STECKBRIEF
Charles Landry war einer der Ersten, der sich mit dem Thema Kreativität in Städten auseinandergesetzt hat. Begonnen hat er 1978. Da habe ihm noch jeder erklärt, wie verrückt er sei, erzählt der Brite. Mittlerweile ist Landry ein anerkannter Forscher, der einen eigenen Kreativitätsindex für Städte entwickelt hat. Und der Entwicklungen in der Branche auch durchaus kritisch gegenüberstehen kann. Herr Landry, jeder sagt, Kreativität sei für Städte gut. Warum eigentlich? Charles Landry: Ein Grund, warum wir Kreativität brauchen, sind die dramatischen Veränderungen in Städten und Ländern. Wenn man weiß, dass viele
»Es ist einfacher, Dinge so zu machen, wie man sie kennt. Kreativität ist anstrengend.«
Industrien nach Asien wandern, dann fragt man sich: Was kann ich machen? Und wir sehen Kreativität heutzutage als Ressource, als Kapital. Aber wie kann Kreativität wirklich helfen? Kreativität ist die Kapazität, etwas im Geist durchzudenken – und so Lösungen zu finden. Das ist ein Kreativitätsprozess, der sehr weit definiert ist. Es gibt auch kleinere Aspekte, etwa den Kreativwirtschaftssektor, aber ich würde Kreativität nicht darauf reduzieren. Warum nicht? Wenn ich mit Städten zusammenarbeite, dann sage ich oft: „Sie haben vielleicht eine lebendige Designszene, aber die Prozesse darum herum sind bürokratisch.“In diesem Fall kann die Stadt wenig von der Kreativität profitieren. Wie könnte sie es sonst? Indem man sich fragt, wie man sie verwenden kann. Die traditionellen Branchen und die Kreativbranche scheinen am Anfang oft keine Verbindung zu haben, aber wenn man genauer hinsieht, besteht da eine ganz große Verbindung. Ein Beispiel: In Liverpool gibt es ein großes Biomedizin-Zentrum. Und für die Videodiagnosen braucht man dort Kameras, um das Innere des Menschen zu filmen. Auch in der Öl- oder Meeresforschung braucht man Kameras oder Vibration, da ist eine Verbindung zur Musik da. Kreativwirtschaft wird selten so gesehen. Man kann Kreativwirtschaft auch missverstehen. Und sagen: „Oh, das ist Musik, also ist es kreativ.“Viel wichtiger ist, was die Menschen tun. Die Spin-offs des Sektors sind wichtig. Bei Design geht es nicht nur darum, dass etwas hübsch aussieht, sondern auch um die Frage: Wie kann ich ein Problem lösen? Die Industrie kann also von Kreativen profitieren. Versteht die Industrie das schon? Nein, nicht genug. Sie sagt sich – überspitzt formuliert: „Ja, ja, die Kreativen, aber wir machen das echte Geschäft.“Die Kreativwirtschaft wiederum ist selbst auch nicht so toll, wie sie denkt. Kreative sind oft sehr selbstbezogen. Sie glauben, sie sind hip, sehr cool, aber sie sind oft nicht so offen, wie sie scheinen. Beide Gruppen müssen aufmachen. Wie könnte man das fördern? Die einzige Möglichkeit ist, die Gruppen zusammenzubringen. Jemand, der Design-Thinking macht, sollte mit einem Chemiker zusammenarbeiten. Wie ist ist die Einstellung der Politik dazu? Das ist ein wirkliches Problem, denn viele Politiker fühlen sich durch Kreativität bedroht. Denn sie bricht oft mit der Tradition. Sie arbeitet gegen Bürokratie und alte Strukturen. Und das mögen die wenigsten. Gerade die Bürokratie will immer das Gleiche tun. Aber Kreativsein gilt doch als „in“. Klar, Kreativität klingt immer sehr hip, aber die meisten von uns wollen gar nicht kreativ sein. Weil Kreativität auch immer heißt, Dinge infrage zu stellen. Und es ist nun einmal einfacher, Dinge so zu tun, wie man sie kennt. Kreativität ist anstrengend. So wie Sie das sagen, spielt Kreativität in jeder Sparte eine Rolle. Der Begriff „Kreativwirtschaft“ist aber klar definiert. Charles Landry reist mit seinen Vorträgen um die ganze Welt.
wurde Charles Landry in Großbritannien geboren. Dort hat er auch studiert, ebenso in Deutschland und Italien.
1948
hat er seine Agentur, Comedia, gegründet, eine Beratungsagentur, die sich mit dem Thema Kreativität und Kultur und Stadtentwicklung befasst.
1978
Landry hat in mehr als 50 Ländern auf der ganzen Welt Vorträge und Workshops zum Thema Kreativität in Städten gehalten, unter anderem in Holland, China, Japan, den USA, Ecuador.
Länder.
Er ist der Autor mehrerer Bücher, etwa „The Creative City: A Toolkit for Urban Innovators“.
Bücher.
Ich war sehr dagegen, als die britische Regierung das Wort „Kreativwirtschaft“erfunden hat. Vorher war das Wort „Kulturökonomie“oder „Industry of the Imagination“. Das Wort „Kreativwirtschaft“lässt einen glauben, dass die einzigen Kreativen in Sektoren wie Film oder Design arbeiten. Dadurch werden aber andere ausgeschlossen. Wie hätten Sie es denn genannt? Ich wäre wohl bei Kulturökonomie geblieben. Aber ich finde es selbst nach wie vor schwierig, ein geeignetes Wort dafür zu finden. Wie macht man jetzt eine Stadt kreativer? Ich habe mich in den vergangenen Jahren viel damit befasst, wie man Anreize und Regulierungen finden kann, damit man die kollektive Kreativität von Stadteinwohnern nützen kann. Open Data ist ein Beispiel dafür. In einer Stadt gibt es viele Leute, die Potenzial und Ideen haben. Gerade in Städten, wo die Abwanderung groß ist, muss man mehr aus seinen Leuten machen. Hilft es überhaupt, wenn eine Regierung die Kreativität in der Stadt fördert? Ja, so etwas ist wichtig. Die Frage ist halt, wie man es macht. Man braucht Anreizsysteme, Mentoring, und man muss viele Gruppen zusammenbringen, weil viele Firmen in der Kreativwirtschaft sehr klein sind. Also braucht man Mechanismen, um sie größer erscheinen zu lassen. Da kann der öffentliche Sektor helfen. Auch mit leicht zu erhaltenden Krediten. Ziel muss immer sein, etwas Neues zu ermöglichen. Es darf also nicht kontrollierend sein. Was sind kreative Städte für Sie? Es gibt im Moment eine Menge Städte, die Menschen aus der ganzen Welt anziehen. Das macht diese Städte vielfältiger und erfolgreicher, weil sie mit Ideen gefüttert werden. London ist so ein Fall. Was sicher auch daran liegt, dass hier Englisch gesprochen wird. Aber auch das Umfeld ist sehr entspannt. Es ist leicht, dort ein Geschäft aufzubauen. Im Gegensatz dazu verlassen viele Leute Paris wieder, weil sie die Stadt für zu bürokratisch und schwierig halten.