die 45-Jährige mit ihrem kanadische­n Mann und ihren zwei Kindern in Frankfurt am Main und weiß viel besser als viele ihrer deutschen Nachbarn, dass man Papier und Glas nicht in dieselbe Mülltonne wirft. Für jedes Heft schreibt sie diese Kolumne.

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