Im IT-Mekka fehlt das Fußvolk
Den Internetfirmen im Silicon Valley macht der Fachkräftemangel zu schaffen. Vor allem kleine, junge Unternehmen finden kaum gute Programmierer. Erstens, weil Google & Co. besser zahlen – und zweitens, weil dort jeder arbeiten will.
Das Silicon Valley ist in vielerlei Hinsicht anders als Österreich: Das Wetter ist besser, die Gehälter sind höher und die Unternehmer jünger. Aber eines haben die heimische Industrie und die Tech-Szene um San Francisco gemeinsam: einen Mangel an gut ausgebildeten Arbeitskräften. Die Internetfirmen im Silicon Valley suchen händeringend nach Programmierern. Jüngst machte sich deshalb sogar Facebook-Gründer und -Chef Mark Zuckerberg für eine Reform der Einwanderungsgesetze stark, damit es leichter wird, Mitarbeiter im Ausland zu rekrutieren. Die Nachfrage nach den nötigen Arbeitsvisa übersteigt das Angebot häufig, sodass am Schluss zuletzt sogar das Los entschied.
„Man sagt, im Silicon Valley gibt es mehr Unternehmer als Softwareentwickler“, sagt Mario Herger. Der Österreicher arbeitet seit mehr als 15 Jahren als Programmierer im Silicon Valley – lange beim Softwarekonzern SAP, bis er vor drei Jahren seine eigene Firma aufsperrte. Außerdem ist Herger Mitgründer des Austrian Innovations Center, das österreichische Start-ups mit Firmen im Silicon Valley vernetzt. „Den Mangel bemerkt man auch anhand der Benefits, mit denen die Firmen ihre Mitarbeiter verwöhnen.“Die da wären: Restaurants auf dem Campus, die bis 22 Uhr geöffnet haben, gratis Wäscherei und Friseur, Kindergarten, unbegrenzter Urlaub. Google schickt jeden Tag Busse durch San Francisco, der die Mitarbeiter einsammelt und in die Zentrale nach Mountain View bringt. Weil rund um die Stationen die Mieten kräftig steigen, ist der „Google Bus“in San Francisco ein Synonym für die Gentrifizierung geworden. Vor allem die Kleinen kämpfen. Der Fachkräftemangel ist vor allem für kleine, junge Firmen ein Problem. Die Etablierten rund um Twitter und Facebook stellen laufend neue Mitarbeiter ein – junge Start-ups müssen sich mit dem zufriedengeben, was übrig bleibt. Die Großen haben im Rittern um die besten Köpfe die Nase vorn: erstens, weil Geld für sie kaum eine Rolle spielt. Und zweitens, weil ihnen ihr Ruf vo-
»Die Leute wollen ihrer Mutter erzählen, dass sie bei Google arbeiten.«
rauseilt. Google etwa landet in internationalen Rankings der beliebtesten Arbeitgeber regelmäßig auf dem ersten Platz. „Die Leute wollen ihrer Mutter erzählen, dass sie bei Google arbeiten“, sagt Eneko Knorr. Der 38-jährige Unternehmer kam vor zwei Jahren aus dem spanischen Baskenland ins Silicon Valley und bekommt den Fachkräftemangel gerade hautnah mit. „Es ist wirklich verrückt. Selbst wenn du das Geld hast, ist es unmöglich, Leute zu finden“, sagt er. Knorr hat fünf Mitarbeiter in San Francisco und 20 im baskischen Bilbao. In die USA holen kann er sie wegen der strengen VisaRegeln nicht. Außerdem ist die Gefahr groß, dass gute Leute abgeworben werden. „Wenn du Mitarbeiter suchst, ist jeder dein Konkurrent“, so Knorr.
