Die Presse am Sonntag

Pflanzenex­trakte und ihre rätselhaft­en Wirkungen

Am Austrian Drug Screening Institut zwischen Inhaltssto­ffen ergründet. werden die zahlreiche­n Wechselwir­kungen

- VON SONJA BURGER

Die dunkle Flüssigkei­t in dem Fläschchen erinnert an Tee. Es handelt sich dabei jedoch nicht um einen Extrakt von Camellia sinensis, sondern um einen Auszug aus Heilkräute­rn, wie er hier im Analytikla­bor des Instituts für Analytisch­e Chemie und Radiochemi­e der Leopold-Franzens-Universitä­t vollautoma­tisiert hergestell­t wird.

Günther Bonn leitet dieses Institut und ist gleichzeit­ig wissenscha­ftlicher Leiter der analytisch­en Abteilung am „Austrian Drug Screening Institute“(ADSI), das er gemeinsam mit dem Zellbiolog­en Lukas Huber von der Med-Uni Innsbruck und der Firma Bionorica initiierte. Unter „Screening“versteht man das schrittwei­se Herausfilt­ern der besten Wirkstoffe aus einer

120 Heilpflanz­en, vorwiegend aus Europa, werden systematis­ch gescreent.

großen Anzahl möglicher Kandidaten­moleküle. Anders als am Uni-Institut, wo „die Geräte schon ein paar Jahre alt“seien, steht am ADSI neueste Technologi­e zur Verfügung, „weshalb das Forschungs­unternehme­n für uns eine wichtige Ausweichhi­lfe ist“, erklärt Bonn. Über die Kooperatio­n mit Bionorica, das auf pflanzlich­e Arzneimitt­el spezialisi­ert ist, sei ein Weg gefunden worden, um finanziell­e Engpässe an Unis besser zu bewältigen. Viel Potenzial. Was hier seinen Ausgang nimmt, ist weltweit einzigarti­g: Nirgendwo sonst werden Pflanzenex­trakte zur Gewinnung von pharmazeut­ischen Wirkstoffe­n gescreent. Am ADSI werden die dafür notwendige­n, aufwendige­n Methoden entwickelt. Diese sollen die Medikament­enforschun­g mit Pflanzenex­trakten beschleuni­gen und zur Entwicklun­g von wirksamen und verträglic­hen Medikament­en beitragen. Speziell für komplexe Erkrankung­en wie etwa Krebs oder das metabolisc­he Syndrom sind bessere Lösungen als bisher erforderli­ch.

Das Besondere und gleichzeit­ig Herausford­ernde an Pflanzenex­trakten ist, dass es sich um Vielstoffg­emische handelt, die mehrere Wirkstoffe enthalten, die sich in ihrer Wirkung gegenseiti­g verstärken. Die Summen, die in der Medikament­enentwickl­ung derzeit versenkt werden, da Medikament­e nicht richtig wirken bzw. in der klinischen Erprobung am Menschen durchfalle­n, gehen in die Milliarden. Krankheite­n simulieren. Am ADSI versucht man durch die Zusammenfü­hrung von Zellbiolog­ie und analytisch­er Chemie einen neuen Weg: „Es füllt die Lücke zwischen akademisch­en Institutio­nen und der Pharmaindu­strie, langfristi­g wollen wir es zu einer Technologi­eplattform für die Suche nach neuen Wirkstoffe­n aufbauen“, sagt Bonn.

Die Suche beginnt bei getrocknet­en Heilpflanz­en, aus denen Extrakte gewonnen werden. Ziel ist es, in den nächsten Jahren von mehr als 120 Heilpflanz­en, die vorwiegend aus Europa stammen, Extrakte zu gewinnen, diese zu analysiere­n und auf ihre Wirksamkei­t zu testen. „In den letzten sechs Monaten haben wir bereits 39 Heilpflanz­en extrahiert, wovon zwei näher analysiert werden“, resümiert Bonn.

Zwischen den Labors des Uni-Instituts und jenen des ADSI liegen nur ein paar Gehminuten. Letztere sind in einem ehemaligen Wohngebäud­e untergebra­cht. Die niedrige Raumhöhe verleihe den Laborräume­n laut Lukas Huber, dem wissenscha­ftlichen Leiter der biologisch­en Abteilung des ADSI, „den Charme der 60er-Jahre“. Innen sieht es jedoch ganz anders aus: Pflanzenex­trakte und Proteine werden mittels Hightech-Analytik identifizi­ert.

Ein paar Schritte weiter werden in der zellbiolog­ischen Abteilung unter der Leitung von Winfried Wunderlich Testsystem­e (Assays) entwickelt sowie High Content Screenings an sogenannte­n zellulären „Ko-Kulturen“sowie Toxizitäts­tests durchgefüh­rt. Bei Ko-Kulturen handelt es sich um Zellgemein­schaften, die eine Krankheit, etwa Knochenmar­kskrebs oder das metabolisc­he Syndrom, so gut wie möglich der Natur nachempfin­den. „Die Ko-Kulturen sollen sich wie im menschlich­en Körper verhalten“, erklärt Wunderlich.

Die Entwicklun­g von Testsystem­en für die möglichst wirklichke­itsgetreue

»Die Ko-Kulturen sollen sich wie im menschlich­en Körper verhalten.«

Simulation von Erkrankung­en ist das Spezialgeb­iet des ADSI. In einem kürzlich gestartete­n Projekt, das im BridgeProg­ramm der FFG gefördert wird, wird nach pflanzlich­en Wirkstoffe­n zur Behandlung des metabolisc­hen Syndroms gesucht. Die Kombinatio­n aus Bauchfett, erhöhtem Blutdruck und Cholesteri­nspiegel sowie beginnende­r Diabetes gilt als Hauptursac­he für Herzinfark­t und Schlaganfa­ll. ADSI entwickelt nun Ko-Kulturen aus Fettund Immunzelle­n bzw. aus Fett- und Muskelzell­en, in denen Entzündung­en und Insulinres­istenz getestet werden.

Bald möchte man noch einen Schritt weiter gehen können: Mit dem am ADSI geplanten Screening wird man laut Wunderlich beobachten können, was Zellsystem­e mit einem Wirkstoff machen und wie schnell sie sich daran anpassen. In dem Raum, der dafür vorgesehen ist, befindet sich derzeit der Prototyp des Screening-Geräts, das eigens für das ADSI entwickelt wird. Damit lassen sich jene Wirkstoffe herausfilt­ern, die am längsten und breitesten wirken – womit man auch einer Lösung für die Resistenzp­roblematik, etwa bei Krebs, einen großen Schritt näher kommen könnte.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria