Von Paris lernen kann
Das Wien-Museum gehört ins Zentrum, was gehört dann an den Stadtrand? Wiens Kultur(politik) dort ist schwach, zeigt ein Vergleich Paris/Wien. Experten sagen, wie sich das ändern lässt.
Die Rue d’Aubervilliers ist keine Straße, wie sie Touristen gern besuchen. Sie ist eine dieser Problemzonen, die stolze Weltstädte lieber verschämt verstecken. Das heißt, sie wäre es, wäre da nicht das Centquatre, genau an der Stelle, wo früher das städtische Bestattungsinstitut war. In dem Industriebau aus dem 19. Jahrhundert mit seinen riesigen Hallen arbeiten seit ein paar Jahren Künstler aller Art, viele gleichzeitig. Sie stellen nicht nur hier aus, sie werken oder proben auch hier – und sie lassen sich dabei zusehen.
Rundherum Arbeitslosigkeit, Schulabbrüche, Bandenkriminalität. Der 19. Pariser Gemeindebezirk gilt als „schwieriges“Immigrantenviertel und strotzt vor Sozialwohnungen. Trotzdem sind die 39.000 Quadratmeter des
Das Centquatre bietet Ateliers für Amateure und vernetzt sie mit internationalen Künstlern.
Centquatre keine isolierte Insel der Seligkeit im desolaten Häusermeer. Schon dass bei der Eröffnung 2008 eine Prozession von Kindern und Eltern aus der Umgebung den Garten des Kunstzentrums begrünen kam, war mehr als ein symbolischer Akt. Kunst und Nachbarschaft. Im Bezirk gibt es Gemeinschaftsgärten, Bewohner von rundum bepflanzen und pflegen sie gemeinsam, und einmal im Jahr gibt es ein großes, aus dem Geernteten gekochtes Festessen. Auch das Centquatre ist nicht „nur“ein großes neues Kunstzentrum, es dient genauso der Nachbarschaft und der sozialen Entwicklung des Pariser Außenbezirks. Etwa, indem es die Bewohner dieses und des angrenzenden 18. Bezirks ermuntert, Kunst zu machen. Es stellt Ateliers zur Verfügung, begleitet und vernetzt lokale Initiativen.
Was und wie viel an Stadtkultur gehört ins Zentrum? Und was an den Rand? Das ist eine Frage, die sich der chen aufgefüllt, während die großen Wohnprojekt eher in Richtung Stadtrand driften. So nachvollziehbar das ist – schließlich würden sich hohe Grundstückspreise im Stadtinneren in höheren Mieten niederschlagen und so das Konzept des sozialen Wohnbaus ad absurdum führen –, entsteht dadurch natürlich auch eine neue Dynamik, etwa innerstädtische Pendlerströme mit allen verkehrspolitischen Folgeproblemen.
Überhaupt scheint sich die Philosophie des Wiener Wohnbaus derzeit massiv geändert zu haben, wenn man das „Gemeindebau-Lexikon“liest und gleichzeitig neue Projekte wie die Seestadt Aspern anschaut: Diese entsprechen ziemlich genau dem Typus des „englischen Gartenstadtmodells“, also eines Kranzes für sich abgekoppelter Trabantenstädte rund um das Stadtzentrum, ausgestattet mit Gärten, eigenen Arbeitsplätzen und öffentlichen Einrichtungen. „Durchgesetzt hat sich allerdings die Idee des Superblocks“, schreiben Autengruber und Schwarz in der Einleitung ihres Lexikons: „Die Bewohner sollten sich als Parteigenossen Stadtkulturforscher Walter Rohn gestellt hat. Er hat dazu Wien und Paris miteinander verglichen; schmeichelhaft für Paris, weniger für Wien.
Sein dieser Tage präsentiertes Buch dazu kommt gerade recht. Vor wenigen Tagen hat die Wiener Stadtpolitik nach jahrelangen Kontroversen die Frage entschieden, wo das Wien-Museum künftig stehen soll. Es bleibt am Karlsplatz, statt in das Quartier Belvedere rund um den Hauptbahnhof zu wandern. Wien zieht damit einen Vorhang zu – und lässt viele Fragen offen.
