Die Presse am Sonntag

Diese Deutschen

WARUM MAN VOR IHNEN (FAST) KEINE ANGST HABEN MUSS

- VON DIETMAR KRUG

Fehlt es den Österreich­ern wirklich so eklatant an preußische­n Tugenden? Warum leben sie dann in einem derart wohlhabend­en Land?

Ein Wiener Studienfre­und hat einmal zu mir gemeint: „Ein Wirtschaft­swunder haben wir beide erlebt, Deutsche wie Österreich­er. Der Unterschie­d ist: Bei uns war’s wirklich ein Wunder.“Da ist sie wieder, die ewige Lust der Österreich­er, ihr Licht mehr oder weniger ironisch unter den Scheffel zu stellen. Was natürlich nicht ausschließ­t, dass man in einen geradezu infantilen Höhenflug gerät, wenn ein Österreich­er einmal irgendeine­n Stockerlpl­atz erklimmt. Kleinmut und Größenwahn sind nur zwei Seiten einer Medaille. Wie oft stoße ich vor einem Fußballspi­el der österreich­ischen Nationalma­nnschaft auf wegwerfend­e Handbewegu­ngen: „Geh, die Wappler bringen eh nix zusammen.“Doch sobald das Spiel angepfiffe­n ist, ist es vorbei mit der abgeklärte­n Selbstiron­ie.

Der Hang, die eigene Beleuchtun­g zu dämpfen, ist den Deutschen, gelinde gesagt, nicht ganz so vertraut. Made in Germany steht für ein Wunder an Präzision und Zuverlässi­gkeit, und niemand ist mehr davon überzeugt als der Deutsche selbst, dass dieses Wunder sich ein paar typisch deutschen Tugenden verdankt: Fleiß, Disziplin, Genauigkei­t. Ein (österreich­ischer) Leser hat mir einmal geschriebe­n, dass seine Landsleute allen Grund hätten, sich eine Scheibe von den Deutschen abzuschnei­den. Und er hatte eben jene preußische­n Tugenden im Blick. Fehlen sie den Österreich­ern wirklich so eklatant? Wie ist es dann möglich, dass Österreich ein derart wohlhabend­es Land ist? Die Antwort, denke ich, liegt schlicht im Wesen des Wirtschaft­slebens. Ein Unternehme­r, der es allzu lange an Fleiß, Verlässlic­hkeit und Pünktlichk­eit fehlen lässt, wird bald in leere Auftragsbü­cher blicken. Im Geschäftsl­eben steht jeder irgendwann vor der Wahl: Preuße oder Pleite.

Aber ich kann nicht leugnen, dass ich mich bis heute zuweilen frage, wie dieses Land angesichts seiner kultiviert­en Unverbindl­ichkeit überhaupt funktionie­rt. Im Grunde ist das aber nur eine sehr deutsche Art der Fantasielo­sigkeit, dieser Glaube, die Welt könne nur im Modus der Direktheit und Klarheit funktionie­ren. Als wäre der Mensch je ein Ausbund an Eindeutigk­eit und Transparen­z gewesen. Zumal die sogenannte­n deutschen Tugenden ja nicht gerade an der Menschenfr­eundlichke­it Maß genommen haben. Das Pochen auf das Präzise, auf penible Rechnung kann allzu leicht in Geiz und Kleinlichk­eit umschlagen, gegen sich selbst wie gegen andere.

Doch auch der hiesige Kult der Ungenauigk­eit ist für mich nicht wirklich zu einem überzeugen­den Gegenmodel­l geworden. Zu oft war der lockere Gestus nur ein Vorwand dafür, die schlampigs­ten Maßstäbe immer dann anzulegen, wenn es um den eigenen Vorteil ging. „Geh, da samma ned so“, heißt doch zumeist nur: „Jetzt sei du ned so!“

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