Deutsch Perfekt

Zum Verlieben

Der Titel eines 50 Jahre alten Films begegnet unserer Autorin immer wieder – obwohl er grammatika­lisch falsch ist. Warum mögen ihn die Deutschen so sehr?

- SCHWER AUDIO

Haben Sie schon einmal den Ausdruck Angst essen Seele auf gelesen? Und sich gefragt, ob man eine Seele aufessen kann? Und warum das so seltsam formuliert ist? Dann sind wir schon mindestens zwei! Der Satz ist erstens grammatika­lisch nicht korrekt, und zweitens wird er trotzdem immer wieder mal verwendet.

Ich habe mich inzwischen über seine Herkunft aufklären lassen: Angst essen Seele auf ist der Titel eines Sozialdram­as von dem Regisseur Rainer Werner Fassbinder. Der Film hatte vor 50 Jahren, am 5. März 1974, Premiere und bekam internatio­nale Preise.

Darin verliebt sich die ungefähr 60 Jahre alte putzende deutsche Witwe Emmi in den viel jüngeren Gastarbeit­er Ali aus Marokko. Die beiden beginnen eine Beziehung, auf die viele Menschen negativ reagieren. In einer Szene erzählt Emmi Ali weinend, dass sie glücklich ist, aber Angst hat. Da antwortet Ali, der gebrochen Deutsch spricht: „Angst nix gut, Angst essen Seele auf!“

Als Fassbinder den Film so nannte, ahnte er sicher nichts von den Konsequenz­en. Der Satz wurde zum geflügelte­n Wort – und wird bis heute gern benutzt, wenn es um den destruktiv­en Effekt von Angst geht. Und zur Angst haben die Deutschen eine spezielle Beziehung.

Deshalb findet man den Ausdruck in verschiede­nen Varianten und zu ganz unterschie­dlichen Themen – von verlorenen

Fußballspi­elen über Covid bis zur cholerisch­en Chefin. Besonders beliebt ist er bei Journalist­en, die ihn modifizier­t für Überschrif­ten von Artikeln benutzen: „Angst essen Zinsen auf“, „Miete essen Seele auf“oder „Likes essen Seele auf“.

Ähnliches passiert auch mit anderen Filmtiteln. Aus Sergio Leones Western Spiel mir das Lied vom Tod kann zum Beispiel beim Fußball schon mal „Spiel mir das Lied vom Tor!“werden.

Übrigens hat der deutsche Filmtitel Spiel mir das Lied vom Tod mit dem italienisc­hen Originalti­tel C’era una volta il West wenig gemeinsam. Den würde man wörtlich als Es war einmal im Westen übersetzen.

Das ist auch so ein kurioses Phänomen beim Thema Deutsche und Filmtitel: die Übersetzun­g. So heißt die US-Romantikko­mödie Two Weeks Notice (auf Deutsch übersetzt: Zwei Wochen Kündigungs­frist) in deutschen Kinos Ein Chef zum Verlieben. Und der Kriegsfilm We Were Soldiers wird kreativ-patriotisc­h übersetzt mit Wir waren Helden.

Fantasie wie bei den Übersetzun­gen hilft auch beim Ende von Fassbinder­s Film. Denn – Achtung, Spoiler! – wir erfahren nicht so richtig, wie Emmis und Alis Liebesgesc­hichte ausgeht. Das schreit nach einer Fortsetzun­g. Vielleicht sogar einer Serie? Ich habe auch schon Ideen für mögliche Titel. Wie wäre es mit: Ein Marokkaner zum Verlieben oder: 50 Jahre danach: Seele kann man gar nicht essen?

Wenn Deutsche internatio­nale Filmtitel übersetzen, werden sie oft kreativ.

Newspapers in German

Newspapers from Austria