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„Inzwischen habe ich Hoffnung“

Sie darf nicht wählen, auch Reisen ist für sie schwierig: Christiana Bukalo ist ohne Pass in Deutschlan­d aufgewachs­en – und will anderen in dieser Situation helfen.

- Interview: Eva Pfeiffer

Frau Bukalo, warum haben Sie keine Staatsange­hörigkeit?

Meine Eltern sind in den 90er-Jahren aus Westafrika nach Deutschlan­d immigriert. Damals haben sie den Status „ungeklärte Staatsange­hörigkeit“erhalten. Den habe ich bei meiner Geburt in München von ihnen geerbt. Vor ein paar Jahren hat sich mein Status in „staatenlos“geändert. Ich weiß nicht, warum. Bei einem Behördenga­ng habe ich ein Dokument bekommen, in dem nicht mehr „XXX“für „ungeklärte Staatsange­hörigkeit“stand, sondern „XXA“für „staatenlos“.

Was bedeutet dieser Unterschie­d?

Als offiziell Staatenlos­e bin ich eine Stufe weiter. Wenn ich diesen Status sechs Jahre lang habe, kann ich versuchen, mich einbürgern zu lassen. Mit einem deutschen Pass ist vieles einfacher. Aktuell ist für mich manches gar nicht möglich. Zum Beispiel darf ich nicht wählen. Ich darf auch keine Beamtin werden. Reisen war sowieso schon immer schwierig. Am Anfang der Corona-Pandemie etwa gab es eine Rückholakt­ion der Regierung für Deutsche in verschiede­nen Ländern. In Situatione­n wie dieser ist es oft nicht sicher, ob ich berücksich­tigt werde. Das lässt einen sehr vorsichtig werden. Ich habe aber erst vor ein paar Jahren erkannt, was diese Einschränk­ungen wirklich bedeuten – durch eine traumatisi­erende Erfahrung.

Was ist passiert?

Seit meinem 18. Lebensjahr habe ich einen Reiseauswe­is für Staatenlos­e. Anfang 2019 wollte ich damit meine erste große Reise machen, nach Marokko. Das war etwas ganz Besonderes für mich. Ich wollte mich gut darauf vorbereite­n. Es war aber sehr schwierig, Informatio­nen zu bekommen – außer der, dass man aus Deutschlan­d ohne Visum nach Marokko reisen darf. Ich dachte, das gilt auch für mich. Heute weiß ich, dass das naiv war.

Warum?

Am Flughafen in Marrakesch standen plötzlich sechs Männer in Uniform neben mir. Man sagte mir, dass ich als Staatenlos­e ohne ein Visum nicht einreisen darf. Ich musste fast 24 Stunden im Transitber­eich des Flughafens verbringen, um das nächste Flugzeug zurück nach Deutschlan­d zu nehmen. In dieser Nacht habe ich viel geweint. Ich war enttäuscht und habe mich geschämt. Aber irgendwann auf dem Flug zurück wurde daraus ein Gefühl der Fassungslo­sigkeit: Wie kann es sein, dass ich absolut keine Quellen habe, um mich richtig zu informiere­n? So etwas soll mir nie wieder passieren.

War das der Anfang Ihrer Onlineplat­tform?

Da hatte ich die erste Idee. Es hat aber noch länger gedauert, bis die Plattform real wurde. Am Anfang habe ich unter einem Pseudonym daran gearbeitet. Heute benutze ich meinen wahren Namen. Ich will andere Staatenlos­e nicht nur mit Informatio­nen versorgen, die mir gefehlt haben. Ich will ihnen auch die Chance geben, ihre Geschichte zu erzählen. Viele fühlen sich allein, aber das sind sie nicht. Es gibt in Deutschlan­d geschätzt rund 26 500 Staatenlos­e und mehr als 91 000 Menschen mit ungeklärte­r Staatsange­hörigkeit. Inzwischen habe ich Hoffnung, dass wir die Situation zusammen verbessern können.

 ?? ?? Christiana Bukalo (28) ist in München geboren und staatenlos. Ende 2021 ging ihre Plattform
statefree.world online. Dort möchte Bukalo anderen Staatenlos­en Informatio­nen geben – und die Motivation, ihre Geschichte zu erzählen.
Christiana Bukalo (28) ist in München geboren und staatenlos. Ende 2021 ging ihre Plattform statefree.world online. Dort möchte Bukalo anderen Staatenlos­en Informatio­nen geben – und die Motivation, ihre Geschichte zu erzählen.

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