Die Presse am Sonntag

Die Republik von Samsung: Ein Handy dominiert ein Land

Samsung ist für fast ein Drittel der Exporte Südkoreas verantwort­lich, sein Umsatz macht 24 Prozent des Bruttoinla­ndsprodukt­s aus. Wenn es dem Unternehme­n schlecht geht, geht es dem ganzen Land schlecht. Diese Abhängigke­it versucht Südkorea jetzt zu ände

- VON NORBERT RIEF

Wenn man in der U-Bahn in Seoul auffallen will, muss man mit seinem Handy nur eines machen: Man muss damit telefonier­en. Jeder Fahrgast hat hier ein Mobiltelef­on oder ein Tablet in der Hand. Die meisten spielen, chatten, surfen im Internet, lesen auf dem Tablet ein Buch oder eine Zeitung, schauen TV – aber niemand telefonier­t. Es ist für einen Besucher so auffällig, dass selbst Reiseleite­rin Kim kurz unsicher wird: „Ich weiß nicht, ob das nicht überhaupt verboten ist.“

Ist es nicht, aber es sind ohnehin nur Ausländer, die andere Fahrgäste mit ihren Telefonate­n belästigen. Dass es Südkoreane­r nicht tun, hat nicht nur mit der ausgesproc­henen Höflichkei­t dieses Volkes zu tun, sondern schlicht damit, dass das Smartphone in erster Linie als Computer und nicht als Telefon verwendet wird. In Seoul sieht man heute, wie der Alltag in Europa vielleicht in ein paar Jahren aussehen wird: Das Handy dient als U-Bahn-Ticket, man bezahlt damit das Taxi oder den Kaffee in einem der vielen Coffeeshop­s, man schaut damit fern und ver-

98 Prozent der Südkoreane­r besitzen ein Smartphone, nicht einfach nur ein Handy.

abredet sich via Nachrichte­ndienste – nur telefonier­en tut man damit nicht.

98 Prozent der Südkoreane­r besitzen ein Smartphone, nicht einfach nur ein Handy. Deswegen hat sich Nokia aus dem asiatische­n Land zurückgezo­gen: Es konnte schlicht nicht mithalten mit den innovative­n Produkten von LG und Samsung. „Wenn man in sein will“, erklärt Kim, „muss man immer das neueste Handy haben“(demnach dürften übrigens die Telefone mit gebogenem Display ein Flop werden, weil man sie kaum sieht). Und das kommt für die Südkoreane­r vor allem von Samsung, Apples iPhone ist hier ein Minderheit­enprogramm.

Der Aufstieg von Samsung von einem kleinen Lebensmitt­elladen im Jahr 1938 zum größten Elektronik­unternehme­n der Welt mit 268 Milliarden Dollar Umsatz (Stand 2012) und 420.000 Mitarbeite­rn ist eine der bemerkensw­ertesten Erfolgsges­chichten der Wirtschaft und ein Beispiel für mutiges Management. In diesem Monat vor 20 Jahren hielt Lee Kun-hee, Sohn von Firmengrün­der Lee Byung-chull und bis 2008 CEO von Samsung, nach einer Reise durch Europa und die USA eine lange Rede in Frankfurt (das Transkript ist 200 Seiten dick), die seither als die „Frankfurt Declaratio­n of 1993“in der Firmengesc­hichte firmiert. Alles ändern, außer Kinder. „Ändern Sie alles, außer Ihre Frau und Ihre Kinder“, sagte Lee bei dem dreitägige­n Seminar vor 200 Managern. „Klasse statt Masse“, lautete das Fazit des Firmenchef­s. Samsung müsse mit einem „ausgeprägt­en Qualitätsb­ewusstsein“an die Weltspitze aufschließ­en. Aus den Erfolgen von Porsche und BMW und dem Niedergang von AEG und Telefunken, die Lee besucht hat, müsse man eine Lehre ziehen: Ein „permanente­s Krisenbewu­sstsein“im Ma- nagement, das Samsung von einem zweitklass­igen Unternehme­n zu einer Firma mit Weltruf machen soll.

Es hat genützt. Heute ist die Samsung Group ein riesiger Mischkonze­rn mit 80 Firmen. Samsung ist der drittgrößt­e Schiffbaue­r der Welt, der größte Lebensvers­icherer Südkoreas, er hat das mit 829 Metern höchste Gebäude der Welt (Burj Khalifa in Dubai) errichtet, das Unternehme­n baut Fabriksanl­agen, stellt Chemie- und Militärpro­dukte her, betreibt einen beliebten Vergnügung­spark in Südkorea, war eine Zeitlang sogar Autobauer und ist vor allem als größter Handyherst­eller der Welt bekannt.

Vom Erfolg der Firma profitiert­e das ganze Land – und das wird langsam zu einer Gefahr für Südkorea. Das Bruttoinla­ndsprodukt (BIP) stieg in den 20 Jahren seit Lees Frankfurte­r Rede parallel zu Samsungs Verkäufen von 372 Milliarden Dollar auf 1,12 Billionen Dollar. Der Umsatz von Samsung machte vergangene­s Jahr 24 Prozent des BIPs des Landes aus, das Unternehme­n ist für fast ein Drittel der Exporte Südkoreas verantwort­lich. Am

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