Für gute Programmierer gibt es derzeit wohl wenige Plätze auf der
IT-Riesen wie Twitter und Facebook machen den kleinen Start-ups im Silicon Valley die Mitarbeitersuche schwer. Welt, auf denen es sich besser leben lässt als im Silicon Valley. Zwar sind die Lebenshaltungskosten in San Francisco hoch: 3000 Dollar (2232 Euro) Monatsmiete für eine Zwei-ZimmerWohnung sind die Regel. Aber die Einkommen der „Techies“können da locker mithalten. Das Internetportal Glassdoor veröffentlichte kürzlich ein Ranking der 25 bestzahlenden Internetfirmen in den USA. 17 davon sitzen im Silicon Valley. Facebook etwa zahlt seinen Programmierern im Durchschnitt 121.507 Dollar (90.454 Euro) Grundjahresgehalt und landet an neunter Stelle. Twitter findet sich auf Platz fünf mit 124.863 Dollar, Google auf Platz vier mit 127.143 Dollar. Am meisten bezahlt die Firma Juniper Networks mit 159.990 Dollar. Das durchschnittliche Gehalt eines Programmierers in den USA beträgt 92.790 Dollar. Hohe Kosten, viel Konkurrenz. Viele kleine Unternehmen überlegen es sich daher dreimal, ob sie ihre Entwicklungsabteilung ins IT-Mekka setzen. So wie der Oberösterreicher Daniel Mattes, der wohl erfolgreichste Österreicher im Silicon Valley. 2009, mitten in der Krise, verkaufte er seine Firma Jajah für 209 Millionen Dollar an die spanische Telefonica. Jetzt baut er seine zweite Firma, Jumio, auf. Mattes beschäftigt 150 Mitarbeiter, 100 davon in Österreich, wo nach wie vor die Entwicklungsabteilung sitzt. Daran soll sich auch nichts ändern. „Wenn du hier im Silicon Valley eine Entwicklungsabteilung aufbauen möchtest, hast du erstens extrem hohe Kosten, weil das Gehaltsniveau sehr hoch ist. Und zweitens hast du einen unglaublichen Mitbewerb“, sagt Mattes.
Zwischen Facebook und eBay als attraktiver Arbeitgeber zu gelten sei extrem herausfordernd. „Aber in Österreich gibt es sicher kein heißeres Startup als uns, damit haben wir auf einen Schlag ein viel höheres AttraktivitätsLevel.“Zumal die Qualität der Programmierer in Österreich mittlerweile so hoch sei, dass man die Entwicklung
tausend Dollar
im Jahr verdient ein Programmierer bei Juniper Networks im Silicon Valley. Das Durchschnittsgehalt eines Programmierers in den USA beträgt 93.000 Dollar.
der 25
Firmen, die ihren Programmierern am meisten bezahlen, sitzen im Silicon Valley. bedenkenlos dort lassen könne. Die Lohnkosten in Österreich seien verhältnismäßig günstig, die Lebenskosten ebenso. „Der Standort in Österreich ist großartig“, sagt der Wahlkalifornier. Man müsse vielleicht mehr Leute interviewen, bis man die Guten findet. „Aber es gibt tolle Leute.“
Auf der Suche nach den besten Köpfen sind große IT-Firmen wie Yahoo dazu übergegangen, ganze Unternehmen nur wegen ihrer Mitarbeiter aufzukaufen. „Acqui-hiring“heißt diese Strategie, die im Silicon Valley weit verbreitet ist. Für eine gute Mannschaft bezahlen Tech-Giganten schon einmal eine halbe bis eine Million Dollar – pro Kopf. Für Jungunternehmer, deren großer Erfolg ausbleibt, ist das eine Möglichkeit, ihr Gesicht zu wahren. Es klingt besser, seinen Freunden zu erzählen, man habe seine Firma an Google verkauft als zuzugeben, dass man gescheitert ist. Kein Interesse am Durchschnitt. Der Fachkräftemangel ist nicht nur ein Mangel an Programmierern – sondern einer an Spitzenkräften. Mit dem Durchschnitt gibt man sich hier nicht zufrieden. Erst eine überdurchschnittliche Ausbildung, im Idealfall an einer Eliteuniversität wie Stanford in Palo Alto, gepaart mit den nötigen sozialen Kompetenzen, qualifiziert einen für die Start-up-Szene des Valley. „Du musst gut sein in deinem Gebiet, aber das allein hilft nicht“, sagt Mario Herger. Auch die Soft Skills zählen und ob man ins Team passe. „Du musst die Einstellung haben, dass du etwas bewegen willst und darfst nicht zweifeln. Leute, die zu vorsichtig gegenüber neuen Projekten sind, haben es eher schwer.“
Vor allem Absolventen europäischer Universitäten hätten vor dieser Mentalität Berührungsängste. Zumal Amerikaner Abschlüsse aus Europa schwer einschätzen könnten. „Du darfst dir nicht erwarten dass du hier ankommst und sagst Hallo, ich bin der Mario von der TU Wien und alle brechen nieder“, sagt Herger.