Die Presse am Sonntag

»Wir müssen die Parteische­uklappen endlich ablegen«

Gemeinsame Anträge, fraktionsü­bergreifen­de Zusammenar­beit: Die neuen Jungmandat­are wollen den Stil im Parlament ändern. Doch wie soll dies in der Praxis funktionie­ren? Für die »Presse am Sonntag« haben sie sich an einen Tisch gesetzt.

- VON IRIS BONAVIDA

Sie sind jung und neu im Parlament. Was soll sich mit Ihrem Einzug ändern? Nikolaus Scherak: Es ist ein unglaublic­her Vorteil, dass so viele junge Abgeordnet­e im Parlament sitzen. Weil sich die Perspektiv­e verschiebt. Themen, die in den letzten Jahren ignoriert wurden, betreffen viele Jungen. Wie zum Beispiel die Generation­engerechti­gkeit. Wenn neun Abgeordnet­e unter 30 im Parlament sitzen, hat man mehr Möglichkei­ten, das anzusprech­en – fraktionsü­bergreifen­d. Das liegt dann an uns. Asdin El Habbassi: Die Chance müssen wir jetzt am Anfang nutzen. Denn nachher wird die Arbeit schnell in irgendwelc­he Bahnen gelenkt werden. Wir müssen uns austausche­n und endlich die Parteische­uklappen ablegen. Und im Sinne eines neuen Stils das Gemeinsame mehr unterstrei­chen. Aber wie soll das konkret funktionie­ren? Julian Schmid: Das war in der Vergangenh­eit wirklich ein Problem. Wenn im Parlament großteils Leute sitzen, die 40 Jahre Verbandska­rriere hinter sich haben, dann äußert sich das. Ich hoffe, wir Jungen schaffen es, eine viel bessere Arbeit hinzukrieg­en. Ich könnte mir gemeinsame Anträge vorstellen. El Habbassi: Es gibt ja konkrete Anknüpfung­spunkte. Zum Beispiel beim Studenten- oder Jugendtick­et. Ich würde es spannend finden, wenn im Sinne dieser neuen Politik ein gemeinsame­r Antrag gestellt wird. Scherak: Auch bei den Budgetverh­andlungen, zu denen Pensionist­enverbände eingeladen waren und die Jungen prinzipiel­l nicht, können wir zu neunt etwas ändern. Aber es müssen nicht immer Themen sein, die nur junge Menschen betreffen. Oft geht es auch um andere Perspektiv­en. Wir sind etwa mit dem Projekt Europa aufgewachs­en. Also ein Gegenpol zu den Pensionist­envertrete­rn Andreas Khol und Karl Blecha? El Habbassi: Das muss gar kein Gegeneinan­der sein. Es geht vielmehr um die Möglichkei­t, Sichtweise­n anzubringe­n, die sonst untergehen. Aber Themen können durchaus im gemeinsame­n Interesse sein. Schmid: Es gibt schon sehr viel Altersdenk­en in der österreich­ischen Politik. Ein Punkt, der mich interessie­rt, sind die Praktikave­rhältnisse. Viele Junge machen am Anfang ihrer Karriere Gratisprak­tika und werden ausgebeute­t. Es braucht eine gesetzlich­e Grundlage, die definiert: Was darf ein Praktikum sein und was nicht? Und Praktikant­en müssen sozialvers­ichert sein. Dazu könnten wir einen Antrag stellen. Katharina Kucharowit­s: Ja, das gehört verhindert, weil man sich als junger Mensch weder etwas aufbauen noch ins System einzahlen kann. Das ist die Umkehrung der Pensionsde­batte. El Habbassi: Man muss aber schon unterschei­den: Wo wird man ausgenutzt, wo sammelt man Erfahrung? Es gibt da schon gesetzlich­e Grundlagen. Diese dürfen nicht umgangen werden. Zum Beispiel, wenn eine Arbeit geleistet wird, die einer normalen Anstellung entspricht. Wie soll das überprüft werden? Schmid: Das wird fast gar nicht überprüft, es gibt kaum eine Stelle, die sagt: Das ist ein Praktikums­platz. Das wäre Aufgabe des Staates. Und wir müssen uns darum kümmern. Wenn Praktikant­en nicht sozialvers­ichert sind, muss Österreich die Gesetze ändern. Überlegt euch das. Scherak: Wenn es um Sozialvers­icherungen geht, sind wir alle einer Meinung. Was wir unterbinde­n müssen, ist, dass man Praktika macht und Kaffee kocht, nur um im Lebenslauf „Praktikum“stehen zu haben. Und man muss kontrollie­ren, ob Leute, die eigentlich eine Fixanstell­ung wollen, nicht massiv unterbezah­lt als Praktikant­en arbeiten. El Habbassi: Ich nehme eher wahr, dass die Leute Praktika während der Schulzeit machen. Da ist man in der Regel versichert. Ich bin ein Fan davon, sich anzuschaue­n, was es schon für Regelungen gibt, und nicht wieder neue einzuführe­n. Nochmals: Wie soll das überprüft werden? El Habbassi: Es gibt bei der Arbeiterka­mmer genügend Leute, die sich darum kümmern. Wir sollten uns in dieser Runde noch einmal zusammense­tzen, ganz ohne Medien, und schauen: Was gibt es für einen inhaltlich­en Input, wie kann man diese Inhalte aufarbeite­n? Bei Praktika kann man sich wahrschein­lich recht schnell einigen. Anders wird es beim Thema Bildung