Diese Deutschen
WARUM MAN VOR IHNEN (FAST) KEINE ANGST HABEN MUSS
Fehlt es den Österreichern wirklich so eklatant an preußischen Tugenden? Warum leben sie dann in einem derart wohlhabenden Land?
Ein Wiener Studienfreund hat einmal zu mir gemeint: „Ein Wirtschaftswunder haben wir beide erlebt, Deutsche wie Österreicher. Der Unterschied ist: Bei uns war’s wirklich ein Wunder.“Da ist sie wieder, die ewige Lust der Österreicher, ihr Licht mehr oder weniger ironisch unter den Scheffel zu stellen. Was natürlich nicht ausschließt, dass man in einen geradezu infantilen Höhenflug gerät, wenn ein Österreicher einmal irgendeinen Stockerlplatz erklimmt. Kleinmut und Größenwahn sind nur zwei Seiten einer Medaille. Wie oft stoße ich vor einem Fußballspiel der österreichischen Nationalmannschaft auf wegwerfende Handbewegungen: „Geh, die Wappler bringen eh nix zusammen.“Doch sobald das Spiel angepfiffen ist, ist es vorbei mit der abgeklärten Selbstironie.
Der Hang, die eigene Beleuchtung zu dämpfen, ist den Deutschen, gelinde gesagt, nicht ganz so vertraut. Made in Germany steht für ein Wunder an Präzision und Zuverlässigkeit, und niemand ist mehr davon überzeugt als der Deutsche selbst, dass dieses Wunder sich ein paar typisch deutschen Tugenden verdankt: Fleiß, Disziplin, Genauigkeit. Ein (österreichischer) Leser hat mir einmal geschrieben, dass seine Landsleute allen Grund hätten, sich eine Scheibe von den Deutschen abzuschneiden. Und er hatte eben jene preußischen Tugenden im Blick. Fehlen sie den Österreichern wirklich so eklatant? Wie ist es dann möglich, dass Österreich ein derart wohlhabendes Land ist? Die Antwort, denke ich, liegt schlicht im Wesen des Wirtschaftslebens. Ein Unternehmer, der es allzu lange an Fleiß, Verlässlichkeit und Pünktlichkeit fehlen lässt, wird bald in leere Auftragsbücher blicken. Im Geschäftsleben steht jeder irgendwann vor der Wahl: Preuße oder Pleite.
Aber ich kann nicht leugnen, dass ich mich bis heute zuweilen frage, wie dieses Land angesichts seiner kultivierten Unverbindlichkeit überhaupt funktioniert. Im Grunde ist das aber nur eine sehr deutsche Art der Fantasielosigkeit, dieser Glaube, die Welt könne nur im Modus der Direktheit und Klarheit funktionieren. Als wäre der Mensch je ein Ausbund an Eindeutigkeit und Transparenz gewesen. Zumal die sogenannten deutschen Tugenden ja nicht gerade an der Menschenfreundlichkeit Maß genommen haben. Das Pochen auf das Präzise, auf penible Rechnung kann allzu leicht in Geiz und Kleinlichkeit umschlagen, gegen sich selbst wie gegen andere.
Doch auch der hiesige Kult der Ungenauigkeit ist für mich nicht wirklich zu einem überzeugenden Gegenmodell geworden. Zu oft war der lockere Gestus nur ein Vorwand dafür, die schlampigsten Maßstäbe immer dann anzulegen, wenn es um den eigenen Vorteil ging. „Geh, da samma ned so“, heißt doch zumeist nur: „Jetzt sei du ned so!“