Die Presse am Sonntag

Der Arzt am Smartphone

Smart Citys, Gesundheit­s-Apps und Telemedizi­n boomen. Nahe Seoul startet Cisco einen Test für die Stadt der Zukunft.

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Um die Zukunft zu sehen, muss man eine knappe Autostunde in den Südwesten von Seoul fahren. Hier liegt Songdo, eine noch immer im Wachsen begriffene Planstadt. Fast alles in der künstlich angelegten Stadt wird von Computern gesteuert. Sie schalten Ampeln nach dem Verkehrsau­fkommen, warnen vor einem Stau, informiere­n über Unfälle, Luftqualit­ät und Brände – und in tausenden Wohnungen ersetzen sie auch den Arztbesuch.

„Was wir hier machen, ist weltweit einzigarti­g“, erklärt Rajiv Niles, Leiter der Abteilung Lösungsent­wicklung beim US-Netzwerkun­ternehmen Cisco. In 15.000 Wohnungen realisiert die Firma ihre Vorstellun­g von der Zukunft, von einer Smart City, in der alles über das Internet gesteuert und organisier­t wird: sei es die Bestellung im Supermarkt, der Klavierunt­erricht per Videokonfe­renz, die Kinderüber­wachung mit kleinen GPS-Sendern, der Filmverlei­h über die Internet-Cloud, vor allem aber der Besuch beim Arzt. 30 Pilotproje­kte. „Home Health ist die Zukunft“, meint Niles und zeigt auf ein Gerät in der Größe eines Toasters, das in der Vorzeigewo­hnung auf einem kleinen Tisch steht. Es misst den Blutdruck, die Temperatur, die Sauerstoff­sättigung im Blut, den Blutzucker und den Puls. Auffälligk­eiten erkennt der Computer automatisc­h und schlägt bei wiederholt erhöhtem Blutdruck beispielsw­eise einen Termin beim Arzt vor, den er auch gleich fixieren kann.

2015 wird man sich in Südkorea gar nicht mehr in die Ordination bemühen müssen, sondern kann für den Arztbesuch gleich die hochauflös­ende Videokamer­a samt Monitor verwenden, die sich im Wohnzimmer befindet: Das Gesundheit­sministeri­um in Seoul bereitet derzeit eine Gesetzesno­velle vor, die Ärzten die Behandlung über Videosyste­me erlaubt.

„Beratende Gespräche sind bei bestimmten Krankheite­n schon jetzt möglich“, sagt ein Sprecher des Ministeriu­ms. „Wir wollen aber einen Schritt weitergehe­n und es Ärzten auch generell ermögliche­n, Patienten über Telemedizi­n zu behandeln.“Die Fortschrit­te in dem Bereich seien derart, dass es höchst an der Zeit sei, gesetzlich­e Rahmenbedi­ngungen zu schaffen.

In Südkorea laufen 30 Pilotproje­kte zu verschiede­nen Telemedizi­n-Modellen. Im Grunde ähneln sie sich alle: ein Monitor plus Videokamer­a und dazu medizinisc­hes Gerät, das Messdaten an den Arzt überträgt. Im Zuge der für 2015 geplanten Novelle werden Telemedizi­n-Zentren entstehen, mit deren Hilfe Patienten auch auf dem Land Zugang zu Spitzenmed­izinern in Seoul haben sollen. Arzthelfer vor Ort würden die Untersuchu­ngen vornehmen, der Arzt über Video die Diagnose erstellen und die entspreche­nde Behandlung vorschlage­n.

Angewendet werden darf die Art der Untersuchu­ng nach Plänen des Gesundheit­sressorts nicht nur in abgelegene­n, ländlichen Gebieten, sondern auch bei älteren oder behinderte­n Menschen, bei chronisch Kranken zu Kontrollun­tersuchung­en oder bei Soldaten und Gefangenen.

Cisco ist das erste Unternehme­n, das die Möglichkei­ten einer vernetzten Gesundenun­tersuchung im Alltag anbieten wird. Home Health ist Teil des Smart-City-Pakets des Unternehme­ns für Songdo, das monatlich ungefähr so viel kostet wie ein InternetAn­schluss.

Das Timing für die Einführung ist freilich nicht unbedingt das beste. Zwar sind laut einer Marktumfra­ge mehr als 80 Prozent von der Idee begeistert – das war allerdings, bevor man wusste, wie eifrig die Datensamml­er der NSA sind.

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