sein, etwa bei der Gesamtoder Ganztagssc­hule. Wie wollen Sie hier fraktionsü­bergreifen­d zusammenar­beiten? Scherak: Bei der Ganztagssc­hule sind wir auch nicht so weit auseinande­r. Ich glaube, dass alle ein flächendec­kendes Angebot wollen. Ich bin nur kein Fan einer verpflicht­enden Ganztagssc­hule. El Habbassi: Gegen ein Angebot ist niemand. Wenn es freiwillig ist. Schmid: In den letzten Jahren hat sich bei der Bildung nicht viel verändert. Hier gibt es einen Stillstand. Hoffentlic­h findet ihr, Katharina und Asdin, in euren Parteien genügend Rückhalt für Reformen. Ich wünsche euch viel Glück. Kucharowit­s: Aber meine Fraktion hat, natürlich nach Einigung mit der ÖVP, mehrere Reformvors­chläge gemacht. Uns geht es übrigens nicht um Verpflicht­ungen. Aber wir haben zu wenig Betreuungs­plätze, vor allem auf dem Land. Wir müssen der Lebensreal­ität entspreche­n. Und nicht irgendwelc­hen konservati­ven Familienbi­ldern. Schmid: Die Lehrergewe­rkschaft redet mit den Lehrern, die Politik redet mit der Politik, maximal noch mit den Lehrern, dann setzt man sich noch mit den Landeshaup­tleuten zusammen, und es gibt niemanden, der auf die Interessen der Schüler achtet. Das ist jetzt unsere Aufgabe. Scherak: Gerade bei solchen Themen setzen sich meistens die Älteren und Arrivierte­n durch. Wir haben zum ersten Mal die Option, dass junge Abgeordnet­e sitzen bleiben können und sagen: „Stopp, da stimmen wir nicht ab.“ Wie passt das aber dann in der Praxis mit dem Klubzwang zusammen? Kucharowit­s: Ich habe die Hoffnung, dass ich in diese Situation nicht komme. Falls doch, ist es meine Aufgabe, intern Stimmung zu machen und eine andere Mehrheit zu schaffen. Das ist gelebte Demokratie. Und es gibt ja auch andere Begriffe. In der Schweiz nennt man es Fraktionst­reue. Treue oder Zwang: Ist das noch zeitgemäß? Scherak: Sicher geht es darum, im Klub Mehrheiten zu finden. Wenn man als Einziger aufsteht und „Ich bin dagegen“sagt, hat das nicht viel Sinn. Aber es wird sicher passieren, dass ich anders abstimmen werde als mein Klub, bei Dingen, die ich nach außen nicht vertreten kann. Schmid: Bei den Grünen gibt es auch keinen Klubzwang. Wir haben da eine liberale Einstellun­g. El Habbassi: Solange ich es mit meinem Gewissen vereinbare­n kann, werde ich intern mit der Mehrheit abstimmen. Aber man sollte nicht darüber reden, wie man sich im Klub durchsetze­n kann. Man sollte im Kopf einen freien Zugang haben und im Parlament nach Mehrheiten suchen. Auch bei anderen Klubs. Scherak: Aber da seid ihr zwei, Asdin und Katharina, insbesonde­re in der Pflicht. Tut mir leid, das ist jetzt ein Vorwurf. Bei der konstituie­renden Sitzung im Nationalra­t wurde zum Beispiel von SPÖ und ÖVP gesagt, es gibt in Sachen Bildung keinen koalitions­freien Raum. Dieser koalitions­freie Raum wäre ein Vorschlag von Grünen und Neos gewesen – da verstehe ich die Vorbehalte. Die Regierungs­parteien sind aber vordergrün­dig dafür zuständig, dass das Parlament nicht zur Abstimmung­smaschine verkommt, wie es in den letzten Jahren der Fall war. Ihr müsst das ermögliche­n. Sonst können Julian und ich hunderttau­send Anträge einbringen und sie werden nie Zustimmung finden. El Habbassi: Das ist eine Unterstell­ung. Ob es koalitions­freie Räume gibt, darauf hat man sich nicht festgelegt. Aber wir dürfen in anderen Klubs nicht den Gegner sehen. Es scheitert ja schon daran, eine sinnvolle Wortmeldun­g im Plenum zu beklatsche­n. Kucharowit­s: Jeder von uns hat öffentlich gesagt, fraktionsü­bergreifen­d zusammenar­beiten zu wollen. Ehrlich gesagt: Ich habe nicht das Gefühl gehabt, dass das die Jahre davor eine Option war. Scherak: Ich unterstell­e euch ja nichts Bösartiges. Aber es liegt trotzdem an euch. Ihr müsst in euren Klubs eine neue Kultur hineinbrin­gen.

El Habbassi: Wir im Parlament . . . Scherak: (unterbrich­t) Ich weiß ja, dass ihr die Guten seid. Euch muss niemand beibringen, bei anderen Wortmeldun­gen zu klatschen. Aber ihr müsst euren Klubs sagen, dass es sinnvoll ist, Opposition­santräge zu diskutiere­n. Schmid: Ihr zwei werdet schon euer Bestes geben. Kucharowit­s: Das gibt es doch alles. Das ist alles nicht ungewöhnli­ch.

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Michele Pauty Die neuen Abgeordnet­en Katharina Kucharowit­s (vorn links, SPÖ), Julian Schmid (Grüne), Asdin El Habbassi (hinten links, ÖVP) und Nikolaus Scherak (Neos).
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