Sie betreffen einerseits die kulturelle Zukunft des neuen Areals, die damit wieder ein Stück vager ist. Soll es eine Halle für Francesca Habsburgs Sammlung zeitgenössischer Kunst geben? Oder für Musicals? Was soll in den Kultur-Kubus kommen, der als multifunktionaler Kulturbau zwischen Hauptbahnhof und Gürtel geplant ist? Wiens Randkultur: „Eher schwach.“Sie betreffen aber auch Wien außerhalb des Gürtels. Denn das Engagement der Stadtpolitik für die Kultur in den Außenbezirken sei „eher schwach“, urteilt Walter Rohn. „Dass das Wien-Museum nun doch im Zentrum bleibt, verstehe ich ja. Aber warum stellt man nicht etwas Neues in einen Außenbezirk? Ein Kulturgebäude in die neue Seestadt Aspern, zu der man ja direkt mit der U2 hinkommt; oder auf die Donauplatte bei der UNO-City? Oder nach Floridsdorf? Wer nicht dort wohnt, hat ja überhaupt keinen Grund hinzufahren.“
Walter Rohn, der am Institut für Stadt- und Regionalforschung der Akademie der Wissenschaften arbeitet, blickt dabei im Geist nach Paris. Sein im Praesens Verlag erschienenes Buch „Die neue Kultur am Rand der Städte: Wien und Paris“beschreibt unter anderem, wie der sozialistische Pariser Bürgermeister, Bertrand Delanoe,¨ Anfang des neuen Jahrtausends die Pariser Kultur dezentralisiert hat. Er verdoppelte das Kulturbudget der Stadt, und verteilte es um – hin zur Peripherie. Das Centquatre ist nur eine von vielen Kultureinrichtungen, die seitdem in Randbezirke der französischen Hauptstadt gesetzt wurden. Da sind etwa die Stadt der Mode und des Designs im 13. Arrondissement, zwei große Mediatheken im 15. und 20. oder das Centre musical Fleury Goutte d’Or-Barbara im 18. Bezirk. Größter Konzertsaal dezentral. Und, nicht zu vergessen, im selben Bezirk wie das Centquatre: die von Jean Nouvel entworfene Philharmonie de Paris. Dieser bisher größte Konzertsaal von Paris wird derzeit im Parc de La Villette gebaut, einem frühen Beispiel für die zumindest räumliche Dezentralisierung der „Hochkultur“. näherkommen, von der Metropole Besitz ergreifen und nicht in anachronistische Kleingarten verstreut werden“– weswegen zu Beginn der Gemeindebauzeit das Gartenstadtmodell ad acta gelegt wurde, zugunsten der bekannten Höfe. Mit ein Grund dürfte den Historikern zufolge aber nicht nur die Botschaft der Hof-Burgen gewesen sein, „den Superblock gegenüber der kapitalistischen Straße abzugrenzen“, sondern auch, dass sich Reformen über die zentralen Strukturen solcher Bauten einfacher umsetzen ließen. Auch der schnöde Mammon dürfte Anlass gewesen sein: Die Gartenstädte wären mit hohen Grund- und Erschließungskosten verbunden gewesen. (gr)
Lexikon der Wiener Gemeindebauten
Peter Autengruber, Ursula Schwarz Pichler Verlag, 2013
Zu den spärlichen Wiener Kulturgroßprojekten an der Peripherie gehören etwa das Palais Kabelwerk in Meidling, das sich als „niederschwellig zugängiges, bevölkerungsnahes Kulturzentrum“versteht, oder das Bildungszentrum Simmering. „Beim Kabelwerk habe ich aber den Eindruck, dass hauptsächlich Leute von anderen Bezirken dort ein und aus gehen“, sagt Rohn. Wenn es um die Nutzung von Kultur für die allgemeine Entwicklung von Stadtteilen geht, sind einzelne Großprojekte nicht unbedingt am erfolgreichsten. Oft ist auch die Vernetzung vieler kleiner Initiativen auf engem Raum wirksamer.
Und was das angeht, hat Wien dann doch ein Vorzeigeprojekt: Ottakring mit seinen bekannten Kulturinitiativen wie Soho in Ottakring oder Grundstein. Dort ist es mithilfe der Bezirkspolitik nicht nur gelungen, die Kulturschaffenden im Viertel rund um den Brunnenmarkt miteinander zu vernetzen. Die Einrichtungen haben auch, so Rohn, „jene kritische Masse erreicht, die erforderlich ist, um Auswirkungen auf die gesamte Entwicklung des Bezirks zu haben“. Vorbild: Der 20. Pariser Bezirk. Ottakring ist damit vielleicht der einzige Wiener Bezirk, der sich mit dem erstarkten Kulturleben in etlichen Pariser Randbezirken messen kann. Rohn hat sich stellvertretend für diese Entwicklung das 20. Arrondissement angesehen, „sie machen in allen Bezirken Neues, aber hier besonders viel“. Neben großen Theatern, vielen mittelgroßen und kleinen Galerien und Musikklubs gibt es dort neuerdings auch das Kulturzentrum Carre´ de Baudouin, eine große Mediathek und ein Haus der Amateurkünste. Paris habe kulturell spezielle Maßnahmen für benachteiligte Stadtviertel und Bevölkerungsschichten ergriffen, erzählt Rohn. Die Initiativen im 20. Bezirk „präsentieren ein qualitativ höherstehendes künstlerisches Programm“als die Wiener Initiativen und „ziehen ein Publikum aus allen Stadtteilen an“.
Wer ist schuld, dass Wien nicht wenigstens ein bisschen Paris ist: die Künstler, Stadtpolitiker? „Ich glaube, dass Wien nicht der Ort ist, wo sich künstlerisch ganz Neues entwickeln kann“, zitiert Rohn Schauspieler Hubsi Kramar. Aber dass sich die Kultur an Wiens Rändern dennoch sehr verbessern und den Bezirken auch sozial zugute kommen würde, darüber sind sich die von Rohn befragten Experten einig. Sie fordern eine „explizite Kul-
Experten fordern Flaggschiffprojekte, Förderung für Jugendkultur, mehr Räume.
turpolitik für die städtische Peripherie“(Geld könnte auch von Politikressorts wie Stadtentwicklung kommen) und schlagen unter anderem vor: Flaggschiffprojekte in den Randbezirken; die spezielle Förderung von Jugendkultur; die Bereitstellung von Räumlichkeiten für Kulturprojekte (etwa in den Häusern der Begegnung); Förderung der Netzwerkbildung von Kulturinitiativen.
Wird die Stadt ihre Vorschläge aufgreifen? Davon kann man sich bei der Diskussion im Rahmen der Buchpräsentation wohl ein erstes Bild machen.
25. November im Depot in der Breiten Gasse (Wien VII), 19 Uhr.