Der Zeiten- und Formenwandler
Mit »Traumsammler« hat Khaled Hosseini sein bislang bestes Buch geschrieben. Eine Geschichte über Generationen und Kontinente, erzählt anhand von Briefen, Telefonaten, Interviews.
Khaled Hosseini liebt das Geschichtenerzählen und mit einem Geschichtenerzähler beginnt auch sein Buch. Der Afghane Saboor erzählt seinen beiden Kindern Pari und Abdullah eine Geschichte über einen Vater, der seinen Sohn hergeben muss. Damit er seine anderen Kinder retten kann. Es ist sein Lieblingssohn. Spätestens hier bekommt der Leser eine leise Ahnung, was ihn erwartet. Die Geschwister Pari und Abdullah werden im Afghanistan der 1950er-Jahre auseinandergerissen.
Die kleine Pari wird von reichen Afghanen mit französischen Wurzeln adoptiert. Genauer gesagt, wird sie von ihrem Vater verkauft. Abdullah bleibt schreiend zurück. Die beiden waren davor unzertrennlich. Abdullah, nur 3,5 Jahre älter, hat die kleine Pari aufgezogen. Ihre Mutter ist bei Paris Geburt gestorben, der Vater muss arbeiten. Es ist das Afghanistan der einfachen Hütten, der Bauern, der Armut, der Säuglingstode, weil sie in den harten Wintern erfrieren. Hier werden Kinder zu Vätern, wenn sie müssen.
Über Generationen und Kontinente erzählt Hosseini nun die Geschichte von Pari und Abdullah, die tausende Kilometer getrennt und deren Leben doch irgendwie miteinander verbunden sind. Dafür bricht er Erzählform und Perspektiven, verwendet Briefe, Interviews und lässt die unzähligen Involvierten jeweils aus ihrer Sicht zu Wort kommen. Mut zur Lücke. Der Grund für die Adoption Paris: beschrieben durch einen Brief des Onkels. Die Geschichte von Paris neuer Mutter, erzählt durch ein Interview, das diese mit einem Journalisten geführt hat. Dazwischen Telefonate und Seiten an dichten Erzählungen Hosseinis, der wieder einmal zeigen kann, welch talentierter Autor er ist. Auch weil er den Mut zur Lücke beweist. Von niemandem wird die Lebensgeschichte ganz erzählt. Hosseini bedient sich Fragmente. Jeder dient als Baustein, um die Geschichte voranzutreiben. Die so nicht vollständiger, aber umso intensiver wird.
Dadurch ergibt sich nicht nur ein Potpourri an Ansichten, sondern auch ein weitaus komplexeres Bild von Afghanistan, mit all seinen Besuchern, Khaled Hosseini „Traumsammler“Übersetzt von Henning Ahrens S. Fischer Verlag 448 Seiten, 20,60 € chen, die das Leben ganzer Familien beeinflussen und setzt sich mit Arm und Reich auseinander.
Zu erzählen hat der 1965 in Kabul geborene Arzt und Schriftsteller freilich genug. Sein Vater arbeitete für das afghanische Außenministerium, eine Zeitlang lebte die Familie in Teheran und in Paris. Die sowjetische Intervention in Afghanistan ließ die Familie schließlich in die USA flüchten. Dort studierte Hosseini Medizin. Er arbeitet nun als Arzt und Schriftsteller. Seine eigene Geschichte (ausgewanderte Afghanen, die in den USA als Ärzte arbeiten) seine Stationen im Leben (Paris, USA) sind im „Traumsammler“auch immer wieder zu finden. Mit ihm hat er wohl auch sein bislang bestes Buch geschrieben.