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Der Monat muss nicht dünner oder gesünder machen. Vielleicht tut man am besten so wenig wie möglich.

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Regenjacke, die entfremdet­e Beziehung, das zerbrechli­che Selbst. Und gleich der nächste Tipp. Wenn auch Goretex nicht mehr hilft und Sie schon sehr, sehr viel spazieren gegangen sind: Misten Sie aus. Den Kleidersch­rank, das Leben. Das meiste kann weg. Außerdem ist es schöner, in einer aufgeräumt­en Wohnung auf Besserung zu hoffen als im Chaos.

Und weil wir ja auf gar keinen Fall zu produktiv sein wollen: Kaufen Sie sich nach dem Ausmisten neue Dinge. Kaufen Sie alles, was Besserung verspricht gegen die Dunkelheit: eine UV-Lampe zum Beispiel. Die Erfahrung zeigt zwar, dass diese eigentlich gar nicht hilft. Aber Sie brauchen ja schließlic­h etwas, was Sie im nächsten November wieder ausmisten können. So haben Sie gleich vorgesorgt. Und vorsorgen muss man im November – die Tage sind kurz, der Winter ist lang, und manchmal im Leben hört der Winter nie wieder auf. Bis er es dann doch tut und man plötzlich überrascht merkt, dass man ein Eis in der Hand hält und wieder im T-Shirt unglücklic­h sein kann. Ha!

Und nun, entschuldi­gen Sie, ein wenig Psychologi­e: Der November muss nicht motivieren, nicht dünner, nicht gesünder machen. Vielleicht ist ein Leerlauf-Monat wie der November dafür da, so wenig wie möglich zu tun. Im November kümmert man sich am besten um sich selbst. Und wenn Sie schon den Gedanken an Selbstlieb­e-Meditation­sübungen schrecklic­h finden, verstehe ich Sie auch: Dann kümmern Sie sich um den Igel im Garten.

Machen Sie etwas, was Sie auf andere Gedanken bringt. Am einfachste­n können das Dinge, die man sehr selten tut oder noch nie getan hat. Warum nicht mal in die Matineevor­stellung aller Gottesdien­ste gehen. Anders als an Weihnachte­n sind die Kirchen nicht viel zu voll, kein Pfarrer predigt eine müde Motivation­srede. Man kann eine Kerze anzünden für einen

Menschen, der gestorben ist. Es ist sehr in Ordnung, wenn dieser jemand niemand ist, den Sie persönlich kennen. Es ist auch in Ordnung, wenn dieser jemand im Geheimen Sie selbst sind. Viel mehr als die Toten brauchen die Lebenden Trost – auch die Atheistinn­en und Atheisten.

Jetzt – puuh – noch ein sehr novembrige­r Satz. Aber mir macht er Freude: Was man nicht ändern kann, muss man akzeptiere­n. Das sagen die Stoikerinn­en, die ja immer recht haben – im November noch mehr als in jeder anderen Jahreszeit. Und weil Akzeptiere­n schwierig ist, braucht man eine andere Strategie: Was man nicht ändern kann, sollte man wenigstens feiern.

Wer keine Lust auf den Stoiker Seneca hat, orientiert sich deshalb am Beispiel eines Fünfjährig­en: Ja, es wird früh dunkel. Nein, das ist nicht schön. Aber es bedeutet, dass man auf der Straße mit einer selbst gebastelte­n Laterne herumlaufe­n und zusammen Lieder singen kann, ohne gleich eingewiese­n zu werden. „Da oben leuchten die Sterne, und unten, da leuchten wir“– ganz kleine Lichter in der Dunkelheit. Denn hinter dem permanente­n Regen und unter den nassen Blättern zeigt der November seinen wahren Charakter: Er ist der Monat der Nächstenli­ebe (Sankt Martin), der Vorbereitu­ng auf Weihnachte­n (Buß- und Bettag).

Und wer das alles zu kirchlich findet, der erfindet seinen eigenen Grund: den Selbstmitl­eidstag. An dem tun Sie nichts anderes, als sich recht darin zu geben, dass gegen das Schlimme nur die alten, gut funktionie­renden Rezepte helfen – Bolognese und Schokolade­npudding.

Einen Ort wollte ich auf jeden Fall noch bei meinen Tipps haben, der nicht die Kirche und nicht der Zoo ist: Ich empfehle die nächste Bücherei. Hier möchte keiner etwas von einem – kein Geld, keine Meinung zu schwierige­n politische­n

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