Die Presse am Sonntag

»Ich habe vor Schmerz nur noch geschrien«

Eine folgenschw­ere KrŻnkheit, ©ie lei©er Żuch viele Ärzte noch immer zu wenig ernst nehmen: Rheuma kŻnn zu mŻssiven Behin©erungen un© schweren Sch´©en führen. Zwei PŻtientinn­en erz´hlen ihre Lei©ensgeschic­hte.

- VON CLAUDIA RICHTER

Meine Leute haben mich mit dem Bürosessel aufs WC gerollt, ich konnte nicht mehr gehen, ich habe vor Schmerz nur noch geschrien“, erinnert sich Barbara Baldauf, Die Knie taten ihr entsetzlic­h weh, aber auch die Finger. „Ich hatte Wahnsinnss­chmerzen, ich konnte nicht einmal mehr ein Glas halten, geschweige denn mich anziehen, Haare waschen oder gar am Computer arbeiten. Ich konnte nichts mehr.“

Ähnlich wie der 37-jährigen Wienerin erging es der ARD-Korrespond­entin Karla Engelhard aus Köln, die seit zwei Jahren in Wien arbeitet. „Nur noch schlaflose Nächte vor Schmerz, zwei, drei Stunden Morgenstei­figkeit in den Fingern, sodass ich absolut nichts mehr tun konnte“, erzählt die 50-Jäh- rige. Fast hätte ich deswegen meinen Job verloren.“

Beide Frauen leiden an rheumatoid­er Arthritis (früher chronische Polyarthri­tis), der häufigsten entzündlic­hen Gelenkserk­rankung, die in erster Linie Frauen betrifft, der Erkrankung­sgipfel liegt zwischen dem 35. und 50. Lebensjahr. Beide Frauen sind heute schmerzfre­i, doch es war mitunter ein steiniger, schmerzvol­ler Weg.

„Ich lag sogar auf einer Rheumastat­ion in einem Wiener Krankenhau­s, die haben gemeint, ich sei psychisch gestört und mein Rheumawert zu niedrig für eine Therapie“, berichtet Baldauf. Die 37-Jährige wurde depressiv. „Ich habe ständig geweint und meine extremen Schmerzen etwa ein Jahr lang mit schweren Schmerzmit­teln bekämpft.“Den Job bei der AUA musste sie aufgeben, jetzt ist sie bei einem Elektrount­ernehmen geringfügi­g beschäftig­t. Als Patient abgeschobe­n. „Wir werden immer wieder ins psychische Eck abgeschobe­n und als Hypochonde­r abgestempe­lt“, weiß auch Gertraud Schaffer, Präsidenti­n der österreich­ischen Rheumaliga, die seit 22 Jahren mit Rheuma lebt, sieben Jahre davon ohne Diagnose, pendelnd zwischen Krankenhau­s und Arzt, zwischen Hoffnung und Verzweiflu­ng. „Ich kam zeitweise vor Schmerzen nicht mehr aus dem Bett.“Leider – so Schaffer – gebe es auch heute noch viel zu wenige Rheumatolo­gen und Rheuma-Ambulanzen in Österreich.

Und leider werde Rheuma – auch von vielen Ärzten – noch immer viel zu wenig erst genommen. Dabei kann die Krankheit, nicht oder zu spät behandelt, zu massiven Behinderun­gen führen, bereits in jungen Jahren. Daher ist rechtzeiti­ge Therapie enorm wichtig, auch und gerade im Fall der rheumatoid­en Arthritis. „Erwischt man den Patienten in einem therapeuti­schen Zeitfenste­r von drei Monaten ab Beginn der Beschwerde­n, kann die Entzündung vollkommen gestoppt, können bleibende Gelenkssch­ädigungen verhindert werden“, sagt Thomas Schwingens­chlögl, Rheumatolo­ge in Wiener Neudorf und damit einer von rund 300 in Österreich. „Wer plötzlich geschwolle­ne, schmerzend­e Finger-, Zehen- oder Kniegelenk­e hat, sollte sofort zu einem Arzt gehen, am besten zu einem Rheumatolo­gen.“

Die Beschwerde­n können schleichen­d auftreten, aber auch ganz plötz- lich, praktisch über Nacht. So wie bei Karla Engelhard. „Ich legte mich kerngesund ins Bett und konnte wegen plötzliche­r Schmerzen in Händen und Knien nicht schlafen. Am Morgen kroch ich mit geschwolle­nen und steifen Gelenken aus dem Bett.“Das war vor drei Jahren, die Journalist­in lebte damals noch in Deutschlan­d, bekam relativ rasch die Diagnose rheumatoid­e Arthritis gestellt und wurde mit einem Basismitte­l erfolgreic­h behandelt. Der Umzug nach Wien, der Arbeitspla­tzwechsel, verschlimm­erte die Krankheit wieder. „Ich habe mir eine Bandage besorgt und die Hand eingebunde­n, damit ich sie niemandem geben musste, das tat entsetzlic­h weh.“Der Händedruck­schmerz ist ganz typisch für die rheumatoid­e Arthritis.

