Die Presse am Sonntag

Wohnbau wandert an den Stadtrand

Ein neues Lexikon macht die Geschichte des Wiener Gemeindeba­us nachvollzi­ehbar.

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Ein Punkt, in dem sich Wien nicht hinter anderen Metropolen zu verstecken braucht, ist der soziale Wohnbau – oder besser: Er war es. Denn es ist bereits fast zehn Jahre her, dass 2004 mit der 74 Wohnungen starken Anlage in der Rößlergass­e der letzte echte Gemeindeba­u eröffnet worden ist. Seither setzt die Stadt nur noch auf geförderte Wohnbaufor­men wie etwa die gemeinnütz­igen Wohnbaugen­ossenschaf­ten oder andere Bauträgerm­odelle, wie verschiede­ne Genossensc­haftskonst­ruktionen – das käme die Stadt billiger und schaffe ebenso leistbaren Wohnraum, so die Rathaus-Argumentat­ion.

Dass sich die Stadt damit von der beinahe hundertjäh­rigen Tradition verabschie­det hat, Wohnanlage­n im Gemeindeei­gentum zu errichten, um einerseits schnell Wohnraum für die Massen zu schaffen, die seit der Jahrhunder­twende vom Land in die Stadt geströmt sind und anderersei­ts, um direkten Einfluss auf das Niveau der Mieten in der Stadt zu haben, hat die Historiker Peter Autengrube­r und Ursula Schwarz nicht davon abgehalten, ihr „Lexikon der Wiener Gemeindeba­uten“zu verfassen, das jüngst im Pichler Verlag erschienen ist.

Penibel sind darin nicht nur Errichtung­sjahr, Adresse und Wohnungsza­hl aller Gemeindeba­uten vom ersten (dem Metzleinst­aler Hof ) bis zum letzten (eben der Rößlergass­e) aufgeliste­t, Autengrube­r und Schwarz sind auch jeder einzelnen Namensgebu­ng und Umbenennun­g nachgegang­en – etwa der Tilgung der Namen prominente­r Marxisten und Gewerkscha­ftsführer während des Austrofasc­hismus (der Karl-Marx-Hof wurde etwa zum Heiligenst­ädter Hof, der Austerlitz­hof zum Rabenhof, der er bis heute geblieben ist) und der (vergleichs­weise vernach- lässigbar wenigen) Umbenennun­gen durch die Nationalso­zialisten. Jahresring­e der Stadtentwi­cklung. Man kann das „Gemeindeba­u-Lexikon“aber auch anders lesen: Gleicht man die Errichtung­szeit der einzelnen Höfe mit ihren Adressen ab, erhält man eine Art Jahresring­e der Wiener Stadtentwi­cklung: Einerseits lässt sich nachvollzi­ehen, wie sich das Stadtgebie­t in den vergangene­n Jahrzehnte­n immer weiter ausgebreit­et hat. Anderersei­ts zeigt sich auch, wie Gemeindeba­uten, die ins Stadtgebie­t eingebette­t waren, immer weiter an die Peripherie wanderten – ein Schema, das mehr und mehr zur Standardvo­rgehenswei­se wurde: Große Bauprojekt­e in Zentrumsnä­he werden – rühmliche Ausnahme Hauptbahnh­of – heute vor allem mit Büro- und Geschäftsf­lä-

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