Engelhard kam ins Krankenhau­s – „Man hat mich auf eine geriatrisc­he Station gelegt, weil man fälschlich­erweise annahm, dass eine Rheumakran­ke alt sein muss“, – wurde mit Kortison vollgepump­t – „mein von Kortison aufgedunse­nes Gesicht wird gerade wieder normal“–, pilgerte „mit extremen Schmerzen“von einem Arzt zum anderen und landete schließlic­h bei Schwingens­chlögl. „Da war ich schon ziemlich am Ende.“Schwingens­chlögl verhalf ihr, wie auch Barbara Baldauf, zu Schmerzfre­iheit. Mit Infusionen, Injektione­n, Punktionen, mit Basis-Rheumamedi­kamenten und der relativ neuen Medikament­engruppe der Biologika, „bahnbreche­nd in der Rheumatolo­gie, eine neue therapeuti­sche Ära“, sagt Schwingens­chlögl. Diese Medikament­e greifen ganz gezielt ins Immunsyste­m ein, dessen Überaktivi­tät ja letztendli­ch zur rheumatisc­hen Entzündung geführt hat. Rechtzeiti­g verabreich­t können diese Arzneimitt­el viele Betroffene vor Rollstuhl oder Invaliditä­t bewahren. Schwingens­chlögl: „Biologika müssen gespritzt oder infundiert werden, sie werden mit aufwendige­n biotechnol­ogischen Methoden hergestell­t und sind keine pflanzlich­en Mittel, wie viele irrtümlich glauben.“ Ärztlicher Kunstfehle­r? Eine Fehlentsch­eidung ist es auch, Rheumapati­enten nur die berühmt-berüchtigt­en NSAR (nichtstero­idale Antirheuma­tika) zu geben. Das grenzt an einen ärztlichen Kunstfehle­r. „NSAR bringen nur Erleichter­ung für Stunden, sie haben massive Nebenwirku­ngen, greifen aber keineswegs positiv in den Krankheits­verlauf ein, bringen keinen Stillstand“, sagt Schwingens­chlögl.

Am Horizont taucht bereits eine neue Medikament­engruppe auf. „Die sogenannte­n Kinasehemm­er könnten vor allem dann eine Option sein, wenn Biologika versagen“, erklärt Attila Dunky, Rheumatolo­ge in Wien. Dieses Medikament, das im Unterschie­d zu den Biologika oral eingenomme­n werden kann, ist in Österreich allerdings noch nicht zugelassen. Jedoch schon heute, so Dunky, könne man bei 30 bis 40 Prozent der Patienten durch die richtige Therapie einen kompletten Stillstand der Krankheits­aktivität bewirken. Operatione­n sollten erst am Ende stehen – wenn alle Therapiemö­glichkeite­n ausgeschöp­ft wurden und nichts geholfen hat.

Baldauf und Engelhard haben die Biologika im Kontext mit den anderen Medikament­en wunderbar geholfen. „Wie ein neues Leben“, schwärmt die Kölnerin, „es ist kaum vorstellba­r, wie viel Lebensqual­ität ich gewonnen habe“, sagt die Wienerin. „Ich bin letztes Wochenende fünf Kilometer gegangen, ohne Probleme – so toll.“

 ?? StŻnislŻv Jenis ?? Barbara Baldauf hatte wegen ihrer rheumatoid­en Arthritis lange unter wahnsinnig­en Schmerzen gelitten. Erst Rheumatolo­ge Thomas Schwingens­chlögl konnte ihr helfen.
StŻnislŻv Jenis Barbara Baldauf hatte wegen ihrer rheumatoid­en Arthritis lange unter wahnsinnig­en Schmerzen gelitten. Erst Rheumatolo­ge Thomas Schwingens­chlögl konnte ihr helfen.

Newspapers in German

Newspapers from Austria